Alle müssen wohnen – schon, weil diese banale Feststellung so unbestritten ist, dass sie als Grundlage eines international festgeschriebenen sozialen Rechts dient, lässt sich vermuten, dass dem Wohnen als Praxis und den Bedingungen, die es gesellschaftlich und räumlich strukturieren, eine ebenso dauerhafte wie zwingende gesellschaftliche Bedeutung zukommt. Gerade deshalb spiegeln sich im Wohnen wie in kaum einem anderen Aspekt des menschlichen Lebens gesellschaftliche Transformationsprozesse. Epochale Umbrüche, Wandlungsprozesse und Herausforderungen lassen sich daher nicht zuletzt wie durch eine Linse mit dem Blick auf das Wohnen erfassen. Zugleich ist das Wohnen in besonderer Weise von einem spannungsgeladenen Wechselverhältnis zwischen gesellschaftlichem Wandel einerseits und seiner räumlichen Materialisierung als gebaute Form andererseits geprägt. Die gesellschaftlich hervorgebrachte gebaute Umwelt beeinflusst Alltagspraktiken und soziale Interaktionen und schafft Pfadabhängigkeiten für zukünftige gesellschaftliche Entwicklungen. Gegenwärtig zeigt sich im Angesicht von Klimawandel, Digitalisierung, Wohnungsnot und Energiekrise so deutlich wie selten zuvor die Komplexität der gesellschaftlichen Anforderungen an das Wohnen – ebenso wie die Herausforderungen seiner Transformation.
Vor diesem Hintergrund und fokussiert auf die Wohnungsregime unterschiedlicher Prägung in Europa fragt das Graduiertenkolleg danach, welche Probleme, Widersprüche und Konflikte sich aus dem Spannungsverhältnis zwischen gesellschaftlichem Wandel und räumlicher Materialisierung des Wohnens ergeben und wie die gebaute Wohnumwelt zukünftige gesellschaftliche Entwicklungspfade prägt bzw. prägen soll.
Gegenwärtig erfährt das weitgehend marktförmig organisierte und durch gesellschaftliche Individualisierung geprägte Wohnen unter den Bedingungen eines globalisierten, finanzialisierten und flexibilisierten Kapitalismus abermals einen tiefgreifenden Wandel. Dieser Wandel beeinflusst das Wohnen wesentlich auf drei Ebenen: es verändern sich subjektive Wohnpraktiken (Alltag und Aneignung), die gesellschaftliche Organisation und Verteilung (Regulierung und Steuerung) sowie Entwurf, Bau, Finanzierung und Betrieb (Produktion und Bewirtschaftung) des Wohnens. Entlang dieser Ebenen wird das Graduiertenkolleg in drei entsprechenden Arbeitsfeldern betrachten, in welcher Weise sich im Wandel des Wohnens gesellschaftliche Transformationen und räumliche Materialisierungen verstärken, verknüpfen oder auch beharrlich gegenseitig blockieren. Dabei lassen sich derzeit aus Sicht der interdisziplinären Wohnungsforschung vier grundlegende und zum Teil in sich auch widersprüchliche Trends des Wandels erkennen: Die Diversifizierung und Digitalisierung, die Privatisierung und Finanzialisierung, die soziale und räumliche Polarisierung und Prekarisierung sowie die globale Klimakrise und Ökologisierung des Wohnens.
Jeder dieser vier auf das Engste aufeinander bezogenen Trends ist geprägt von widersprüchlichen Entwicklungen und birgt in sich das Potential, die mit dem Wohnen verbundenen sozialen und ökologischen Spannungen zu vertiefen oder transformative Kräfte zu ihrer Lösung hervorzubringen. Sie wirken in räumlicher Perspektive auf Kontexte mit unterschiedlichen Rahmenbedingungen, Akteursstrukturen und Pfadabhängigkeiten ein. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass die vier Trends des Wandels mit Blick auf strukturschwache und wachsende Räume, Metropolregionen, Städte, suburbane oder ländliche Gebiete jeweils unterschiedliche räumliche Materialisierungen, Konflikte, Widersprüche und Herausforderungen hervorbringen. Es ist das explizite Ziel des Kollegs, die verwobenen und gleichwohl verschiedenen Wohnungsfragen in unterschiedlichen räumlichen Kontexten zu betrachten. Geographisch fokussiert das Graduiertenkolleg Wohnungsfragen im europäischen Kontext, um bei aller Diversität der Wohnungsregime die Forschungsergebnisse aus dem Kolleg zueinander in Bezug setzen zu können.
Die Arbeitsfelder des Graduiertenkollegs sind entlang dreier Ebenen strukturiert: Alltag und Aneignung, Regulierung und Steuerung sowie Produktion und Bewirtschaftung, in denen sich die vier gegenwärtigen Trends des Wandels des Wohnens in besonderer Weise manifestieren. Alle drei Arbeitsfelder bieten eine Vielzahl innovativer und bislang in der grundlagenbezogenen Forschung noch wenig berücksichtigter Untersuchungsgegenstände für Dissertationsvorhaben, die über das Leitthema des Kollegs zusammengefasst werden.
Die Einbindung der Postdoc-Stelle in das Forschungsprogramm des Kollegs erfolgt über den Aufbau und die Leitung eines transdisziplinären Wohnlabors, welches am Institut für Sozialforschung (IfS) in Frankfurt am Main angesiedelt sein wird. Als langfristig angelegte Forschungsinfrastruktur zielt das Wohnlabor darauf ab, die gesellschaftliche Transformation und räumliche Materialisierung des Wohnens über zivilgesellschaftliche Interventionen sowie politische, ökonomische oder bauliche Experimente zu erforschen und dabei aktiv mitzugestalten. Mit der Konzeption, Durchführung und Leitung von verschiedenen partizipativen Forschungsprojekten erhält der/die Stelleninhaber/in die Möglichkeit, ein eigenes Forschungsprofil mit einem Schwerpunkt auf methodologischen und methodischen Fragen einer transdisziplinär ausgerichteten Wohnungsforschung zu entwickeln.
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