SoSe 2017, BA - Vice versa / Zwischen den Zeilen

Sommersemester 2017

Vice versa - from experience to abstraction

Heiliges Grab, Alberti, Florenz, Italien (Bild: Clemens Helmke 2016)

Die Poesie der Schrift eröffnet uns überraschende Lesbarkeiten in Bezug auf die Architektur, wenn wir das Entwerfen im Sinne des «Einschreibens» verstehen. «(grch: kalos (καλοσ) = schön; graphein (γραφειν) = schreiben)»; die Gestaltung mit Schrift ist bildgewordene Sprache. In der Brockhaus Enzyklopädie wird Schrift als ein: «(...) durch Zeichnen, Malen, Kerben, Ritzen, auch mit eigenen Schreibwerkzeugen (...), erzeugtes graphisches Zeichensystem als Kommunikationsmittel, das sprachliche Mitteilungen aus der Hörbarkeit in die Sichtbarkeit umsetzt und dauernd verfügbar macht», definiert. (1) Ziel der experimentellen Entdeckungsreise, der Verbindung von Architektur, Schrift und Text ist nicht die direkte Lesbarkeit. Aufbauend auf experimentelle Erfahrung, die sich nicht nur auf Rhythmus, Bewegung und Zeichen beschränkt, versuchen wir eine Sprache in der Architektur zu entwickeln, die ohne Worte auskommt. Der Entwurfsprozess soll hierbei auf verschiedene Weise wie ein Schreibprozess hervorgebracht werden. Ausgewählte Orte und Texte sind in der gedanklichen Vorstellung vorhanden, werden aber nicht getreu wiedergegeben, sondern vereinfacht, abstrahiert als architektonisches Schriftbild erzeugt. Mit unkonventionellen Werkzeugen, Materialien, Denkweisen und Einschreibungen unternehmen wir eine Übersetzung in die Architektur und entwickeln neue Bilder. Aus Ludwig Wittgenstein, Architekt, Philosoph, Poet: «Der Satz ist vollkommen logisch analysiert, dessen Grammatik vollkommen klargelegt ist – in welcher Ausdrucksweise immer. Möglich und nötig ist, das Wesentliche unserer Sprache vom Unwesentlichen zu sondern – was auf die Konstruktion einer phänomenologischen Sprache hinauskommt. (...) Wie seltsam, wenn sich die Logik mit einer «idealen» Sprache befaßte, und nicht mit unserer! (...) Gedanken – oder auch: Erwartung, Wunsch etc. – nenne ich das, was einen artikulierten Ausdruck hat. (...) Wenn man das Element der Intention aus der Sprache entfernt, so bricht ihre ganze Funktion zusammen.» (2)

 

Zitate:
(1) Brockhaus Enzyklopädie, 19. Auflage, F.A. Brockhaus GmbH, Mannheim, 1986
(2) Ludwig Wittgenstein, Philosophische ­Bemer­kungen, Nachlass: herausgegeben von Rush Rhees, Suhrkamp, 1984

 

Orte und Inhalte:
Innerstädtische Orte von histo­rischer ­Bedeutung, Wohnungs- und Gemeinschafts­nutzungen, ­Arbeits- und Kultur­welten, Infrastrukturen

Bemerkungen:
2. Kernmodul (Bachelor) – 12LP
Entwurf: 8 SWS, Workshop: 2 SWS, + Exkursion
Die Teilnahme an der Exkursion mit Workshop ist gewünscht.

Zwischen den Zeilen - und umgekehrt

Neonmuzeum, Warschau (Bild: dorobillard 2015)

In welcher besonderen Beziehung Architektur und Sprache zueinander stehen können und in welcher Form die Architektur zu Wort kommt, ist die Aufgabe unseres Semesterprojekts. Die architektonische Auseinandersetzung mit der Sprache läßt sich auf unterschiedliche Weise betrachten: als Portrait, als Transformation, als Übersetzung einer Erzählung in räumliche Strukturen in Form von Assoziationen. Bei Victor Hugo ist die «Kathedrale von Notre-Dame» ein Buch der Geschichte und der Kultur einer Gesellschaft, eine «Chronik aus Stein». «Ceci tuera cela», (ceci = das Buch; cela = das Bauwerk)» (1). 

Das Denken über Raum und Erinnerung, Gedächtnis und Gesellschaft verändert sich zunehmend. Im Projekt bearbeiten wir Zwischenräume und Übergänge in denen die Architektur und Literatur im Raum der Stadt interagieren. Die Erzählung, der Roman, theoretische Schriften zur Architektur und Photo-Graphie sind Ausgangspunkt unserer Betrachtungen. Wir thematisieren ästhetische und soziale Aspekte der Architektur, in denen Räume als kulturelle Gedächtnisse von Erfahrungen, Ereignissen und Erkenntnissen fungieren; als Orte des Überlieferns und Erinnerns. Victor Hugo stellt die Architektur als eine besondere Form von Schrift dar, eine Art «Einschreibung des Menschen in den Raum». In Stadtlektüren und Reiseerzählungen wird die Architektur als kollektives Werk dargestellt, an denen Generationen ihre Spuren hinterlassen haben, die Surrealisten verweisen auf das Unbewusste der Stadt, indem sie ihre mythische Besonderheit aufzeigen, Walter Benjamin beschäftigt sich mit der Frage nach der Lesbarkeit der Stadt und Roland Barthes definiert die Stadt als «discours», als «écriture» und bezeichnet denjenigen, der sich in ihr bewegt, als «une sorte de lecteur».(2) Ein Zueinander-Bringen dieser Räume beschreibt Eduardo Chillida in einem Gespräch als etwas Weiterführendes: «Nicht jede Stelle ist schon ein angemessener Ort. Dieser zeichnet sich vor allem durch eine gewisse Aktivität aus, er ist selbst etwas Lebendiges. Er öffnet eine Gegend, würde Heidegger sagen, er bringt verschiedene Dinge zueinander.»(3)

Zitate:
(1) Victor Hugo, Notre-Dame de Paris, Paris, Charles Gosselin, 1831
(2) Roland Barthes, Sémiologie et urbanisme, Paris, 1985
(3) Eduardo Chlilida, Gespräch mit F. Mennekes, M. Schleppinghoff und K. Danch, Köln, 1993

 

Orte und Inhalte:
Innerstädtische Orte von histo­rischer ­Bedeutung, Wohnungs- und Gemeinschafts­nutzungen, ­Arbeits- und Kultur­welten, Infrastrukturen

Bemerkungen:
2. Kernmodul (Bachelor) – 12LP
Entwurf: 8 SWS, Workshop: 2 SWS, + Exkursion 
Die Teilnahme an der Exkursion mit Workshop ist gewünscht.
Die Vertiefung als Bachelor-Thesis wird empfohlen.