Anja Koch, Master-Thesis 2022
„Niemand hat mich verstanden.“
Das waren Dom Hans van der Laans Worte bei seiner letzten Beichte, zwei Tage vor seinem Tod am 19. August 1991. Noch bevor er sein Lebenswerk „Der architektonische Raum“ veröffentlichen ließ, hatte van der Laan Zweifel daran, inwieweit seine Mitmenschen und Fachgenossen seine Architekturtheorie verstehen würden.
In meiner Master-Thesis nehme ich mir van der Laans „unverständlicher Theorie“ an und zeige drei Wege auf, die dabei helfen, „Der architektonische Raum“ besser zu verstehen. Einer dieser Wege besteht darin, van der Laans Theorie mithilfe einer neuen Textform, dem Glossar, verständlich zu machen. Darin werden Begriffe und Konzepte aus van der Laans Argumentationskette herausgefiltert und einzeln und isoliert betrachtet. Komplexe Zusammenhänge werden so in ihre Einzelteile zerlegt und auf das Wesentliche reduziert. Es wird ein neuer Zugang zu seinen Ideen geschaffen.
Bei dem zweiten Weg werden Erkenntnisse gewonnen indem van der Laans eigener Weg zur Erkenntnis näher untersucht wird: Wie formuliert er seine Ideen, wie kommuniziert er seine Theorie. Wann bedient er sich der Logik und wann der Empirie? Wann ist es Denken und wann lediglich Ausdenken? Ich untersuche sein Buch unter epistemologischen, sprachlichen und narrativen Gesichtspunkten. Dabei komme ich einerseits dem Verständnis der Theorie näher, andererseits wird so auch auf die losen Enden seiner Theorie aufmerksam gemacht. Der dritte Weg der Erkenntnis ergründet van der Laans Theorie auf experimenteller und entwurflicher Ebene. Durch die Anwendung van der Laans Grundsätze können nicht nur neue Erkenntnisse über sein Werk, sondern auch über das Entwerfen per se gewonnen werden. Dafür gehe ich den „losen Enden“ der Theorie auf den Grund, denn van der Laans Theorie ist nicht perfekt. Es gibt Fehlschlüsse und Lücken in seiner Argumentation, die neue Zugänge für die praktische Anwendung seiner Ideen schaffen.
Indem man van der Laans Theorie frei interpretiert und keine Angst hat sich über seine Regeln hinwegzusetzen, können neue bereichernde Entwürfe entstehen, die zwar nicht strikt van der Laans Proportionssystem befolgen, aber dennoch große quantitative Ordnung und harmonische Proportionen erkennen lassen. Denn ob eine Proportionstheorie, die noch dazu vorgibt, essenziell oder fundamental zu sein, etwas taugt, kann eigentlich nur geprüft werden, indem man sich so weit wie möglich von van der Laans Formensprache und Bauweise entfernt und nachher zurückblickt, um zu sehen, was von ihr übrig geblieben ist. Dies kann zu unerwarteten Ergebnissen führen, Potenziale und Grenzen aufzeigen und weitere Fragen aufwerfen. Sich diese Fragen zu beantworten, führt unweigerlich zu neuen Erkenntnissen über die Theorie.
Betreuung:
Prof. Dr.-Ing. habil. Jasper Cepl, Professur Theorie und Geschichte der modernen Architektur
Prof. Jörg Springer, Professur Entwerfen und komplexe Gebäudelehre
Prof. Andreas Garkisch, Professur Entwerfen und StadtArchitektur