Hannah Arendt für Architekt*innen?! – Eine nicht ganz einfache Beziehung

Tilmann Levine, Mastherthesis 2024

In meiner Masterarbeit habe ich mich mit dem Einfluss von der Hannah Arendt (1906–1975) auf den Architekturdiskurs beschäftigt. Dabei habe ich verschiedenen Ansatzpunkte in Arendts Werk herausgearbeitet und ihre Übertragung, Übersetzung und Interpretation im Architekturdiskurs kritisch hinterfragt. Der Typus der Untersuchungsmethode ist überwiegend deskriptiv und explanativ – explorativ nur in dem Sinne, als dass ich versucht habe, bisherige Gedankenstränge bis zum Widerlager in Arendts Theorien freizulegen, um von dort ausgehend weiter bzw. neue Potenziale für Grundlagenforschung aufzuzeigen. 

Das Vorhaben, Theorien aus anderen Disziplinen in den Architekturdiskurs einfließen zu lassen, ist nichts Neues. Dennoch stößt man dabei auf Hürden und potenzielle Fallstricke. Diese werden im Falle der Arendtrezeption (leider) recht deutlich sichtbar. Der Untertitel „Eine nicht ganz einfache Beziehung“ rührt von diesem Umstand. So ging es mir jedoch nicht darum, die architekturtheoretischen Vorschläge der Autoren und Autorinnen zu beurteilen – ich bin mir sicher, dass jeder dieser Texte einen interessanten und wichtigen Beitrag zum Architekturdiskurs liefert –, sondern lediglich darum, ihren Umgang mit Arendt zu untersuchen.

Die Arbeit richtet sich an all diejenigen, die davon überzeugt sind, in (politischer) Philosophie bzw. politischer Theorie, gleich welcher Couleur, einen Mehrwert für den Architekturdiskurs zu erkennen und daran glauben, dass auch Arendt diesem etwas beizusteuern hat. Um das Potenzial einer solchen Auseinandersetzung hervorzuheben, ging es also auch darum, einen Zugang zu der Person Hannah Arendt und ihrem Werk zu vermitteln. Das Buch Vita activa oder Vom tätigen Leben (1960) steht unbestritten als theoretischer und entstehungsgeschichtlicher Angelpunkt im Zentrum Arendts Schriften und bildete, wie auch in nahezu allen architekturtheoretischen Auseinandersetzungen mit ihr, den Ausgangspunkt meiner Arbeit. 

Hinsichtlich der Rezeption sind zwei Linien auszumachen: die erste entspringt dem Feld der genuinen Architekturtheorie (u.a. Frampton, Baird, Aureli, Knoop, Teerds), die zweite ist in Bereichen der politischen Theorie, der Kultur- und Sozialwissenschaften, sowie der philosophischen Ästhetik verortet (u.a. Beiner, Honig, Jormakka, Markell, Terlinden, Sjöholm). Eine einheitliche Interpretation bzw. Lesart ist nur in groben Zügen auszumachen, obgleich Themen wie der öffentliche und private Raum und die Trilogie ArbeitenHerstellenHandeln (also jene Aspekte, die den Kern von Vita activa ausmachen) als wiederkehrende Ausganspunkte den roten Faden der Interpretationsaktivitäten bilden. 

Die inhaltliche Zäsur in der Rezeptionsgeschichte erfolgte entsprechend in dem Moment, als Theoretiker*innen anderer Fachrichtungen Arendts Theorien zum Anlass nahmen, über Raum bzw. Architektur nachzudenken, und damit begannen, den von Architekturtheoretiker*innen begonnenen Diskurs zu verschieben. Während man zunächst, vereinfacht ausgedrückt‚ von der Architektur auf Arendt‘ schaute, drehte sich die Stoßrichtung gewissermaßen um: von bzw. mit Arendt auf die Architektur bzw. den gemeinsamen Raum. 

Betreuung:
Prof. Dr.-Ing. habil. Jasper Cepl, Professur Theorie und Geschichte der modernen Architektur
Prof. Dr. Jan von Brevern, Professur Kunst- und Kulturgeschichte
Dipl.-Ing. Michael Kraus,  Entwerfen und StadtArchitektur.