Von Januar bis Juni 2020 verbrachte Prof. Dr.-Ing. Hans-Joachim Bargstädt, Professur Baubetrieb und Bauverfahren, einen Forschungsaufenthalt in Vietnam. Im Interview berichtet er von seiner Kooperation mit der Ho Chi Minh City University of Transport unter den besonderen Bedingungen der Corona-Pandemie.
Guten Tag, Professor Bargstädt. Schön, dass Sie wieder gesund in Weimar angekommen sind. Sie waren für fünf Monate zu einem Forschungsaufenthalt in Ho Chi Minh City. Warum hatten Sie sich für Vietnam entschieden?
Vietnam ist eine ehrgeizige, aufstrebende Nation die in den letzten 30 Jahren, also innerhalb nur einer Generation eine äußerst dynamische Entwicklung durchgemacht hat – von einem durch jahrzehntelange Kriege ausgezehrten Land zu einem prosperierenden Tigerstaat. Es gibt Spitzentechnologie in der Halbleiterfertigung, aber auch einfachste Landwirtschaft auf terrassierten Reisfeldern mit Büffeln als Zugtiere. In den großen Städten wie Hanoi und Ho Chi Minh City (ehemals Saigon) hat man sehr genaue Vorstellungen von einer modernen Gesellschaft, wie sie in Singapur oder Hongkong oder Taiwan bereits angetroffen wird.
Und was machte das Land für Ihr Fachgebiet so interessant?
Die Digitalisierung im Bauwesen, Building Information Modeling (BIM) und deren Weiterentwicklung und Implementierung in allen Prozessen des Planens und Bauens ist international und hat auch Vietnam erreicht. Vietnamesen arbeiten in der digitalen Planung teilweise als verlängerte Werkbank für europäische Planungsgesellschaften. Andererseits findet an den Universitäten dazu auch Forschung in vorderster Front statt.
Wo steht Vietnam in puncto Digitalisierung heute?
In der Digitalisierung liegt ähnlich wie bei uns eine sehr heterogene Entwicklung vor. Wenige Spitzenleute und -unternehmen wenden BIM in der Praxis an: beispielsweise forschen Kolleginnen und Kollegen an der HCMC University of Technology an dem Digitalen Zwilling, unterstützt durch Laser Scanning, Drohnenaufnahmen und Augmented Reality. Andererseits gehen viele Lehrende gerade erst ihre ersten Schritte in Richtung Building Information Modeling.
Wie sind Sie auf diese Heterogenität gestoßen?
An meiner Partneruniversität, der HCMC University of Transport, habe ich im Mai einen mehrtägigen BIM-Kurs durchgeführt – zusammen mit einem hervorragenden vietnamesischen Bachelorabsolventen, der den Laborteil übernommen hat, also die Hands-on Einweisung in die Softwareprogramme, das Üben von Modellierungen, das Abfragen von Informationen aus dem Modell, die Datenübergabe oder das Clash Detection.
Zu den Kursteilnehmerinnen und -teilnehmern gehörten Studierende, aber auch Dozierende des Bereichs Projektmanagement. Diese wollten die Möglichkeiten von BIM in der Projektleitung kennenlernen. Es war prägend, mit welch großem Elan und unbändigen Ehrgeiz gerade junge Dozentinnen und Dozenten neue Technologien annehmen und einfach ausprobieren. Da steckt ein unbändiger Wille dahinter, technologisch voranzukommen, verfügbare Technologien anzuwenden und international mitzuspielen.
Was haben Sie fachlich beitragen können?
Der Bedarf nach Wissen und Erkenntnissen aus dem industrialisierten und weiter entwickelten Ausland ist sehr groß. Über das Nationale BIM-Kompetenzzentrum habe ich beispielsweise zwei Online-Seminare zur Standardisierung in BIM und zum digitalen Bauantrag angeboten, mit jeweils bis zu 60 Teilnehmenden. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind sehr aufmerksam und bemüht, viel vom Gastwissenschaftler aus Europa zu lernen. Und wir haben gemeinsam einen Antrag für ein BIM-Transferprojekt für die neu gebaute Metro in Saigon geschrieben.
Hat die Corona-Pandemie Ihre Arbeit vor Ort eingeschränkt?
Schon Ende Januar hatte die Regierung beschlossen, Universitäten, Schulen und Kindergärten zu schließen. Die Ferien zum vietnamesischen Neujahrsfest wurden einfach auf unbestimmte Zeit verlängert. Unser Sohn, der die 7. Klasse der International German School besuchen sollte, stand vom ersten Tag an vor verschlossenen Türen.
Es gab also schulfrei?
Ganz im Gegenteil: Die Schule hat nach nur einem Tag interner Reorganisation einen nahezu kompletten Online-Betrieb auf die Beine gestellt. Dass jeder Schüler einen eigenen Laptop benötigte, versteht sich von selbst. Unser Sohn in der siebten Klasse hat drei Monate lang weder seine Lehrerinnen und Lehrer noch seine Klassenkameraden persönlich kennengelernt.
Und die Universität?
An den Universitäten dauerte die Umstellung etwas länger. Studierende haben in der Regel eigene Laptops. Doch nicht alle Studentinnen und Studenten haben zuhause Zugang zu leistungsfähigem Internet. Manche mussten deshalb vorübergehend zu den Großeltern ziehen oder tagsüber in Kaffeeshops gehen. Im Laufe des März spielte sich der universitäre Online-Betrieb langsam ein.
Kamen alle Studierenden online gut zurecht?
In dem Moment, ab Ende März, wo zusätzlich alle Cafés geschlossen wurden, wurde es eng. Doch Vietnamesen sind gewohnt, aus jeder Situation das Beste zu machen. Man hört selten Klagen. Pragmatisch wird überlegt, welche Optionen noch verfügbar sind. Auch fiel mir auf, dass Zeit und langes Warten in Vietnam nur eine geringe Relevanz haben.
Warum sind Sie nicht der Reisewarnung des Auswärtigen Amts gefolgt und, so lange es noch Flugangebote gab, im März schnellstens nach Deutschland zurückgekehrt?
Am 10. März gab es in ganz Vietnam nur 30 Coronafälle – auf stabilem Niveau. In Deutschland hatten wir schon über 1500 Infizierte, mit rasch steigender Tendenz. Da erschien der Aufenthalt mit der Familie in Vietnam sicherer als in Deutschland. Zudem hatte ich meine DAAD-Kurzzeitdozentur bis Mitte Juni geplant. Wir gingen davon aus, dass sich die Lage innerhalb der folgenden Monate bald wieder beruhigen würde.
Und wie hat sich die Lage in Vietnam entwickelt?
Bis Ende April hat Vietnam einen strengen Lockdown praktiziert: keine Bahnen, Busse, Fähren, Taxis. Hotels durften keine Gäste aus anderen Provinzen aufnehmen. Das war auch ohne explizites Reiseverbot de facto ein wirksames Stilllegen aller Reisen im Land. Unser Bewegungsradius war auf etwa 2 km Fußweg beschränkt, die man in dem schwülheißen Wetter vielleicht noch auf sich nehmen mag.
Doch schon ab Mitte April gab es keine Infektionen mehr, und die wenigen hundert Vietnamesen, die über Rückholflüge ins Land kamen und das Risiko einer Infektion mitbrachten, mussten in zweiwöchige kasernierte und bewachte Quarantäne-Lager. So kehrte das öffentliche Leben ab Anfang Mai wieder zur Normalität zurück, mit viel Vorsicht und weiterhin strikten Auflagen zum Tragen von Mundschutz in öffentlichen Räumen, beim Einkaufen und in größeren Wohnanlagen.
Gab es auch negative Eindrücke?
Eigentlich nicht. Meine Familie und ich haben uns auf die vietnamesische Lebensart eingelassen, auch wenn uns bewusst war, dass wir als Europäer sehr privilegiert sind – von den Bildungschancen und auch von den finanziellen Möglichkeiten her. Doch es gab einen Wermutstropfen, das waren die mangelnden Englischkenntnisse vieler Vietnamesen. Wer Englisch kann, hat weltweit Zugang zu einem Vielfachen der in Vietnamesisch oder auch in deutscher Sprache verfügbaren Informationen.
Und da ist es oft schlecht bestellt, auch weil den Südostasiaten die westeuropäische Sprache so fremd ist. Teilweise wurden meine Vorlesungen ins Vietnamesische übersetzt.
Wie sind Sie wieder nach Deutschland zurückgekehrt?
Das Drama um mögliche und dann doch wieder abgesagte Flüge von Vietnam nach Frankfurt ist eine Geschichte für sich und zog sich über mehrere Wochen hin. Schließlich konnten wir Ende Juni und mit einer Verspätung von nur einer Woche nach Deutschland zurückfliegen. Hinter mir liegt eine intensive Zeit mit vielen sehr positiven Eindrücken und Erlebnissen, mit neuen Freundschaften zu kompetenten Kolleginnen und Kollegen, mit vielen sehr freundlichen Menschen in einem spannenden und sich weiterhin sehr schnell entwickelnden Land.
Wechsel zwischen Farb- und Schwarz-Weiß-Ansicht
Kontrastansicht aktiv
Kontrastansicht nicht aktiv
Wechsel der Hintergrundfarbe von Weiß zu Schwarz
Darkmode aktiv
Darkmode nicht aktiv
Fokussierte Elemente werden schwarz hinterlegt und so visuell hervorgehoben.
Feedback aktiv
Feedback nicht aktiv
Beendet Animationen auf der Website
Animationen aktiv
Animationen nicht aktiv