Ausstellung
1902, vor genau 100 Jahren, wurde der belgische Künstler und Architekt Henry van de Velde durch Großherzog Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar-Eisenach als Berater für Industrie und Kunsthandwerk nach Weimar berufen. Van de Velde gründete ein kunstgewerbliches Seminar und später die Kunstgewerbeschule. Er entwarf das Interieur des Nietzsche-Archivs und das nicht realisierte Dumont-Theater, baute sein Wohnhaus und mehrere Villen in Weimar. Vor allem aber baute er von 1904 bis 1911 in mehreren Etappen das berühmte und mittlerweile zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärte Ensemble der Weimarer Kunstschulbauten, bestehend aus dem Ateliergebäude der Kunstschule und dem Werkstattbau der Kunstgewerbeschule.
Das Ateliergebäude der Kunstschule ist eines der Hauptwerke Henry van de Veldes und einer der bemerkenswertesten Bauten Weimars. An der Nahtstelle des 19. zum 20. Jahrhundert, versehen mit der ästhetischen Finesse des Vergangenen, wurde es in seiner großen Klarheit zu einem Initial der Moderne. Aus Anlaß des Jubiläums dokumentierte die Bauhaus-Universität Weimar mit Unterstützung des Stadtarchivs Weimar den Planungsprozeß des Stammgebäudes der Universität und präsentierte die Entwurfs- und Ausführungszeichnungen erstmals der breiten Öffentlichkeit.
Die Ausstellung wurde in Seminaren an der Professur Entwerfen und Architekturtheorie erarbeitet.
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Beschreibung
Als Höhepunkt des architektonischen Schaffens von van de Velde in Weimar (1902-1917) wird das Kölner Werkbundtheater von 1914 angesehen. Es verweist als vollkommenes Beispiel einer plastischen Organisation des Baukörpers auf eine Zäsur im architektonischen Werk van de Veldes. Der Kölner Theaterbau beginnt sich durch die Betonung von Proportionen und Volumen am Neuen Bauen zu orientieren. Entsprechend häufig wird er in Publikationen erwähnt. Die Weimarer Kunstschulbauten stehen noch am Anfang seiner architektonischen Tätigkeit. Auch wenn sie auf der Suche nach dem "Neuen Stil" in ihrer Einheit von Funktionalität, Organismus und Ornament letztendlich dem ausgehenden Jugendstil verpflichtet bleiben, stellen sie doch den furiosen Beginn einer zunehmend auf Versachlichung ausgerichteten Gestaltungsweise van de Veldes dar. Trotz der frühen Würdigung durch Karl-Heinz Hüter im Jahre 1962 wurde den Weimarer Kunstschulbauten im Werk Henry van de Veldes bisher keine ihrer Bedeutung entsprechende Beachtung geschenkt. Vielleicht war dies bisher auf die Unkenntnis des Planungsprozesses, die ja sogar zu Zweifeln an seiner Autorenschaft geführt hatte, und der Entwurfszeichnungen zurückzuführen. Die bereits 1984 im Stadtarchiv Weimar aufgefundenen Pläne zu veröffentlichen ist Anliegen dieser Ausstellung.
Das im Ensemble der Kunstschulbauten dominierende Hauptgebäude entstand in zwei Bauabschnitten als Neubau für die seit 1860 bestehende Großherzoglich-Sächsische Kunstschule. 1904/05 wurde zunächst der Ostabschnitt mit dem zur Belvederer Allee gerichteten Südflügel nach teilweisem Abbruch des bescheidenen Altbaus der Kunstschule erbaut. Die Vollendung durch Mittel- und Westteil erfolgte erst im Sommer 1911. Es zeugt von der Gestaltungskraft van de Veldes, dass trotz der siebenjährigen Bauunterbrechung und trotz mehrfacher Planänderung des zweiten Bauabschnittes, an dessen Ausführung der vom Bauherrn herangezogene Architekt Bruno Röhr beteiligt war, ein einheitlich durchgebildetes Bauwerk entstand. Der leicht zurückgesetzte Eingang führt über den Windfang in das große Vestibül, aus dem die kraftvoll geschwungene ovale Treppe nach oben steigt. An den seitlich abzweigenden Korridoren liegen nach Norden die Ateliers, auf der Südseite Nebenräume. Die Hauptfassade des plastisch geformten Baukörpers lebt vom Kontrast der mächtigen Wandpfeiler mit den dazwischen liegenden großen Glasflächen. Die Pfeiler fassen jeweils zwei Geschosse zusammen. Nur im Mittelteil reichen sie bis ins dritte Geschoss hinauf, das mit seinen gebogenen Atelierfenstern ganz in das Mansarddach eingeordnet ist.
Dr. Norbert Korrek