Mit der einfachen Frage „Whose Heritage?“ erörtert Stuart Hall kulturelles Erbe als hegemoniale, nationale Narrative, die in Museen, Städten und Büchern des globalen Nordens ein kognitives Wissenssystem abbilden und über Bedeutungszuweisungen kollektive „Werte“, „nationaler Identität“ und somit (Nicht-)Zugehörigkeiten konstruieren. Im Vortrag wird die Frage „Wessen Erbe?“ um die Fragen „Wessen Identität?“, „Wessen Wissen?“ und letztlich auch „Wessen Räume?“ und „Wessen Architektur?“ erweitert, um die Frage nach Zugehörigkeit, Bedeutung und Macht weiter zu verkomplizieren.
Ausgehend von Kolonialität als Kehrseite von Modernität (Walter Mignolo) und einer „Ökologie der Wissensformen“ (Boaventura de Sousa Santos) wird im Vortrag anhand eines konkreten Falls in Berlin diskutiert, wie der hegemoniale Kanon moderner Architekturgeschichte bis in die Gegenwart verwoben ist mit kolonialer Gewalt und Rassismus, aber zugleich das Potential in sich trägt, „das Unmögliche zum Sprechen zu bringen […] und Perspektiven auf die eurozentrische Geschichte zu ‚dezentrieren‘“ (Noa K. Ha). Worauf basiert denn das „Wissen“, aus dem sich unsere Konzeption von Architektur und Stadt, unsere Vorstellungen von Ästhetik und Funktionalität speisen? Wie (re)konstruieren wir mit ihm und durch Architektur (Nicht-)Zugehörigkeiten, strukturellen Rassismus und Kolonialität?
Niloufar Tajeri ist Architekturtheoretikerin und Aktivistin und lebt in Berlin. Sie studierte Architektur in Karlsruhe und arbeitete in Kabul und Herat, Rotterdam und Amsterdam sowie in Dubai. Sie lehrt und forscht als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur und Stadt (GTAS) der TU Braunschweig. Während ihres Stipendiums an der Akademie Schloss Solitude setzte sie sich mit urbanen Aufständen im Kontext neoliberaler Stadtentwicklung auseinander. Der aus dieser Beschäftigung heraus entstandene Sammelband „Nights of the Dispossessed: Riots Unbound” (Columbia Books on Architecture and the City, 2021) wurde von der Graham Foundation gefördert. In der Publikation „Kleine Eingriffe. Neues Wohnen im Bestand der Nachkriegsmoderne“ (Birkhäuser Verlag 2016) sammelt sie Reflexionen von Architekt*innen, Theoretiker*innen und Historiker*innen zu sozial-ökologischen Sanierungsansätzen und behutsamen Eingriffen in die Wohnungsgrundrisse aus der Nachkriegszeit. Von der Militarisierung und Kolonisierung öffentlichen Raums durch internationale Akteure handelt das Heft „Kabul – Public City Secure City“ (Archis Foundation, 2008), das als Beilage zum Volume Magazin veröffentlicht wurde.
Der Vortrag findet in Erfurt am Standort Schlüterstr. 1 der Fachhochschule statt (Aula). Für die Teilnahme in Präsenz in der Aula bitte Anmeldung per E-Mail an: nikolai.roskamm@fh-erfurt.de. Beachten Sie die derzeit geltenden Zutrittsbeschränkungen für die Räumlichkeiten der FH Erfurt.
Alle Termine der Reihe im Überblick:
Beginn jeweils 18.30 Uhr, soweit nicht anders angegeben.
26.10.2021
Ingrid Scheurmann
Kontinuität oder Change-Management? Denkmalpflege in Zeiten des Klimawandels
Weimar
2.11.2021
Heike Becker (Kapstadt)
Falling Monuments, Rising Memories: The politics and aesthetics of postcolonial memory cultures and urbanscape in southern Africa
Berlin
10.11.2021, 18 Uhr
Diebedo Francis Kéré
Vortrag im Rahmen der Bauhaus-Gastprofessur
Weimar
16.11.2021
Götz Aly
Geschichtsverrückt. Die Deutschen – ein Volk ohne Mitte
Berlin
1.12.2021, 18 Uhr
Marco A. M. Gabriela (Mailand)
Transnational achitectural identities: The role of fachwerk in the valorization of the German-Brazilian cultures in the Itajai Valley, Brazil, from the 1970s onwards
Dessau
7.12.2021
Johan Lagae (Gent)
“Sorry Congo !?” On the positionality of architectural history in dealing with Congo’s colonial past
Weimar
14.12.2021
Alfred Hagemann (Berlin)
Neubau mit Geschichte. Zum Umgang mit der Geschichte des Ortes am Humboldt Forum.
Berlin
11.1.2022
Alexandra Staub (Pennsylvania)
“Whose Architecture? Whose Identity? Examining Ethics and Stakeholder Theory as a Framework for Architectural Production”
Videokonferenz
18.1.2022
Niloufar Tajeri (Braunschweig)
Wessen Erbe, wessen Identität, wessen Architektur? Oder die notwendige Verkomplizierung von Geschichte, Kultur und Form
Erfurt
25.1.2022
Stephanie Herold (Berlin)
Was bleibt vom Kommen? Beheimatung und Transformation
Berlin
1.2.2022
Zvi Efrat (Tel Aviv)
Entanglement of Colonial, Decolonizing and Postcolonial Constructs in 1960’s-70’s Israeli Architecture
Weimar
8.2.2022
Rasmus Greiner (Bremen)
Cinematic Histospheres. Filmische Erlebnisräume in der audiovisuellen Erinnerungskultur
Berlin
15.2.2022
Felix Ackermann (Warschau)
Vom NKVD zu Netflix. Denkmalschutzdebatten um das Lukiškės-Gefängnis in der litauischen Hauptstadt Wilna
Weimar
Weitere Informationen zu den Vorträgen jeweils auf https://www.identitaet-und-erbe.org/category/veranstaltungen/
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