Sich in eine neue Kultur einleben. Sprachkenntnisse verbessern, andere Sichtweisen auf das Fachgebiet erhalten und nicht zuletzt neue Menschen kennenlernen und dabei eine gute Zeit haben. Dies haben die meisten im Sinn, die sich dafür entscheiden, ein Semester an einer Universität in einem anderen Land zu studieren. Doch Corona veränderte alles, was Studierende bis dahin für ihr Auslandsstudium geplant hatten.
Als sich das Virus im Februar und März weltweit rasant ausbreitete und viele Länder ihre Grenzen schlossen, Einreiseverbote aussprachen und schließlich Ausgangs- und Kontaktsperren verhängten, mussten sie umdenken. Sowohl diejenigen, die ihr Auslandssemester gerade vor sich hatten, als auch jene, die im Sommersemester in Deutschland studieren wollten.
»Im International Office hatten wir so eine Situation noch nie. Unsere Services für Studierende sind bei uns sonst sehr gut und einheitlich organisiert. Plötzlich mussten wir uns um unzählige Einzelfallentscheidungen kümmern«, sagt Dr. Christian Kästner, Leiter des Dezernats Internationale Beziehungen. »Studierenden, die ins Ausland gegangen waren, gaben wir anhand der Lage in ihrem Gastland und ihrer Studiensituation Empfehlungen und Informationen, damit sie selbst entscheiden konnten, was für sie das Beste ist.« Viele Weimarer Erasmus-Studierende waren bereits im Februar an ihrem neuen Studienort eingetroffen und hatten die ersten Welcome-Veranstaltungen hinter sich. Bevor sie richtig in ihr Studium starten konnten, kam vielerorts der Lockdown. Außerdem gab und gibt es viele internationale Studierende, die eigentlich in Vollzeit in einem Masterstudiengang an der Bauhaus-Universität Weimar studieren und die für die Semesterpause in ihr Heimatland gereist waren und nicht mehr zurück nach Weimar kommen konnten. Diese standen und stehen noch immer vor dem Problem, Visa nicht verlängern zu können, da die Botschaften geschlossen sind, oder keine Sprachzertifikate ablegen zu können, die aber notwendig sind, um in Deutschland zu studieren.
Digitales Welcome Dinner für internationale Studierende in Weimar
»Wir haben mit mehreren Mailings und vielen persönlichen E-Mails Kontakt zu allen Studierenden aufgenommen und versucht, Handlungsempfehlungen auszusprechen und Hilfe anzubieten. Ein von uns versendeter Fragenkatalog gab uns einen Überblick, wer in welcher Situation steckte, und sollte verhindern, dass jemand ohne Unterstützung oder beispielsweise in finanzieller Not im Ausland ›feststeckte‹«, so Kästner weiter. In Weimar wurde die Welcome Week als Präsenzveranstaltung abgesagt, um niemanden zu gefährden, und kurzerhand ins Digitale verlegt, sodass diejenigen, die schon vor Ort in Weimar waren, sich gut aufgehoben fühlten, obwohl sie nicht auf dem Campus sein konnten. Kick off, Intercultural online dinner, Be Buddy! Oder Library online – die Studierenden konnten auf diesem Wege neue Leute kennenlernen und schon einmal online Kontakte knüpfen. Zudem gab es in Weimar nie eine Ausgangssperre, so war es den Studierenden möglich – auch wenn das Campusleben nicht stattfand und auch noch nicht wieder stattfindet – die Stadt und ihre Umgebung kennenzulernen. Christian Kästner schätzt, dass dennoch nur insgesamt ein Viertel bis ein Drittel der Angereisten in Weimar geblieben sind – von 80 Studierenden. Viele bleiben aber trotz ihrer Rückkehr ins Heimatland eingeschrieben und nehmen an den digitalen Semesterveranstaltungen teil.
Eine zentrale Rückrufaktion für die Weimarer Studierenden im Ausland gab es jedoch nicht. »Jede und jeder steckt in einer anderen Lage, manch eine oder einer konnte gar nicht zurückkehren nach Weimar oder ins Elternhaus. Und so musste jeder Student und jede Studentin im Ausland selbst entscheiden, wie er oder sie mit der Situation umgeht.
Erasmus-Semester im spanischen Lockdown: Nachbarschaft statt Campusleben
»Einen kühlen Kopf bewahren und keine überstürzte Entscheidung treffen« – so beschreibt Kevin Fechner, Masterstudent im Baumanagement, seinen Umgang mit dem Lockdown in Barcelona. Anfang Februar war er nach Spanien gereist, um gemeinsam mit seiner Freundin dort ein Auslandssemester zu verbringen. »Zu dem Zeitpunkt war von Corona in Europa noch nicht die Rede, nur in China, später in Italien, mehr haben wir zunächst gar nicht mitbekommen«, blickt er zurück. Seine Wohnung hatte er schon bezogen und einen ersten Monat an der Universitat Politécnica de Catalunya als Erasmus-Student studiert. Dann ging alles sehr schnell. Ab 18. März verhängte Spanien sehr harte Ausgangssperren. Ab diesem Zeitpunkt konnte Kevin nicht mehr ohne Grund seine Wohnung in Barcelona verlassen. Zum Einkaufen durfte er zwar auf die Straße gehen, »aber die Polizei war sehr präsent und hat jeden befragt, wohin er oder sie unterwegs ist. Zwei oder sogar drei Leute durften nicht zusammen stehen bleiben«, schildert er. Aus der Not machen er und seine Freundin eine Tugend und lernten statt anderer Studierender einfach alle ihre Nachbarn kennen. »Die Spanier haben mich absolut positiv überrascht. Über die vielen Balkone in unserer Nachbarschaft haben wir engen Kontakt zueinander, alle sind sehr offen, wir kommunizieren viel und freundschaftlich. Besonders, da in Spanien immer mal etwas kaputt geht und dann repariert werden muss – neulich hatten wir sogar einen Stromausfall – sind alle aufeinander angewiesen und sehr hilfsbereit.« Auch sein Spanisch verbesserte sich dadurch. Ein kleiner »vertical garden« auf dem gemeinsamen Dach ist ebenfalls verbindend und zu einer Art Hobby geworden, das ihm die Möglichkeit gibt, wenigstens ein paar Minuten am Tag unter freiem Himmel zu verbringen.
Eine Erfahrung, die zusammenschweißt
Das Studieren wird – wie inzwischen fast überall – auch an der Universitat Politécnica de Catalunya via Online-Kurse organisiert. Kevins anspruchsvolle Projekte erfordern viel Zeit, insofern ist er ganz froh, nicht durch Ausgehen und Parties allzu sehr abgelenkt zu sein. »Nur das gemeinsame Arbeiten und Brainstormen fehlt mir sehr.« Auch findet er es schade, seine wenigen Freunde vor Ort nicht regelmäßig sehen und keine neuen Leute kennenzulernen zu können. »Aber von meinen Universitäten fühle ich mich gut unterstützt. Wir bekommen alle Informationen und auch Hilfestellung, falls wir nach Deutschland zurückkehren möchten.« Sicherheitshalber hatte er sich bei der Plattform »Elefand« des Auswärtigen Amtes angemeldet, die alle Deutschen im Ausland erfasst und up to date hält. Insgesamt zieht Kevin eine positive Bilanz und ist froh, dort geblieben zu sein: »Es hätte auch viel schlimmer kommen können, alles in allem haben wir eine gute Zeit hier. Es ist schon spannend zu erleben, wie ein anderes Land mit dieser Zeit und der Corona-Situation umgeht und wir sind ja auch zu zweit, das macht vieles leichter«, resümiert er die letzten Wochen. »Mit den Menschen, zu denen wir Kontakt haben, hat uns diese besondere Erfahrung vielleicht sogar enger zusammengeschweißt, als das sonst der Fall gewesen wäre.« Lichtblick sind für ihn auf jeden Fall die zwei Monate nach dem Lockdown. Ende Juni sind auch die Uni-Kurse vorbei und dann möchte er die Stadt endlich richtig kennenlernen und das Land bereisen.
Statt Studium in Mailand digitaler Unterricht im Elternhaus
Lena Skade hat sich hingegen für das Zurückkommen entschieden. Als Studentin der Urbanistik ist im sechsten Semester ein Auslandssemester für sie Pflicht und sie hatte sich für das Politecnico di Milano (Link) beworben. Dort startet das Studium Ende Februar und so kam sie Mitte Februar mit dem Zug über Zürich in Mailand an. Wie viele Austauschstudierende wohnte sie zunächst übergangsweise in einer Jugendherberge und sollte ab 1. März ihr »richtiges« Zimmer beziehen. Doch dann kam alles anders. »Am 19. Februar hatten wir noch regulär die Welcome Days, wir wurden in die Uni eingeführt; zwei Tage danach wurden schon die ersten Termine wegen Corona abgesagt. Einige Austauschstudierenden reisten bereits ab und knapp eine Woche danach, am 25. Februar, bin ich dann auch nach Deutschland zurückgeflogen«, erzählt Lena. »Erst habe ich das alles nicht so ernst genommen, doch zunehmend wurde die allgemeine Anspannung in der Stadt spürbar und uns allen die Lage bewusst. Auch meine Eltern drängelten, dass ich zurückkommen soll«, berichtet Lena weiter. »Zum Glück sind mir keine weiteren Kosten entstanden, das Zimmer konnte ich problemlos zurückgeben.«
Solche drastischen Planänderungen für ein ganzes Semester bereiten vielen Austauschstudierenden große finanzielle Sorgen – um eventuelle Notlagen abfedern zu können, hat der Freundeskreis der Bauhaus-Universität Weimar eine Spendenaktion ins Leben gerufen.
Auch Lena fühlt sich von beiden Unis sehr hervorragend betreut und findet, dass die Kommunikation gut gelaufen ist. Inzwischen studiert sie online von Hameln aus weiter, wo ihre Eltern leben. Auch wenn Lena noch nicht gut Italienisch spricht – sie wollte es ja in Mailand lernen – läuft der Online-Unterricht recht gut. »Zwei meiner Kurse finden sowieso auf Englisch statt und auch im Gruppenarbeitskurs in der Landschaftsarchitektur bekomme ich Unterstützung, wenn’s mal mit dem Italienischen hapert.« Nur allein präsentieren vor einem Bildschirm und einem stummen Publikum, das liegt wirklich nicht jeder. »Am Anfang war ich schon enttäuscht, dass das Zwischenmenschliche nun völlig wegfällt, besonders in der Gruppenarbeit fehlt mir das. Aber so zu studieren hat auch Vorteile, man hat viel mehr Zeit, sich ins Studium zu vertiefen und Texte gründlich zu lesen. Man muss sich halt darauf einlassen.« Nach der Zeit der Online-Kurse plant Lena, ein Praktikum zu machen, eventuell sogar in Weimar. Außerdem wird Corona hoffentlich irgendwann wieder vorbei sein und dann möchte Lena noch einmal nach Italien gehen – vielleicht während des Masters.
Internationalität wird an der Bauhaus-Universität Weimar sehr wertgeschätzt
Ob Studierende im Wintersemester schon wieder unbeschwert und ohne Einschränkungen ins Ausland gehen können, kann noch niemand mit Sicherheit sagen und erscheint aus heutiger Sicht wenig wahrscheinlich. Die meisten Studierenden halten aber an ihren Auslandsplänen fest, auch wenn nur ein kleinerer Teil auf das soziale Leben vor Ort verzichten möchte und auf reinen Online-Unterricht setzen würde.
Sollten die Austauschstudierenden Weimar fernbleiben, würde das für die Bauhaus-Universität Weimar heißen, dass sie 100 Studierende weniger aufnehmen würde im Oktober. Schon jetzt haben 30 Partneruniversitäten den Austausch für den Winter abgesagt. »Da wir eine sehr internationale Universität sind und einen Anteil internationaler Studierender von 30 Prozent haben, wäre das auf jeden Fall ein großer Verlust«, sagt Dezernent Kästner. »Wir mussten schon die diesjährige Summer School absagen. Die Mitarbeiterinnen dort helfen uns nun, Studierende trotz aller Unwägbarkeiten für ein Studium an der Bauhaus-Universität Weimar zu begeistern.« Momentan wird dafür in alle Richtungen gedacht. Die summaery, die in diesem Jahr digital stattfinden wird, ist der Ausgangspunkt und perfekt dafür geeignet zu demonstrieren, wie spannend und vielseitig das Studium in Weimar ist. »Außerdem wollen wir die Hürden verkleinern, um ein Studium zu beginnen und zum Beispiel Sprachkurse so organisieren, dass die Studierenden sie online schon vom Heimatland aus beginnen können.« So wäre aber ebenso denkbar, dass Studierende ihr Studium im Herbst online aufnehmen und im Sommer 2021 dann physisch nach Weimar kommen.
Christian Kästner ist überzeugt davon, dass internationale Erfahrungen mehr sind als der bloße Wissenserwerb an einem anderen Ort. Diese Erlebnisse seien vielleicht sogar das Wichtigste an einem Auslandsaufenthalt. Er bezeichnet dies als Ambiguitätstoleranz: »Was wir jetzt gerade erleben, ist in gewisser Weise ähnlich dem, was man, allerdings positiv gewendet, in einem Auslandaufenthalt am eigenen Leib erfährt: mit schwierigen Situationen umzugehen, die nicht eindeutig bzw. schwarzweiß sind, und zu verstehen, dass man dennoch gute und sichere Entscheidungen treffen kann.« Zukünftig soll die Bedeutung zwischenmenschlicher Begegnungen und physischer Präsenz deswegen im internationalen Studierendenmarketing auch stärker betont werden – allerdings erst nach Corona.
Internationale Studierende sind an der Bauhaus-Universität Weimar jedenfalls immer – so auch schon im Wintersemester 2020 – willkommen. Der spätere Vorlesungsstart am 2. November macht Hoffnung, dass es bis dahin wieder viele Reisemöglichkeiten geben wird. Geplant ist, an der Bauhaus-Universität Weimar im Winter unter Beachtung der Hygieneregeln wieder zum Präsenzstudium mit digitalen Elementen zurückzukehren. Hierbei kommt der Universität zugute, dass der Unterricht traditionell in kleineren Gruppen organisiert ist. Die wenigen Formate mit vielen Teilnehmenden, wie z.B. Grundlagen-Vorlesungen, werden im Winter weiterhin online angeboten.
Die für Internationalisierung zuständige Vizepräsidentin Prof. Dr. Jutta Emes hofft auf zahlreiche internationale Studierende vor allem von europäischen Partneruniversitäten: »Internationalität in Forschung und Lehre bildet einen wichtigen Part unseres Selbstverständnisses an der Bauhaus-Universität Weimar. Die internationalen Studierenden bereichern unser Campusleben. Das Arbeiten in internationalen Gruppen ist bei uns Alltag. Im Sinne einer Internationalisation at home haben auf diese Weise auch Studierende, die international nicht so mobil sein können, die Möglichkeit, internationales Wissen und interkulturelle Kompetenzen zu erwerben.«
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