„... aus den kleinen Lautsprechern hier ... kommt die Musik von Elton John, Goodbye Yellow Brick Road, Töne und Stimmungen, die mir viel offener und weiter erscheinen als die graue westdeutsche Gegenwart und Sprache, die nun wirklich so negativ und hassvoll aufgeladen ist, (...) daß die deutsche Sprache total von Todeswünschen aufgeladen ist, daß es stimmt – und mit dieser Sprache machen sich die Leute alle gegenseitig fertig, vor einem kleinen mickrigen Haß, weil sie sich alle hier auf die Füße treten – Witze machen ist gar nicht möglich, sogleich fühlt irgendwer sich beleidigt, das Rumlungern, das manche Typen zeigen, sieht grau und hässlich aus, eine doofe Passivität, ein Rumhocken und Rumglotzen, das sind die Kiffermentalitäten, und sie hängt mit Sprache zusammen, diese passive graue Atmosphäre.“ (Rolf Dieter Brinkmann: Briefe an Hartmut)
Sein Sound setzte ein, als seine literarische Stimme verstummte. Anfang der Siebziger Jahre hört Rolf Dieter Brinkmann – gefeiert (und geschmäht) als Deutschlands „Pop-Poet“, poète maudit und als Herausgeber der „amerikanischen Underground Literatur“ – auf, am Buchmarkt zu veröffentlichen: Er habe „die kulturellen Wörter nicht mehr ertragen“ können, so Brinkmann rückblickend 1974 in seinem autobiografischen O-Ton-Feature „Autorenalltag“. Bis zu seinem Unfalltod 1975 entstehen statt dessen die großen Tagebücher, und Materialsammlungen … und seine O-Ton-Sammlungen aus dem Jahr 1973, die im Frühjahr 2005 auf fünf CDs veröffentlicht wurden.
Rolf Dieter Brinkmann war ein Einzelgänger in der westdeutschen Literatur, der zunächst als Übersetzer und Herausgeber der amerikanischen Beat-Poeten in Erscheinung trat. Seinen Ruf begründet er später durch eine realitätsnahe filmische Prosa mit wüsten inneren Monologen in der Nachbarschaft des Nouveau Roman, mit Expressivität, Direktheit und hoher Suggestivkraft. Brinkmann lebte immer unter erniedrigenden wirtschaftlichen Verhältnissen und gerät durch sein dissonantes Wesen und seine ungerichtete Wut in Isolation; er verunglückt mit 35 Jahren tödlich. Neben drei Hörspielen sind mehrere Lesungen im Radio überliefert. Kurz vor seinem Tod experimentiert er mit einem geliehenen Tonbandgerät auch in der Tradition des cut up (Burroughs).
In einer Fortsetzung des Radioseminars vom WS 04/05 zu den 50er und 60er Jahren (Arno Schmidt) wollen wir dieses „neue“ Material zum Ausgangspunkt für eine kleine literarische Hör-Recherche in die 60er und 70er nehmen. Neben den Tonmaterialien Brinkmanns wollen wir uns dabei mit Hörspielen Jandls/Mayröckers oder Wondratscheks auseinandersetzen und grenzübergreifende Ausflüge in die USA (Burroughs, Mathews) oder Frankreich (Gruppe Oulipo, George Perec/Eugen Helmlé) machen.
Zum Einhören und –lesen:
· Rolf Dieter Brinkmann, Wörter Sex Schnitt. Originaltonaufnahmen 1973 (Intermedium Records 2005)
· Rolf Dieter Brinkmann, Der Film in Wörtern (Essay), in: Acid – Neue amerikanische Szene, hg von R.D. Brinkmann & R.R.Rygulla (Zweitausendeins)
· William S. Burroughs, Die unsichtbare Generation (ebd)
· George Perec/Eugen Helmlé, Die Maschine (Gollenstein Verlag 2001)
Fritz von Klinggräff
Dr. Günther Schatter
Beginn: 20.04.2006, 18:00 - 21:00 h
Ort: B11/R13nach 3 Terminen am Donnerstag folgen Blockveranstaltungen am Sa.,
Voraussichtliche Termine: 20.05. und 17.06., 9:00 - 16:00 h, B11/R13
Radioabend: in der Sendewoche Anfang Juli 2006
Zu Gemeinschaftsarbeiten raten wir nicht. Achten Sie jedoch bei solchen Arbeiten immer auf die Ausweisung eigener Lösungsanteile in z. B. im Inhaltsverzeichnis.Beachten Sie auch unbedingt technische Hinweise zur Seminararbeit insbesondere zum Urheberrecht, zum Zitieren und zum Literaturverzeichnis.
Hinweis: Für die nachfolgenden Seminar-Ausarbeitungen haben ausschliesslich die Autoren die Verantwortung für alle urheberrechtlichen Fragen.
Thema Vortrag Datum Einführung und Programm v. Klinggräff, F.
Schatter, G.20.04.06 Deutsche Geschichte der 60er und 70er Jahre v. Klinggräff, F. 27.04.06 Radio und Hörspiel der 60er und 70er Jahre Schatter, G. 04.05.06 20. Mai 2006 Andersch, Der Tod des James Dean Beyer 20.05.06 Brinkmann, Auf der Schwelle Baberg 20.05.06 Bense, Der Monolog der Terry Jo Reichl, Pohl 20.05.06 Perec, Die Maschine Heinje 20.05.06 17. Juni 2006 Fichte, Radiostücke (Auswahl) Staciwa 17.06.06 Wolf, Gesammelte Fussballstücke (Auswahl) Goerl 17.06.06 Rücker, Porträt einer dicken Frau Schreier 17.06.06 Brinkmann. Wörter, Sex, Schnitt (Auswahl) Beckmann 17.06.06 xx. Juli 2006 Radioabend alle xx.07.06 31.01.2005 Radioabend Arno Schmidt (164 MB) 31.01.05
Graue Atmosphäre, Bibliothek Limona, 1. OG