Eine Reflektion von Julia Heinemann, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur Bauformenlehre der Fakultät Architektur und Urbanistik, auf die Reise des Gropius-Zimmer-Pavillons nach Siena.
100 Jahre Bauhaus
Als 1919, vor 100 Jahren, das staatliche Bauhaus zu Weimar gegründet wurde, war der Ansatz der Lehre ein völlig neuer. In erster Linie ging es um eine ganzheitliche Betrachtung auf Gesellschaft und Leben und die gemeinschaftliche Gestaltung dieser. Das vornehmliche Ziel des Gründungsdirektors war der allseitig gebildete Mensch, dem die Zusammenhänge im Leben wichtiger erscheinen als die Einzelteile. 2019 feierte die Bauhaus-Universität Weimar das 100-jährige Gründungsjubiläum des in Weimar nur sechs Jahre jung gebliebenen Staatlichen Bauhauses.
Das »Staatliche Bauhaus« war von den Gründern als eine Gemeinschaft der am Bau Tätigen gedacht, in der die Unterscheidung zwischen Handwerkern, Architekten und Künstlern aufgehoben werden sollte. Anliegen war es, gesellschaftliche Unterschiede zu beseitigen und zum Verständnis zwischen den Völkern beizutragen.
Inspiriert wurde das Bauhaus zudem von den Bauhütten Organisationen der gotischen Dombaukunst, was in dem Gründungsmanifest von Walter Gropius deutlich wird: Wollen, erdenken, erschaffen wir gemeinsam den neuen Bau der Zukunft, der alles in einer Gestalt sein wird: Architektur und Plastik und Malerei, der aus Millionen Händen der Handwerker einst gen Himmel steigen wird als kristallenes Sinnbild eines neuen kommenden Glaubens.
100 Jahre später_ 2019 Siena
Nun steht das abstrahierte Direktorenzimmer des Bauhausgründers, der Gropius-Zimmer-Pavillon auf dem Domplatz vor der Cattedrale Metropolitana di Santa Maria Assunta, einer der bedeutendsten gotischen Kathedralen Italiens.
Zum Ausklang des Jubiläumsjahres und zum 25 jährigen Bestehen der Städtepartnerschaft ist der Gropius-Zimmer-Pavillon sowohl Geschenk der Stadt Weimar an seine toskanische Partnerstadt Siena als auch Bauhaus Botschafter.
In erster Linie geht es darum, die im Jubiläumsjahr zu würdigenden Errungenschaften der ersten Demokratie in Deutschland durch die Weimarer Republik und den avantgardistischen Bauhausgedanken symbolisch in die Welt zu tragen und in der Partnerstadt sowohl auf diese Städte-Verbindung aufmerksam zu machen als auch einen Gedankenraum dafür zu schaffen.
Gropius-Zimmer-Pavillon
Der Gropius-Zimmer-Pavillon wurde erstmals im Rahmen der »Woche der Demokratie« Anfang des Jahres auf dem Weimarer Theaterplatz errichtet. Das im Hauptgebäude der Bauhaus Universität Weimar verortete Gropiuszimmer, das als die erste gesamtheitliche Raumkomposition der Moderne gilt, wurde als abstrakte Raumliniatur nachempfunden und als architektonische Intervention der von Gropius gestalteten Gedenktafel zur Nationalversammlung an der Theaterfassade des Deutschen Nationaltheaters in Weimar gegenübergestellt.
Die Installation bildet die Grundlinien des Direktorenzimmers nach und definiert somit einen öffentlichen Raum im öffentlichen Raum, der Besucher einlädt, ihn für sich zu interpretieren, sich darin aufzuhalten und ins Gespräch zu kommen, sowie die Dimensionen der Direktorenschaft einer demokratischen Gesellschaft weiter und größer zudenken.
Durch die offene Raumgeometrie, die aufgrund des sich vergrößernden Ursprungwürfels aus der Installation heraus gedanklich größer projiziert werden kann, wird der Raum nicht nur nach Außen geöffnet, sondern öffnet auch seine Funktion in die Öffentlichkeit, wodurch die Direktorenschaft auf den öffentlichen Raum und damit auf die Öffentlichkeit übergeht.
Anliegen dieser metaphorischen Installation ist das Gewahr werden der eigenen Rolle in einer demokratiebasierten Gesellschaft. Dass man nicht nur das Recht der Mitgestaltung innehat, sondern damit auch Verantwortung einhergeht, die uns alle betrifft. In einer Demokratie sind wir keine Zaungäste, sondern Akteure, jeder in seinem Bereich und darüber hinaus, das Gesamtkunstwerk Gesellschaft betreffend.
Heimat – Fremde -> fremde Heimat
Dieser Pavillon wurde nun als Weimar-Bauhaus-Demokratie Botschafter – an seiner vorherigen Station, dem Foyer des DHMD (deutsches Hygienemuseum Dresden) nach dem Tanzperformance Projekt »Heim@«, abgebaut.
Als Raum-Skulptur wurde er tänzerisch interpretiert. Die für den Pavillon entwickelte Tanzperfomance Heim@ hinterfragte die Aneignung der Fremde als Heimat. Nachdem die raumgreifende Installation in seine Einzelteile zerlegt und einer klaren Kategorisierung der Bestandteile hochkomprimiert im LKW verstaut und gesichert war, verließ er die Heimat in Richtung Süden, um in der Fremde eine neue Heimat zu finden.
Der zweitägige Road Trip mit Überquerung der Alpen brachte den Pavillon und sein Aufbauteam in die Toskana.
In Siena, der italienischen Partnerstadt Weimar wurden Pavillon und Team herzlich empfangen und sogar von der Polizei vor den Dom eskortiert. Auf dem Domplatz errichtete das Pavillon-Team der Bauhaus-Universität in Zusammenarbeit mit Sienesischen Handwerkern und an prominenter Stelle, am Fuße der Cattedrale Metropolitana di Santa Maria Assunta, die mit ihrer charakteristischen schwarz-weißen Marmorverblendung eines der bedeutendsten Beispiele der gotischen Architektur weltweit ist, den Pavillon in einem Tageswerk.
Collaborazione
Diese Zusammenarbeit war sehr beeindruckend. Nach kurzer Zeit flauten die aufgebrachten italienischen Diskussionen von Personen der Stadtverwaltung, Ordnungshütern und Handwerken direkt oder über Telefon geführt, ab und es entstand ein fast performativ anmutendes, handwerkliches, gemeinschaftliches Zusammenspiel. Was an die Worte Gropius denken ließ, die er vor 100 Jahren im Gründungsmanifest formulierte: … Bilden wir also eine neue Zunft der Handwerker ohne die klassentrennende Anmaßung, die eine hochmütige Mauer zwischen Handwerkern und Künstlern errichten wollte!
Reprints des original Bauhaus-Manifestes, mit dem von L. Feininger gestaltenden Titelbild einer kristallinen gotischen Kathedrale als Sinnbild des gemeinschaftlich zu gestaltenden Gesamtkunstwerks, waren Teil der amtlichen Übergabe des Pavillons von der Stadt Weimar, vertreten durch den Oberbürgermeister Peter Kleine an seinen Amtskollegen Luigi De Mossi. Kleine verwies auf das 25-jährige Bestehen der partnerstädtischen Verbindung und wünschte sich ein Aufrechterhalten der nun wiederbelebten Kooperation beider Partnerstädte.
Julia Heinemann, die das Projekt verantwortete und als Vertreterin der Bauhaus-Universität Teil der Weimar Delegation war, verwies in ihrer Ansprache auf die Bedeutung des Bauhauses nicht nur in Hinblick auf das Design, die Architektur und die darin entstandenen Objekte, sondern auf den in die Zukunft gerichteten Blick der Schule: auf das Bildungskonzept, die neue Raumauffassung, Kooperation und das Denken in größeren, ganzheitlichen Zusammenhängen.
All dieses verkörpert der Pavillon nun auch in seiner Entstehungsgeschichte vor Ort.
Wie ein Satellit steht er dem massiven dickwandigen, monumentalen Kathedralenbau gegenüber und kündet von einer beiden zugrundeliegenden Idee, die wieder aufgenommen und weitergedacht werden sollte.
Nachdem die Stadtvertreter als abschließende Amtshandlung die italienischen Infotafel am Pavillon befestigt hatten und damit auch der Sinngehalt an die Stadt Siena übergeben war, überreichte OB Kleine einen weiteren, etwas kleineren Kubus. Ein mit dem Red Dot ausgezeichnetes Baukastensystem namens PLATTENBAU, welches von Heinemann entwickelt und als didaktisches Mittel heute in der Lehre an der Bauhaus Universität Weimar eingesetzt wird.
Auch dieses metaphorisch als Sinnbild des modularen, vielschichtigen und zugleich abstrakten Raumgedankens und Zusammenspiels verschiedenster Einzelteile, die immer wieder harmonisch in einer neuen Gesamtkonstellation zusammengefügt werden können, in der jedes Teil, unabhängig von Größe und Ausrichtung, seine ganz bestimmte Funktion einnimmt, um das Gesamtkunstwerk zu ermöglichen.
Nach einer arbeitsintensiven und erhebenden Forschungs- und Botschafter Reise bot die zweitägige Heimreise aus der Toskana Zeit, die intensiven Erlebnisse gedanklich zu sortieren und die jeweiligen Einzelerlebnisse in einen größeren Zusammenhang zu verorten und weiterzudenken …
Ein besonderer Dank gilt den drei Master-Architekturstudenten Peter Schend, Martin Schinzel, Christoph Steinhäuser sowie dem wissenschaftlichen Mitarbeiter der Professur Bauformenlehre Louis Thomet, dem Spezialisten Christian Kaiser, den italenischen Handwerkern der Firma Soldati und dem Koordinator der Stadt Siena Carlo Infantino, sowie dem Pressesprecher der Stadt Weimar, Andy Faupel.
Julia Heinemann
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