SoSe 2022, BA – appoggiando_ Anlehnung / rimodellamento_ Umformung

appoggiando

Claude Nicolas Ledoux, la barrière du Trône (Bild: Clemens Helmke 2014)
Claude Nicolas Ledoux, la barrière du Trône (Bild: Clemens Helmke 2014)

 

Anlehnung 

«So nimm nun wie von einer in zwei geteilten Linie die ungleichen Teile und teile wiederum jeden Teil nach demselben Verhältnis, das Geschlecht des Sichtbaren und das des Denkbaren: (...) Und nun nimm mir auch die diesen Teilen zugehörigen Zustände der Seele dazu, die Vernunfteinsicht dem obersten, die Verstandesgewissheit dem zweiten, dem dritten aber weise den Glauben an und dem vierten die Wahrscheinlichkeit; (...)»(1) Im Liniengleichnis von Platon werden Sichtbares und Denkbares innerhalb einer Reihung verschiedener Wissensgrundlagen zueinander in Beziehung gesetzt. In unserem Semesterprojekt begehen wir eine Recherche im Zusammenhang mit dem Entwerfen; wir Forschen durch das Entwerfen. Sie sucht nach strukturellen Perspektiven in der Architektur und Kunst, umfasst Kulturwissenschaft, Literatur-, (in Teilen auch) Naturwissenschaft, Soziologie, Philosophie. Beim Forschen durch das Entwerfen beobachtet die forschende Entwerfer:in das Thema aus einer Distanz heraus. Die Beobachtung erfolgt aus der Perspektive der Erkennbarkeit und entwickelt daraus neues Verständnis. Als Material dienen uns Fotos, Geschichten, Erzählungen, Objekte, Bilder und Zeichnungen. «Die Metamorphose von Pflanzen», die Johann Wolfgang von Goethe 1790 erarbeitete, die Morphologie, ist auch Teil unserer Betrachtung. Im Zusammenhang mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, z.B. der Biotechnik, in der es vereinfacht darum geht, Methoden natürlicher Formfindungen zu betrachten und bezogen auf die Architektur von den räumlichen Bedingungen und Menschen erzeugte Formen zu untersuchen, zu verbessern, oder für eine industrielle Nutzung brauchbar zu machen, wollen wir Anwendungen von Formen in der Architektur studieren. Forschen durch das Entwerfen geht von den Materialien und den Abläufen aus. Es ist ein systematisches Forschen durch praktische Herausforderungen im Entwurf von Architekturen, Artefakten, Objekten, die dazu führen, neue Information und Konzepte in mitteilbare Erkenntnis zu verwandeln. Skizzen helfen die Wahrnehmung zu trainieren, um Physiognomien herauszuarbeiten und anhand von Kollagen und Foto Sequenzen wird die Relevanz kulturwissenschaftlicher Recherche im Bereich der Architektur, Kunst zur analytischen Erfassung von Entwurfsprozessen deutlich. Wir betrachten Ereignisse unter dem Gesichtspunkt der Veränderbarkeit, wobei hierbei überwiegend neue Erkenntnisse durch Modelle und Zeichnungen entstehen. In einer späten Entwurfsphase ist das Wissen im Objekt, in der Architektur selbst verkörpert, es entsteht eine diskursive und bildliche Kommunikation. Eine nachträgliche Analyse des Entwurfs hat bisher immer zu aufschlussreichen Erkenntnissen geführt. Zum Beispiel beschreibt Maurice Merleau-Ponty den menschlichen Körper als das «zur-Welt-sein»: «Der Leib ist das Vehikel des «Zur-Welt-Seins», und einen Leib haben heißt für den Lebenden, sich einem bestimmten Milieu (hier als Umwelt) zugesellen, sich mit bestimmten Vorhaben identifizieren und darin beständig sich engagieren.» Merleau-Pontys «zur Welt sein» zeigt auf, mit welchen Besonderheiten, an der Schwelle von Innen- und Außenwelt, interagiert werden kann. Mit Hilfe Merleau-Pontys Theorien wollen wir der Frage nachgehen, «was uns die Dinge sagen» und womit im Prozess des forschenden Skizzierens und Zeichnens interagiert werden kann. Der Prozess und das Einlassen auf ein Forschen durch das Entwerfen ist das Ziel unserer Aufgabenstellung.

Zitate:
(1) Platon: Der Staat, Gunther Eigler (Hrsg.), Platon, Werke in acht Bänden, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2005
(2) Maurice Merleau-Ponty: Phänomenologie der Wahrnehmung 1945, De Gruyter Verlag, Berlin

Bemerkungen:
Richtet sich an: 2.KM B.Sc.A

rimodellamento

Danzig (Bild: Clemens Helmke 2020)
Danzig (Bild: Clemens Helmke 2020)

 

Umformung

Für etwas stehen, sich auf etwas beziehen, auf etwas verweisen: Schon Aristoteles bemerkte in seinen Ausführungen über die «hexis» (Haltung): «Erfahrung, griechisch «empeiria», ist «etwas von langjähriger Übung, Geschicklichkeit, Fachkunde, Bewährung und einsichtiger Tüchtigkeit.» Sie steht in enger Beziehung zu zwei anderen Begriffen, «techne» (Kunstfertigkeit, Können) und «episteme» (Wissen). «Bei den Menschen entsteht Erfahrung aus der Erinnerung, denn die wiederholten Erinnerungen schließen sich in der Verfügbarkeit einer einzigen Erfahrung zusammen, wie denn Erfahrung sowohl der Einsicht, wie dem Können ähnlich zu sein scheint.» (...) Wir müssen, sagt Aristoteles, unendlich viele Dinge lernen, weil wir sie nicht mit auf die Welt gebracht haben - wir lernen sie, indem wir sie als Tätigkeiten ausführen: «Denn was man erst lernen muss, bevor man es ausführen kann, das lernt man, indem man es ausführt. Baumeister wird man, indem man baut (…)» (1)

In unserem Semesterprojekt stellen wir anhand von theoretischen Auseinandersetzungen Texte, Material über Architekt:innen, Künstler:innen und deren Verwendung von Skizzen gegenüber und erarbeiten nachvollziehbare Zusammenhänge mit dem gefundenen Material. Es geht hierbei um sich wechselseitig bedingende Aspekte von Sicherinnern und Erkennen, Wiederholung und Differenz, Reproduktion und Reflexion. Skizzen können Ergebnis eines vorgestellten Bildes oder eine Mischung aus Vorstellung, Wahrnehmung und sprachlichen Bildern sein; sie können selbst visuelle Vorstellungen hervorrufen. Diese Vorstellungen können beim Skizzieren Metaphern hervorbringen, die es ermöglichen, imaginäres zu erfahren. Forschende Zeichnungen sind gegenüber verbalen Metaphern bildhaft und die bildhafte Ebene ist im kognitiven Denken das Bindeglied zu konkreten Erfahrungen. Jede von ihnen leistet mehr als nur Assoziationen zusammenzuführen; sie bilden unerwartete, neue Bedeutungen aus der gesamten Erfahrung der Entwerfer:in. Es soll gezeigt werden wie das Skizzieren als Werkzeug nicht (nur) für die Vorstellung, sondern als Hilfsmittel dem Entwerfen dient. Architekt:innen nutzen die beschreibende Skizze um mit sich selbst in Dialog zu treten, sich selbst über ihr Entstehen und Verwirklichung bewußt zu werden. Im Prozess des Skizzierens ist das konsequente Selektieren, ordnen, kein Ergebnis des zufälligen Weglassens. Mit Hilfe zunächst vager Vorstellungen sich dem Gefundenen anzunähern, ist genau das, was im Prozess des Skizzierens geschieht; eine direkte Hinführung zum Entwurf. Das nicht abgeschlossene, nicht präzisierte, Vorläufige, ermöglicht uns das Zeichenhafte umzuinterpretieren und es in unseren persönlichen, metaphorischen Raum zu stellen. Figurenstudien aneinanderzureihen, übereinanderliegend zu zeichnen, zu spiegeln, Objekte perspektivisch zu drehen, sind in Studienskizzen von Leonardo da Vinci zu sehen. «(…) denn in der Wahrnehmung verworrener Dinge findet der Geist Anregung zu neuen Erfindungen.»(2) 

Anhand von Leonardos Wasserstudien zeigt sich, dass es keine Trennung zwischen technischer Zeichnung und künstlerischem Entwurf gibt. Es ist hier sehr anschaulich zu erkennen, daß der Prozess des Zeichnens selbst etwas hervorbringt. «Statt den Einfall am Papier festzuhalten, hält die Skizze den Strom der Vorstellungen in Bewegung. Im Suchen nach einer neuen Lösung, entwickelte Leonardo neue Bedeutungen in den Formen, die er in seinen vorhandenen Skizzen sah.» (3) 

Zitate:
(1) Lutz Geldsetzer: Philosophie der Kunst, Zitat Aristoteles, Düsseldorf 2010
(2) Leonardo da Vinci: Trattato della pittura,1663
(3) Ernst Gombrich: The Essential Gombrich, Surkamp, London 1996

Bemerkungen:
Richtet sich an: 2.KM B.Sc.A.