»Schwerpunkt im Architekturstudium ist das forschungsorientierte Entwurfs- und Projektstudium, in dem reale Entwurfsaufgaben und Experimente die elementare Grundlage bilden« – wirbt die Fakultät Architektur und Urbanistik für das Architekturstudium an der Bauhaus-Universität Weimar. Doch wie gelingt es, eine solche Lehre auf den Weg zu bringen und anzubieten, wenn weder Bibliotheken oder Werkstätten genutzt werden noch persönliche Konsultationen, Teamtreffen oder Exkursionen stattfinden können?
Auf diese Frage suchen Lehrende in der Fakultät Architektur und Urbanistik seit März Antworten. »Wir werden die Studierbarkeit im Sommersemester gewährleisten und in jeden Fall eine ausreichende Zahl von Credits ermöglichen. Aber natürlich werden wir an Grenzen stoßen. So müssen nicht digitalisierbare Lehrangebote verschoben werden, z.B. Plastisches Gestalten, das eine Präsenz im Atelier erfordert«, zeigt sich Prof. Bernd Rudolf, Dekan der Fakultät Architektur und Urbanistik, zuversichtlich mit dem Blick auf das Sommersemester 2020, das am 4. Mai digital beginnen wird.
Auch Steffen de Rudder, Leiter der Professur Entwerfen und Städtebau, muss kurzfristig umplanen. Für das Sommersemester hatte er an der Schnittstelle von Architektur und Stadtplanung für Bachelorstudierende im 4. Semester eine Quartiersentwicklung für Köln vorbereitet. Im Städtebauentwurf skizzieren Studierende üblicherweise ihre Ideen auf Skizzenrollen, zeichnen Pläne, bauen Modelle und präsentieren ihre Entwürfe. Dabei ist für die Qualität des Entwurfs eine enge Betreuung durch wöchentliche Konsultationen im Wechselspiel von Studierendem und Betreuenden ganz entscheidend. Die größte Herausforderung ist für Steffen de Rudder und sein Team jedoch nicht die technische Umstellung auf digitale Lehre, die das Ausprobieren verschiedener Werkzeuge mit gegenseitigen Austauschmöglichkeiten einschließt, sondern die inhaltliche Neuausrichtung des Entwurfs.
Nur kurz war der Schock darüber, dass die Vorbereitungen der letzten Wochen für das Kölner Entwurfsthema nun erst einmal in der Schulbade landen. Sehr schnell war dem Architekten klar, dass er die Inhalte der Lehre komplett verändern muss. »Für den Städtebau ist der Kontext das A und O. Städtebau bezieht sich auf Städte als Lebensraum und Kulturform. Und wenn es nicht möglich ist, in einer Exkursion vor Ort städtische Stimmungen zu erleben, den Standort zu begehen, Gespräche mit Verantwortlichen vor Ort zu führen, dann bleibt nur radikales Umdenken. Städtebauliche Lehre muss in diesem Semester ohne Stadt funktionieren – wir müssen die übliche Herangehensweise auf den Kopf stellen.«
Drei Standorte, denen das Nichtvorhandensein von Kontext gemein ist, haben die Lehrenden für ihr neu ausgerichtetes Entwurfsthema ausgewählt: ein von Schnittkanten und Baumkronen weitläufigen Kiefernwalds abgeschlossenes Gelände in Brandenburg, ein vom weiten Horizont begrenztes aufgeschüttetes Landstück an der holländischen Küste und eine brachliegende, unbewohnte Insel in der Lagune von Venedig. An allen dreien soll Wohnbebauung entstehen, die die Studierenden aus dem nicht Vorhandensein von Kontext entwickeln.
»Ich halte diese spezifisch städtebauliche Herausforderung für inspirierend. Sie bietet uns die Chance, unser Bewusstsein für den Kontext zu verändern und uns eingehend mit Rastern, Mustern und Ordnungen zu beschäftigen«, blickt Steffen de Rudder optimistisch auf den Semesterstart.
Die Themen in anderen Fachgebieten lassen sich nicht so einfach variieren, denn die Grundlagen des architektonischen Schaffens müssen bei jedem und jeder »sitzen«. Über hundert Bachelorstudierende der Architektur belegen deshalb im Sommersemester normalerweise die Grundlehre der Baukonstruktion. In einer Vorlesungsreihe mit vertiefenden Übungen erlernen sie, mit dem Fokus auf Holz- und Mauerwerkskonstruktionen alle gebäuderelevanten Bauteile richtig zu konstruieren, Sockel und Fensteranschlüsse zu detaillieren und vieles andere mehr. Im Zuge dessen müssen die Studierenden wöchentliche Aufgaben lösen und Skizzen anfertigen, die die Lehrenden individuell begutachten und dazu während der Übungen Detailfragen beantworten.
»Doch wie können wir dieses sehr persönliche und individuelle Vorgehen reibungslos ins Digitale transformieren? Damit beschäftigen wir uns zurzeit sehr intensiv«, erzählt Martin Ahner, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Professur Entwerfen und Baukonstruktion. »Wenn wir unsere Grundlagenlehre in eine BigBlueButton-Präsentation umwandeln, müssen wir uns zum Beispiel überlegen, wie wir unsere 50 Online-Zuhörerinnen und -Zuhörer bei der Stange halten, auch wenn wir sie nicht sehen. Wir versuchen also, die Inhalte von Redundanzen zu befreien, zu straffen, uns auf das Essenzielle zu konzentrieren. Außerdem gibt es da diese charmante Chatfunktion – statt also Fragen mündlich zu beantworten, könnten wir – wenn wir als Lehrende zu zweit sind – dies nebenbei im Chat tun. Hier brauchen wir Erfahrungswerte.«
Vieles müsse sich während der ersten Wochen erst einmal zeigen und ausprobiert werden, Patentrezepte habe niemand in der Tasche, sagt Ahner. Zurzeit experimentierten er und seine Kollegen noch, auch die Performance des Uni-Servers spiele eine große Rolle. »Die hochauflösende, für das Audimax gedachte Beamer-Präsentation würde im Netz zu viel Bandbreite ziehen. Da müssen wir unbedingt das Datenvolumen reduzieren.« Auch wie mit den architektonischen Zeichnungen umgegangen werde, welche die Studierenden händisch zeichnen müssen, ist noch nicht ganz klar. »Man kann durchaus alles digital entwerfen, aber eine ästhetisch ansprechende architektonische Zeichnung, die über ihre Linienstärken und sauber ausgeführte Schraffuren ›spricht‹, ist als CAD-Neuling nicht ganz unfallfrei«, resümiert Ahner.
Noch sind vier Wochen Zeit bis zum Semesterstart und in aufwändigen Prozessen engagieren sich Lehrende aller Professuren dafür, damit das Studium im Mai gut und ohne Nachteile für die Inhalte beginnen kann. Manches, wie der Modellbau in den Werkstätten, wird dann noch nicht wieder starten können, aber dafür zum Wintersemester wieder – das erhoffen sich alle in der Fakultät.
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Claudia Weinreich und Miriam Rebsamen // presse@uni-weimar.de
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