Bauhaus-Universität Weimar service up

 

 
Fakultät Medien




Seminar ferne Stimmen

Arno Schmidt und das Radio der 50er und 60er Jahre

Ankündigung

„ ... dem Zählergesang lauschen (ich weiß nicht, ob Sie’s schon mal versucht haben : wenn man sich nachts, alle anderen müssen schlafen, das eigene Gehirn ist ausgelaufen beim Studium von Schröter, oder Lamartines <Geschichte der Girondisten>, vor den Elektrozähler stellt : da singt es drin, ferne Stimmen, wie wenn man manchmal die Kurzwelle anstellt und Radio Surabaja wispert einem ins Geöhr); also dem musste ich lauschen.“ (Arno Schmidt. Zählergesang).

Arno Schmidts Radiolieferungen datieren aus den 50er und 60er Jahren – jener kurzen Epoche, in der das Radio – nicht mehr dem Buchwissen verpflichtet und noch nicht dem elektroakustischen Gesang – für kurze Zeit Europas „Leitmedium“ werden konnte. Nicht mehr faschistisches (und antifaschistisches) Propaganda-Instrument und doch schon unter Druck des herandrängenden Fernsehens, waren vor allem die Fünfziger Jahre die große Zeit des Radios: als Rundfunk und staatliches Erziehungsmedium noch – als Träger individueller Teenager-Ausbrüche aus dem Clan der Familie, als egozentrischer Lebensraum schon. Schon ist der euphorische Radio-Hörer jener Zeit Produzent eigener Hörexperimente und „aus Spaß aufgenommener Selbstgespräche“. Und noch ist er Lauscher: Leser einer literarischen Produktion, der seinen Mittelpunkt im dichten Schriftgeflecht, der „Lesewut“ des 18. Jahrhunderts, starrsinnig verteidigt.

In dieser Epoche des Radios – zwischen 1955 und 1971 – schrieb Arno Schmidt über dreißig Rundfunk-Essais, in ihrer Art einzigartige literarische Radio-Dialoge über Autoren des 18. bis ins 20. Jahrhundert. Dieses Material soll im Mittelpunkt unseres Seminars stehen, das sich – enggeführt über einen der bedeutendsten Autoren des Nachkriegsdeutschland – hörend, reflektierend, gestaltend dem Phänomen des Leitmediums Radio annähern will: Dem Radio als Bildungsprogramm – autoritär, territorial, den klassischen Stimmen der Literatur gehorchend  –, das ganz mündliche Literatur sein will und zugleich von Arno Schmidts literarischer Mündlichkeit, seiner Dialektik und artifiziellen Polyphonie konterkariert wird.

In unserem Seminar wollen wir uns diesem Phänomen des Schmidt’schen Radios beim gemeinsamen Hören der Essais und weiterer Stücke, über begleitende Referate und in der Gestaltung eigener Radio-Versuche nähern und über Kulturradio neu nachdenken. Ziel ist ein gemeinsamer Beitrag und/oder die Ausstellung einzelner Beiträge in der Radiowoche der  Bauhaus-Universität zum Ende des Wintersemesters.

Grundlage des Seminars bildet in Textform die Studienausgabe Arno Schmidt in der Werkgruppe II Dialoge (ISBN 3518800590), die zur Anschaffung empfohlen wird. Für Arno-Schmidt-Anfänger empfiehlt sich das Kreuz- und Querlesen in Arno Schmidt, „Aus julianischen Tagen“ ( 3596291143 mit Texten, die parallell zu den Funkessays entstanden sind.

Sekundärliteratur: Anregend ist Klaus Theweleit, „You give me fever“ (ISBN 387877754X; informativ zum Thema: Gerriet Harms, „Im Ohrenhör – Arno Schmidts Hörfunk-Features“, in: „Zettelkasten 22“ (ISBN 3924147531).


Lehrverantwortliche

Fritz von Klinggräff
Dr. Günther Schatter


Semesterabschluss - Scheine

Die Semesterscheine können ab 18.05.05 bei Frau Czubera abgeholt werden.
Seminargespräch auf Wunsch am 20.05.05 - bitte Anmeldung per e-mail bis 13.05.05.


Literatur im Semesterapparat

Ferne Stimmen, Bibliothek Limona, 2. OG


Seminarauftrag

"Arno Schmidt im Radio" als Sendung

Ein Gestaltungsauftrag für Studierende der Medienkultur und der Mediengestaltung

In gewichtigen Worten kommt uns das Radio Arno Schmidts entgegen. Keine Frage: Hier gibt es eine Botschaft, die auf ihre Verkündung lange warten musste. Aufklärung ist das grosse Stichwort zur Zeit: Nach dem Ende des tausendjährigen Reichs sind wieder alle Fragen offen, auch die Klassiker sind verbrannt (so - nämlich Kafka - oder so - nämlich Schiller) Die Geschichte wartet auf ihre neue Erzählung. Aber in welchem Medium? Die Bücher gibt es nicht mehr; noch wartet das Fernsehen auf seine Entdeckung. Um das Radio aber hat sich das Propagandaministerium gekümmert: Deutschland wurde durch Goebbels mit Volksempfängern ausreichend versorgt. Also Radio.

Die Menschen lechzen nach dem Neuen: Möge es Jazz heissen oder Literatur. Damit beginnt das kurze Goldene Zeitalter des Kulturradios. Arno Schmidt gehört dazu. Arno Schmidt im Radio: das war ein Sprechgesang, dem man unter der Bettdecke lauschte, weil hier quer zu den Stimmen der westdeutschen Restauration eine ganz neue Stimme ertönte: autoritär in ihrem Anspruch gehört zu werden, dialogisch im Gestus, offen als fremdes Angebot. Als Zufallsfund oder als Einschaltprogramm, nie nebenbei. Wer nicht zuhörte, schaltete ab. Im doppelten Wortsinn.

So hören wir heute mit Arno Schmidt im Radio den Sound der Fünfziger: Als Bildungsbrocken, als historische Aufnahmen, als Kulturprogramm quer zu den inzwischen eingeübten Hörgewohnheiten am Zeichen-, am Frühstückstisch, beim Kochen, Zähneputzen, Fernsehen. Harter Tobak zum Zuhören. Bildung pur. Nichts für Leute von heute. Als ferne Stimme und Sprachgewalt. Diese Gewalt gilt es zu neu zu erfinden: als eine fremde, die uns als diese angeht.

Ziel ist, Arno Schmidt als Stimme in Weimars Stimmgewirr einfliessen zu lassen. Ihn mitreden zu lassen in der Demokratisierung einer einsamen, herrschsüchtigen Stimme, die einen neuen Ton suchte. Einen neuen Schallraum. Mit dem Ziel, ferne Stimmen zur Sprache zu bringen. Denn diese autoritäre Stimme war in ihrer Literatur, Schrift demokratiesüchtig, pluralistisch, polyphon bis in die kleinsten Buchstaben-Schwingungen. Spätestens zwischen Schmidts Bildungsprogramm im Radio und der Polyphonie seiner Schrift lässt sich auch noch im 21. Jahrhundert ein Radio machen, das ein paar Töne mehr findet.

Dies wäre der Anspruch an die Sendung "Arno Schmidt im Radio", die am Ende des Seminartunnels von "Ferne Stimmen - Arno Schmidt im Radio" stehen sollte. Im Gegensatz zu den Radio-Dialogen Schmidts (die nicht selten versteckte Monologe waren) gilt es also (ruhig auf eine riskante Weise) vielfach zu werden: Mit Live-Moderation, vorproduzierten Fragmenten, geklauten O-Tönen, sprachgewaltigen Gästen, raunendem Publikum, Fake, Musik. Also mit gutem Kulturradio des 21. Jahrhunderts, angereichert mit "fernen Stimmen". Damit setzen wir fort, was in den Jahren 2001/2002 als Seminarreihe unter dem wiederkehrenden Titel "É im Radio" in eine erste Runde ging: Mit einem live übertragenen Panel wurde der Biologe Ernst Haeckel im Gaswerk gewürdigt. Mit Radio-Club-Radio wurde der Limona-Club in seinen besten Zeiten in die Radios getragen. Der Philosoph Oswald Wiener bekam eine Marathonlesung (à la Ulysses in der Kampnagelfabrik) aus dem Keller der Medienfakultät.

Die "lineare Vernunftkultur" (Bolz) der pseudo-dialogischen Schmidt-Features lässt sich in diesen Kontext wunderbar einpassen. Wenn denn über die Seminare im Vorfeld diese Stimme in seiner Vielfalt eingeholt wird. Als lineare Mündlichkeit und polyphone Schriftlichkeit, als Bildung und "Geöhr" (Schmidt). Welches Radio - welche Sendung - dieser Stimme aus den Fünzigern und Sechzigern entspricht, das genau wäre in der Zusammenarbeit von Studierenden der Medienkultur und der Mediengestaltung im Seminar zu erarbeiten. Mit dem Ziel der Sendung "Arno Schmidt im Radio". Vielleicht gehören dazu übrigens auch öffentliche Veranstaltungen im Vorfeld, eine frühe Internet-Präsenz und der Printbereich mit Plakaten als ein heute objektiver Bestandteil von Kulturprogramm, das gehört werden will. Dazu gehört dann aber auch ein richtiger Ort und ein Produktions-Team, das schon mit Seminarbeginn sich seiner Aufgabe bewusst ist: Zu registrieren, was läuft.

Links

Gesellschaft der Arno-Schmidt-Leser

Arno-Schmidt-Stiftung

Arno-Schmidt-Mailingliste

Arno Schmidt in Wikipedia

IRAS (Internet Review Arno Schmidt)

Arno Schmidt in Frankreich: Lecteurs & Lectures

Heissenbüttel Radioessays SDR

Lersch Radioessays SDR 1955 - 1981


Seminararbeiten

Organisatorisches zur Seminararbeit:

Schicken Sie bitte bis zum 14.03.05 24:00 h Ihre Ausarbeitung als .pdf-datei als e-mail an Günther Schatter. Die Arbeiten werden im www veröffentlicht.

Eine Verlängerung des Termins wird es nicht geben können, die Arbeiten sollen zu Beginn des Sommersemesters bewertet sein, ggf. kann bei Bedarf ein Abschlussgespräch erfolgen. Wir möchten das Lehrgebiet vor Beginn des neuen Semesters komplett abschliessen -- das wird sicher im Interesse aller sein. Nur für den Fall von Krankheit u.a. dramatischen Umständen stimmen Sie einen Ersatztermin rechtzeitig ab.

Zu Gemeinschaftsarbeiten raten wir nicht. Achten Sie jedoch bei solchen Arbeiten immer auf die Ausweisung eigener Lösungsanteile in z. B. im Inhaltsverzeichnis.

Beachten Sie auch unbedingt technische Hinweise zur Seminararbeit insbesondere zum Urheberrecht, zum Zitieren und zum Literaturverzeichnis.

Viel Erfolg!

Notiz:
Für die nachfolgenden Seminar-Ausarbeitungen haben ausschliesslich die Autoren die Verantwortung für alle urheberrechtlichen Fragen.

ThemaVortragDatum
Einführung und Programmv. Klinggräff, F.
Schatter, G.
27.10.04
Die BRD in den 50er und 60er Jahrenv. Klinggräff, F.03.11.04
Radio und Hörspiel der 50er und 60er JahreSchatter, G.10.11.04
Arno Schmidt: Leben und Werkv. Klinggräff, F.
Schatter, G.
17.11.04
von MeyernRomeyke24.11.04
WielandKühlein01.12.04
MaySkuk08.12.04
MayKeudel08.12.04
BronteJust, Posern15.12.04
StifterKaiser05.01.05
ScheferWeber12.01.05
ScheferBaberg12.01.05
GelehrtenrepublikBöhme
Strehlow
19.01.05
PolyphonieHristova26.01.05
Schmidt und das RadioGoerl26.01.05
KulturradioKöhler02.02.05
Radioabend Arno Schmidt, 31.01.2005Eichner, Hecht
Mantik, Beyer
02.02.05



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last modified:, by Günther Schatter