WiSe 2022-2023, MA – Wunderbar verwandelt / BA – Ungerahmte Welt

Wunderbar verwandelt

Charles W. Moore, John Ruble & Buzz Yudell, Am Tegler Hafen, Berlin – Tegel (Bild: Clemens Helmke 2022)
Charles W. Moore, John Ruble & Buzz Yudell, Am Tegler Hafen, Berlin – Tegel (Bild: Clemens Helmke 2022)

 

wonderfully transformed 

In einem Vortrag am Pratt Institute NYC beschrieb Mark Rothko seine Bilder als Fassaden «(…) Meine Bilder sind tatsächlich Fassaden (wie sie hin und wieder beschrieben wurden). Manchmal öffne ich eine Tür und ein Fenster, manchmal zwei Türen und zwei Fenster. Ich mache das mit Absicht. Es liegt mehr Kraft darin, wenig zu sagen als darin, alles zu sagen.» (1) Auf der 29. Biennale in Venedig wurden eine Werkgruppe großformatiger Bilder Rothkos ausgestellt. Er legte großen Wert darauf, daß seine Bilder imstande waren, mit dem Körper des Betrachters eine direkte räumliche Beziehung einzugehen, ihn, bei Nahansicht, zu umhüllen. Seine Gemälde sollen tief hängen, knapp über dem Fußboden; diese Hängung erlaubt ein In-Sich-Versinken. 

«Ein kleines Bild zu malen bedeutet, sich außerhalb seiner Erfahrungen zu sehen, sie stereooptisch oder mit einem Verkleinerungsglas zu betrachten. Malt man dagegen ein größeres Bild, steckt man mitten in ihm, es ist nicht etwas, über das sich verfügen läßt.» (2) In Rothko‘s Chapel, in der 14 Gemälde Rothkos beherbergt sind, erfahren wir eine herausfordernde, transzendentale räumliche Begegnung von Architektur und Malerei. Dieses religiöse Ereignis, das den Gemälden Rothkos innewohnt, findet in dieser Kapelle in Houston Texas räumlichen Ausdruck und vermittelt eine Art universal - religiöse Erfahrung, ohne sich einem bestimmten Glauben anzuschließen. In unserem Semesterprojekt versuchen wir diese räumliche Erfahrung auf den dichten Stadtraum einer Metropole zu übertragen und an einem sehr präsenten, ungewöhnlichen Ort in linearer Kontinuität zu entwickeln. Eine gebaute Linie in der vertikalen und horizontalen Erstreckung ist Teil der Herausforderung. In unserem Entwurf verfolgen wir ein ganzheitliches Zusammenspiel zwischen ökologischen, ressourcenschonenden Baumaterialien, ökonomischen und kulturellen Aspekten; es soll eine umfassende nachhaltige Architektur entstehen, die einen hohen Lebensstandard für alle Menschen in jeder Lebensphase ermöglicht. Lineare Kontinuität_ die Linien_ sie wirken formgebend und sind von daher nie losgelöst von ihrer Funktion zu betrachten. Die gezeichnete Linie ist nicht nur Abstraktion, sondern umreißt zugleich eine abstrakt – konkrete Form, die jede illusionistische Körperhaftigkeit negiert und die Flächigkeit betont. Es haftet der gezeichneten Linie etwas Unvollständiges an. Eine Umriß-Linie wird z.B. durch Geschloßenheit oder Umschloßenheit als Form wahrgenommen; sowie die Gestalt eines Gegenstandes durch seine Grenzen bestimmt wird, so erscheint eine durchgehende Umriß-Linie als Grenze einer Form in der Fläche. Damit hat die Linie zugleich eine teilende und eine verbindende Funktion. Sie wird überhaupt nur als Linie wahrgenommen, weil sich zwei Räume verbinden, die dennoch getrennt bleiben; sie unterstreicht zugleich die Körperhaftigkeit und Materialität der Räume. In ihrer Kontinuität hat jede gekrümmte Linie, auch wenn sie nicht ganz in sich zurückkehrt, und ebenso auch jeder Winkel eine Innenseite und eine Außenseite. Heinrich Wölfflin erkannte im linearen Sehen eine Analogie zum Tastsinn. «Lineare Kontinuität fesselt die Aufmerksamkeit und zwingt das Auge in eine Nachzeichnungsbewegung. (…) Linear sehen heißt dann, dass Sinn und Schönheit der Dinge zunächst im Umriss gesucht wird – auch Binnenformen haben ihren Umriss –, dass das Auge den Grenzen entlang geführt und auf ein Abtasten der Ränder hingeleitet wird.» (3)

Zitate:

(1) Mark Rothko: Schriften 1934-1969, hrsg. Miguel Lopez-Remiro, Schmieheim 2008
(2) Bernhard Kerber: Die ökumenische Kapelle in Houston, Ausstellungskatalog – Gegenwart. Ewigkeit. Spuren des Transzendenten in der Kunst unserer Zeit, Martin-Gropius-Bau Berlin, hrsg. Wieland Schmied, Stuttgart 1990
(3) Heinrich Wölfflin: Prolegomena zu Einer Psychologie der Architektur, Inaugural Dissertation, München 1886

Bemerkungen:
Richtet sich an: PM 1.-3. Fachsemester Master Architektur (M.Sc.A. & M.Sc.U)

Ungerahmte Welt

Palmen in Berlin, Engelbecken (Bild: Clemens Helmke 2020)
Palmen in Berlin, Engelbecken (Bild: Clemens Helmke 2020)

 

unframed world

Sguardo nell'infinito_ In J.H. Campes Wörterbuch der Deutschen Sprache ist die Landschaft als «eine Gegend auf dem Lande, so wie sie sich dem Auge darstellet» (1), beschrieben. Den Prozess, der die Natur zur Landschaft macht, beschreibt Georg Simmel_ «Unzählige Male gehen wir durch die freie Natur und nehmen, mit den verschiedensten Graden der Aufmerksamkeit, Bäume und Gewässer wahr, Wiesen und Getreidefelder, Hügel und Häuser und allen tausendfältigen Wechsel des Lichtes und Gewölkes – aber darum, dass wir auf dies einzelne achten oder auch dies und jenes zusammenschauen, sind wir uns noch nicht bewusst, eine Landschaft zu sehen. (…) Ein Stück Natur ist eigentlich ein innerer Widerspruch; die Natur hat keine Stücke, sie ist die Einheit eines Ganzen (…). Für die Landschaft aber ist gerade die Abgrenzung (…) wesentlich, (…) ein vielleicht optisches, vielleicht ästhetisches, vielleicht stimmungsmäßiges Für-sich-Sein. (…) Wo wir wirklich Landschaft und nicht mehr eine Summe einzelner Naturgegenstände sehen, haben wir ein Kunstwerk in statu nascendi.» (2) Die Natur scheint sich zurückgezogen zu haben und die poetische Sehnsuchtssuche nach einer Utopie Arkadien beginnt in letzter Zeit wieder aufzuleben. Worin besteht die magische Anziehung Arkadien und ist diese Utopie heute doch noch vorstellbar? In unserem Semesterprojekt betrachten wir die fortschreitende Verbauung unserer Landschaft, versuchen stehen gebliebene Orte zu bewahren, das Zufällige und Andersartige wertzuschätzen und uns durch gemeinschaftliches Tun weiter zu entwickeln. In unserem Entwurf verfolgen wir ein ganzheitliches Zusammenspiel zwischen ökologischen, ressourcenschonenden Baumaterialien, ökonomischen und kulturellen Aspekten; es soll eine umfassende nachhaltige Architektur entstehen, die einen hohen Lebensstandard für alle Menschen in jeder Lebensphase ermöglicht. Wir fragen uns nicht_ was nützt es uns? _ sondern wie fühlt es sich an? «Arkadien ist der poetisch geschaffene Raum, der sich auf die volle Pracht der Natur und ihre Harmonie bezieht und gleichzeitig die Vergänglichkeit der Kultur anspricht.» (3) Diese Sehnsuchts-Vorstellung idyllischer Landschaften war damals ein wesentliches Anliegen in der Malerei, Literatur, Musik und Philosophie, welches weit in das kulturelle Verständnis der Renaissance hinein reichte. Jacopo Sannazaro beschrieb im 15.Jhd. in seinem Werk «Arkadia» eine imaginäre Landschaft als Glücksort. Mit einem Garten Eden ist Arkadien nicht zu vergleichen und mit dem geografischen Arkadien des Peloponnes hat es auch nichts zu tun. «Arkadien bricht unverhofft über uns herein, in spielerischer, ja musikalischer Weise, weltvergessen und überraschend, oft ephemer. (…) Wir fühlen diese arkadischen Momente, in der unerwarteten Begegnung mit einem lächelnden Gesicht in der Menge, in der Berührung mit einem Flügelschlag eines Schmetterlings, im Duft der Blüten, unter einem von Bienen bevölkerten summenden Kirschbaum oder in einer unverhofften stillen Waldlichtung. (…) Arkadien ist Sehnsucht nach einem unnennbar anderen Leben und seinem sich niemals preisgebenden Geheimnis.» (3) sguardo nell'infinito beschreibt diese wieder aufgetauchte Sehnsucht als Blick ins Unbestimmte, in eine Unendlichkeit, in ein Rätselhaftes, das sich uns jenseits des Sichtbaren öffnet. Arkadien_ das Irrationale in einer rationalen Welt. «(…) ein Aufbruch zu Utopien, die den Dingen, die Wärme, die ihnen innewohnt, wieder zurückgibt.» (4) 

Zitate:
(1) Joachim Heinrich Campe: Wörterbuch der Deutschen Sprache 1809, Hildesheim/New York 1970
(2) Georg Simmel: Die Großstädte und das Geistesleben 1903, Frankfurt/M 1995
(3) Klaus Luttringer: Weit, weit ... Arkadien, über die Sehnsucht nach dem anderen Leben, Würzburg 2000
(4) Reinhard Brandt: Arkadien in Kunst, Philosophie und Dichtung, Freiburg i. Br. 2005

Bemerkungen:
Richtet sich an: 5.KM Bachelor Architektur (B.Sc.A & B.Sc.U)