Das transdisziplinäre Forschungsprojekt „Animismus/Maschinismus. Konfigurationen der Kritik zwischen Wissenschaft, Kunst und Technik“ befasst sich mit der heute immer häufiger gestellten Frage „Gibt es lebendige Maschinen und intelligente Pflanzen?“. Es kombiniert wissenschafts- und technikhistorische Methoden mit philosophisch-kritischen Ansätzen und künstlerisch-experimentellen Aspekten.
Unser Alltag ist geprägt durch intelligente Technologien wie Sprachassistenten, selbstparkende Autos und weitgehend eigenständig agierende Haushaltsgeräte. Diese erzeugen den Eindruck, dass wir es zunehmend öfters mit Apparaten zu tun haben, denen eine Persönlichkeit innewohnt. Wir interagieren und kommunizieren mit Siri, Alexa & Co., als wären sie lebendige, beseelte Gehilfinnen. Parallel dazu zeigen neueste Erkenntnisse aus den Lebenswissenschaften, dass Intelligenz und Kommunikation nicht dem Menschen und einigen wenigen Tierarten vorbehalten bleiben. Insbesondere die Untersuchung der kognitiven Fähigkeiten von Pflanzen erfährt derzeit starke Aufmerksamkeit. So sind Bäume, wie wir heute wissen, durch ein von Pilzen hergestelltes „Wood Wide Web“ miteinander verbunden, dank dessen sie Informationen und Nährstoffe austauschen können.
Diese Entwicklungen und Einsichten verwandeln unsere Welt mehr und mehr in eine beseelte, „animistische“ Wirklichkeit. Sie bilden einen der beiden Ausgangspunkte für das transdisziplinäre Forschungsprojekt „Animismus/Maschinismus. Konfigurationen der Kritik zwischen Wissenschaft, Kunst und Technik“, das an der Professur für Medientheorie und Wissenschaftsgeschichte der Bauhaus-Universität Weimar angesiedelt ist und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird. Beteiligt sind neben Henning Schmidgen, dem Inhaber dieser Professur, der Philosoph Mathias Schönher und die Künstlerin Jenny Brockmann. In Übereinstimmung mit den Beteiligten zeichnet sich das Projekt durch die Kombination von Herangehensweisen der neueren Wissenschafts- und Technikgeschichte, der philosophischen Analyse und Kritik sowie der künstlerischen Forschung aus. Insbesondere aufgrund der experimentellen Ausrichtung durch den Einsatz künstlerischer Mittel ist das gesamte Projekt darauf angelegt, eine neue Weise des disziplinenübergreifenden Forschens, die über eine rein akademische Beschäftigung hinausgeht, zu etablieren. Dementsprechend spielt die Einbindung der Öffentlichkeit in den Forschungsprozess, beispielsweise im Rahmen von Ausstellungen und Workshops, eine wichtige Rolle bei seiner Durchführung.
Den zweiten Ausgangspunkt bildet der Umstand, dass animistische Positionen in den Geistes- und Kulturwissenschaften immer stärker an Bedeutung gewinnen. Als Reaktion auf die ökologische Krise des Anthropozäns mehren sich die Forderungen nach einem neu gefassten, kritischen Animismus, die vor allem ausgehend von der Akteur-Netzwerk-Theorie (Bruno Latour) und dem Neuen Materialismus (Rosi Braidotti, Karen Barad, Jane Bennett) vorgebracht werden. Dieser Neue Animismus soll mit dem vorherrschenden Verständnis, das die Ethnologie des 19. Jahrhunderts mit ihrem westlich-kolonialen Blick prägte, brechen und als Paradigma für die Überwindung der für die westliche Moderne grundlegenden Dichotomie von menschlicher Kultur und nichtmenschlicher Natur dienen. Das Forschungsprojekt führt die aktuelle Debatte um einen neu gefassten Animismus auf einen ihrer wichtigsten Entstehungsherde zurück, nämlich auf die von Gilles Deleuze und Félix Guattari entwickelte Philosophie des Maschinismus, die unter anderem an die vitalistischen Technikphilosophien von Gilbert Simondon und Georges Canguilhem anknüpft.
Die zentralen Fragen, die das Projekt behandelt, betreffen erstens die Bedeutung eines neu gefassten Animismus für die medienwissenschaftliche Forschung und in diesem Zusammenhang des oft beschworenen Eigenlebens der Technik. Sie betreffen zweitens die von einer animistischen Weltsicht begründete Überwindung der Dichotomie von Natur und Kultur sowie die daraus resultierende Möglichkeit einer Neuformierung der Kritik an unserer kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Und drittens betreffen sie das Potential, einen konstruktiven Dialog zwischen (Medien-)Wissenschaft und (Medien-)Kunst zu stiften, indem die Auseinandersetzung den animistischen Positionen entsprechend auf ästhetische Praxis und künstlerische Forschung ausgeweitet wird.