Seminar Diplom/Master, 2 SWS
Wie Le Corbusier einmal bemerkte, ist der Konstruktivismus ein Begriff mit verschwommenen Konnotationen, denn im Gegensatz zum Purismus oder zum italienischen Rationalismus wurden seine Grenzen nie eindeutig definiert. Trotzdem wird es möglich sein, ein identifizierbares Profil des Konstruktivismus an Hand der Bauten und Entwürfe von Tatlin, Melnikow, Ginsburg oder den Brüdern Wesnin herauszuarbeiten. In der Sowjetunion durchlief der architektonische Konstruktivismus zwei deutlich unterschiedene Phasen: die frühe Agitprop-Periode mit Holzkonstruktionen für Ausstellungen oder für revolutionäre Formen der Straßenkunst, danach die professionelle Periode, in der Bauwerke irgendwo zwischen Maschinenformen und biologischen Strukturen entstanden.
In seiner authentischsten Ausprägung war der architektonische Konstruktivismus außerhalb der Sowjetunion weitgehend auf die Niederlande und Deutschland beschränkt. Das reinste konstruktivistische Bauwerk jener Zeit ist wahrscheinlich die Tabakfabrik Van Nelle von Brinkman und van der Vlugt in Rotterdam (1926-30), die einen ähnlichen Geist wie Hannes Meyers und Hans Wittwers konstruktivistisches Wettbewerbsprojekt für den Völkerbundpalast in Genf von 1926/27 atmet.
Zum Abschluß des Sommersemesters wird Ende September eine Exkursion in die Zentren des russischen Konstruktivismus Moskau und Sankt Petersburg stattfinden. Neben zahlreichen historischen Bauten des Konstruktivismus und den Besuchen von Architekturschulen wird sich das Interesse auch auf die aktuelle architektonische Entwicklung in beiden Metropolen richten.