Liebe Familie und liebe Freunde von Hilde, lieber Nino!
Nino, ich danke Dir und Hilde dafür, dass ihr mich gebeten habt, an diesem traurigen Tag einige Worte zu sprechen, als Freund, als ehemaliger Kollege und Mitstreiter an vielen Fronten, aber auch im Namen der Universität und Fakultät, an der wir beide so gerne und so lange gelehrt haben.
Hilde und ich haben beide Spuren in Weimar hinterlassen, jede/jeder für sich, aber auch gemeinsam - an der Universität und in der Stadt Weimar. Die deutlichste Spur ist wohl der Erweiterungsbau der Herzogin Anna Amalia Bibliothek, der 5 Jahre intensive Zusammenarbeit von uns abverlangte. Es war das größte Projekt, an dem wir gemeinsam gearbeitet haben.
Als wir uns im Jahr 2000 dazu entschieden hatten an dem Wettbewerbsentwurf gemeinsam teilzunehmen, ahnten wir, dass daraus eine gute Zusammenarbeit werden könnte. In 5 Jahren kollegialer Zusammenarbeit an der Hochschule war eine gegenseitige Sympathie aus Ähnlichkeiten wie auch aus Verschiedenheiten gewachsen. Ähnlichkeiten in der Denkart und gestalterischen Absichten und Verschiedenheiten im Temperament und in den Erfahrungen, die wir beide im Studium, mit Vorbildern und auch mit eigenen Arbeiten bis dahin gemacht hatten. Wir dachten ähnlich über Architektur und über die Lehre. Sonst hätte unsere Freundschaft ein Projekt von der Größe des Erweiterungsbaus der Herzogin Anna Amalia Bibliothek möglicherweise nicht überstanden. Aber selbst unter diesen guten Voraussetzungen war eine Zusammenarbeit an einem Projekt dieser Größenordnung und Komplexität natürlich ein Risiko. Man stelle sich zwei Maler vor, die an einem Bild oder Zwei Musiker, die an einer Komposition arbeiten. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Architektinnen und Architekten an einem Entwurf arbeiten aber es erfordert einen besonderen Charakter. Hilde hatte diesen besonderen Charakter. Sie war eine begabte Architektin und sie hatte einen klaren Kopf und sie verfolgte ihre Ziele mit Bestimmtheit, sie war jedoch nie dogmatisch oder rechthaberisch. Es war einfach, mit Hilde zu arbeiten, auch dann, wenn wir nicht einer Meinung waren. Hilde konnte ernst und spielerisch zugleich sein. Hilde war neugierig, aber sie sprang nicht auf jedes Pferd, das vorbeigeritten kam. Sie war kämpferisch, aber sie war realistisch genug, um zu wissen, wann sich ein Kampf lohnte und wann nicht. Und sie hatte einen optimistischen und zuversichtlichen Blick auf die Welt. Das war motivierend für alle, die in ihrer Nähe waren. Das alles und mehr machte sie auch zu einer sehr guten Lehrerin und es überrascht nicht, dass ihre Studentinnen und Studenten immer wieder Preise gewannen. Sie war eine beliebte und geschätzte Professorin. Sie war geschätzt für ihr fundiertes Wissen in ihrem Fach, sie war geschätzt für ihre klare Urteilsfähigkeit in Fragen der Gestaltung und sie war beliebt wegen ihrer persönlichen Anteilnahme an der Entwicklung ihrer Studentinnen und Studenten.
Ich lernte Hilde vor 25 Jahren über ihre Bewerbung und ihren Berufungsvortrag kennen. Sie hatte sich auf den Lehrstuhl für ‚Entwerfen und Siedlungsbau‘ beworben, eine Professur, die ihr nicht auf den Leib geschrieben war, was die Kommission glücklicherweise nicht allzu hoch bewertete. Und sehr zu Recht, ließ sie die Widmung ihrer Professur später in ‚Entwerfen und StadtArchitektur‘ umändern. Ihre Bewerbung bestach damals durch ihre Klarheit: Die studentischen Arbeiten, die sie am Lehrstuhl des Kollegen Alfred Grazioli an der UDK in Berlin mitbetreut hatte, und ihre eigenen städtebaulichen Arbeiten waren eine ideale Ergänzung des Profils der Fakultät.
Ihre Texte waren bestechend klar, unprätentiös und so geschrieben, dass es Freude machte sie zu lesen. Ihre Bewerbung sprühte Optimismus für den Beruf und für die Lehre aus. Ihr Berufungsvortrag bestätigte alle Erwartungen, die ihre Bewerbung geweckt hatte. Er war ebenso bestechend und klar wie ihre Bewerbung – und sehr wahrscheinlich, druckreif vorgetragen. Aber – auch daran kann ich mich erinnern: ich war ein wenig eingeschüchtert. Und ich überlegte still und heimlich, ob sie vielleicht ein bisschen zu selbstbewusst, abgehoben oder sogar arrogant sei? Alle kritischen Fragen blitzten an ihr ab, mehr Souveränität konnte man nicht ausstrahlen. Sie war überaus überzeugend und sie ließ ihre Mitbewerber weit hinter sich. Sie wurde berufen und wir begegneten uns häufiger – in Kommissionen, in Preisgerichten, wir luden uns gegenseitig zu Kritiken ein, wir organisierten zusammen eine Sommerakademie und wir teilten uns sogar eine Zeitlang eine Wohnung und ich lernte ihren lieben Mann, den Maler, Nino Malfatti kennen. In dieser Zeit erfuhr ich sehr schnell, dass Hilde alles andere als arrogant und überheblich war und es entwickelte sich eine enge und kollegiale Freundschaft.
Hilde war nicht einseitig begabt. Wegen ihrer Klarheit und ihres Realitätssinns war sie geschätzt: in Gremien, in Preisgerichten und in Gestaltungsbeiräten. Sie war eine Zeit lang Prorektorin und sie war vom Beginn ihrer Professur bis zu deren Ende Mitglied im Fakultätsrat. Wenn Hilde einen Raum betrat, beeindruckte sie mit ihrer eleganten Erscheinung; wenn sie den Raum verließ, blieben ihre rhetorische Klarheit und ihre Fähigkeit eine Diskussion zu befeuern in Erinnerung. Und sie konnte jedes Gremium erden.
Zu meinen Erinnerungen an Hilde wird auch bleiben, dass sie ein Beispiel immenser und hingebungsvoller Belesenheit war. Sie verschlang Bücher und war eine unerschöpfliche Quelle für Buchempfehlungen. Ich schätzte mich glücklich, wenn auch ich einmal einen Treffer bei ihr landen konnte. Sie hat selbst ein Buch zusammen mit Stefan Signer herausgebracht, das sich sehen lassen kann, wunderschön gestaltet von Kathrin Schmuck. Es ist vor kurzem erschienen und besitzt die Eigenschaften, die mir bei Hilde so vertraut geworden waren: Elegante und klare Gestaltung, Klugheit, fundiertes Wissen und eine großzügige Beteiligung von talentierten Mitstreitern.
Hildes Leben und Wirken wurde in den letzten sieben Jahren durch ihre Krankheit getrübt, aber das veränderte ihren Charakter nicht, zumindest nicht, wenn ich sie traf.
Sie blieb optimistisch, engagiert und liebenswürdig.
Sie ist viel zu früh gestorben.
Karl-Heinz Schmitz
20. Januar 2021
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