Im Studiengang Produktdesign an der Fakultät Kunst und Gestaltung ist zum 1. September ein neues Lehrgebiet gestartet: »Emerging Technologies and Design«. Auf die dafür neu geschaffene Junior-Professur mit Tenure-Track wurde Dr. Thomas Pearce berufen. Was verbirgt sich hinter dem Titel und wie möchte der ›Neue‹ im Studiengang Produktdesign das Feld gestalten?
Empfohlen sei vor der Lektüre der Song »Emerge« von Fischerspooner (Weiterleitung zu Youtube): https://www.youtube.com/watch?v=qTetvhDqfqY
»Hi, Huh-i…«
Was sind »Emerging Technologies«?
»Hyper, Hyper-media-ocrity…«
Die vom Künstlerkollektiv »Fischerspooner« Anfang der 2000er Jahre besungene Hyper-Medienpräsenz hat inzwischen ganz neue Formen angenommen. Rasante Weiterentwicklung, immer neue Techniken und Technologien, die alle versprechen, dass alles einfacher, schneller, intelligenter, effizienter und automatisierter werden wird:
»Feels good, Looks good, Sounds good…«
Aber ist es auch »good«, also gut? Das ist eine der Fragen, die Thomas Pearce für wichtig hält und fortwährend betrachten möchte. Seine akademische Laufbahn startet der in Kanada geborene Sohn einer Belgierin und eines Kanadiers an der Katholieke Universiteit Leuven mit einem Geschichtsstudium. Schon hier konzentriert er sich auf Architektur- und Designthemen. Nach dem Masterabschluss in Kulturgeschichte zieht es ihn nach Deutschland zum Architekturstudium an die TU Berlin, seinen Master und den Ph.D. macht er an der renommierten Bartlett School of Architecture – UCL in London. Hier trifft Pearce auf unkonventionelle Lehrmethoden, die ihn prägen – zum Beispiel das Entwerfen von Problemen anstelle von Lösungen. Nach dem Master arbeitet er in unterschiedlichen experimentellen Architektur- und Designstudios als Spezialist für digitale Erfassung und Herstellung und wechselt gleichzeitig in die Lehre an der UCL und der Architectural Association. Hier unterrichtet er sowohl Entwurfsgrundlagen, leitet über Jahre seine eigene Entwurfsklasse und arbeitet zuletzt im Programm für digitale Herstellung »Design for Manufacture«.
»Ein Credo, das ich von dort mitgenommen habe, ist: Ausprobieren, experimentieren, scheitern, nochmals scheitern und irgendwann besser scheitern. Nur so kommt man als Gestalter*in voran. Man kann nichts behaupten, ohne es auch zu bauen«, beschreibt Pearce. »Das geht sehr viel weiter als die Lehre an vielen anderen Hochschulen und so ist es mir wichtig, permanent Disziplingrenzen auszuloten mit experimentellen Technologien, die parallel durch Theorie, Handwerk und Geschichte unterfüttert werden.«
»Feels good, Looks good, Sounds good…«
Aber sind neue Technologien wie der 3D-Druck wirklich die Heilsbringer und Weltverbesserer? »Man könnte meinen, dass Technopositivismus eine meiner Grundeinstellungen wäre. Aber vielmehr beschäftigen mich andere Fragen. Zum Beispiel danach, welche neuen Imaginationswelten aus einer neuen Technologie erwachsen können. Können wir neue Technologien auch als spekulative, kreative Werkzeuge einsetzen? Wenn wir beispielsweise das 3D-Scannen betrachten, gibt es uns natürlich einerseits die Möglichkeit, die physische Wirklichkeit extrem genau zu erfassen.
Gleichzeitig kreiert es aber eine komplett neue Art, die Welt zu sehen: als halbdurchsichtige Wolken aus Millionen Datenpunkten. Das ist nicht nur eine ästhetische Frage. Wenn wir darüber nachdenken, wie diese Messungen zustande kommen, erkennen wir auch ihre Fehleranfälligkeit, beispielsweise wenn wir reflektierende, sehr kleine oder bewegliche Objekte scannen. Wir könnten also sagen: blöd, diese Fehler müssen wir rausfiltern oder die Objekte gar nicht scannen. Oder wir fragen uns: wie nutzen wir diese fehlerhaften, nicht-realen Messungen spekulativ aus, gehen spielerisch damit um. Vielleicht können wir diese technologischen Fehler verstehen lernen, sie planen und aktiv als »Chimären« gestalten.
Solche spekulativen Ansätze sind nicht nur spielerischer Selbstzweck – sie haben durchaus eine breitere gesellschaftliche Relevanz, wenn wir uns bewusst machen, dass beispielsweise 3D-Scan-Technologien nicht nur in der digitalen Herstellung, sondern auch in Bereichen wie dem autonomen Fahren, der Überwachung oder gar Kriegsführung eingesetzt werden. Ich möchte also immer die Frage stellen: Wie können wir mit dem Wissen aus dieser Technik kritisch und spekulativdenken? Und wie fügt sich das Wissen in gesellschaftliche und künstlerische Diskurse ein?«
Das ausschlaggebende Wort im Titel der Professur ist »Emerge« zu deutsch »Emergenz«. Der Duden spricht vom »Auftreten neuer, nicht voraussagbarer Qualitäten beim Zusammenwirken mehrerer Faktoren.« Wikipedia erklärt: »Emergenz (lateinisch emergere »Auftauchen«, »Herauskommen«, »Emporsteigen«) bezeichnet die Möglichkeit der Herausbildung von neuen Eigenschaften (Systemeigenschaften) oder Strukturen eines Systems infolge des Zusammenspiels seiner Elemente.«
Pearce dazu: »Das ›nächste Neue‹ verspricht also Änderungspotenzial, unabsehbare Möglichkeiten, aber es muss auch hinterfragt werden. Die einzige Konstante im Leben ist ja die Veränderung, also das Neue. Darum scheint mir die Herausforderung für uns als Gestalter*innen in der Lehre, in der Praxis und in der Forschung, zu diesem ständigen Werden neuer Technologien eine zukunftsfähige Haltung zu entwickeln. Veränderung ist aber auch mit Unsicherheit verbunden. Diese Unsicherheit verknüpfe ich in meinem Verständnis und meiner Lehre mit Neugier und Ergebnisoffenheit, mit Experimentierfreude und zwangsläufig auch dem Mut zum Scheitern.«
Ausgerechnet ins kalte Wasser der Ur- und Frühgeschichte wirft Jun.-Prof. Pearce die Studierenden in seinem ersten Projekt unter dem Titel »Prähistorisch – Postdigital«. Er konfrontiert sie mit historischen Artefakten, die sowohl besondere Materialeigenschaften und einen konkreten Nutzen haben, aber gleichzeitig Orakel und damit kultische Objekte sind. »Ich frage mich, was wir aus der Vergangenheit lernen können. Für mich ist es immens wichtig, den Kontext zu betrachten. Wenn ich ein Objekt vor mir habe – welchen Einfluss hat das Wissen um seine kulturelle Bedeutung auf unsere heutigen Praktiken? Zur Beantwortung müssen Theorie, Geschichte und Handwerk aber auch kulturelle, gesellschaftliche und soziologische Aspekte herangezogen werden.«
Diesem prähistorischen Teil des Projektes gegenüber stellt er neueste Technologien. So plant Pearce den Besuch eines namhaften Industriekonzerns in Jena, um dort die neueste Vermessungstechnik zu erleben. Auch Fotogrammetrie und CNC-Fräsen stehen auf dem Lehrplan. »Wichtig ist, dass die Studierenden eine eigene, direkte Erfahrung mit dem technologischen Handwerk machen. Normalerweise habe ich ein 3D-Modell, damit gehe ich in die Werkstatt und lasse es mir fräsen. Aber wenn ich selbst herumprobiert habe und am besten auch produktiv gescheitert bin, kann ich mit dem geplanten Werkzeug entwerfen. Genauso wichtig ist mir, dass die Studierenden eine, wie ich es nennen würde, »post-digitale Fluidität« entwickeln. Sie sollen lernen, sich fließend zwischen Messung, Analyse, Simulation, Entwurf, Visualisierung, digitaler Herstellung und tradiertem Handwerk zu bewegen. Im besten Falle können sie die Übersetzungen zwischen diesen Arbeitsschritten produktiv nutzen, eventuell sogar mit der Übersetzung spekulieren. Vielleicht bauen wir einen irritierenden Faktor ein. Designer*innen, normalerweise Meister*innen über den Prozess, sollen verunsichert werden, indem wir zum Beispiel Künstliche Intelligenz als digitales, neuzeitliches Orakel hinzuziehen.«
Interessierte Studierende erwartet im Projekt statt eines Brainstormings ein Mind Blowing mit ungewissem Ausgang – mit Sicherheit spielt Unsicherheit eine Rolle.
Zurück zu Fischerspooner, die kraftvoll schreien:
»You don’t need to emerge from nothing, you don’t need to tear away…«
Das sollte Mut machen, sich einzulassen auf diese Emergenzen: Von nichts kommt nichts und dann ist ja auch immer noch der Kontext.
Die Fakultät Kunst und Gestaltung freut sich auf die Zukunft gemeinsam mit Jun.-Prof. Dr. Thomas Pearce – sowohl auf das Konkrete als auch das Ungewisse: Herzlich willkommen!
Weitere Infos zu Arbeiten und Projekten von Thomas Pearce finden Sie auf seiner Website unter thomaspearce.xyz.
Hintergrundinformationen zu Tenure-Track-Professuren
Die Wissenschaftler*innen und Künstler*innen durchlaufen im Rahmen ihrer Tenure-Track-Professur eine zweistufige Evaluation. Bei erfolgreichem Abschluss erfolgt die Überleitung auf eine W3-Lebenszeit-Professur ohne erneute Ausschreibung. Bis zur Entfristung unterstützt die Bauhaus-Universität Weimar gezielt die Weiterqualifizierung ihrer Tenure-Track-Professor*innen über das neue entwickelte BauhausTrack-Programm, bestehend aus Workshops, Beratung und Mentoring.
Bund und Länder haben 2016 das Programm zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses beschlossen. Zentrales Element des Programms ist die Stärkung des Formats der Tenure-Track-Professur. Diese sieht nach einer erfolgreichen Bewährungsphase den unmittelbaren Übergang in eine Lebenszeitprofessur vor. Der Bund stellt für die Finanzierung von 1.000 zusätzlichen Tenure-Track-Professuren bis zu einer Milliarde Euro bereit. Die Sitzländer der geförderten Universitäten sichern die Gesamtfinanzierung, sodass der mit diesem Programm erreichte Umfang an Tenure-Track-Professuren auch nach Ende des Programms erhalten bleibt. Deutschlandweit profitieren 75 Universitäten mit insgesamt 1.000 Professuren von dem Programm, acht davon an der Bauhaus-Universität Weimar.
Weitere Infos zu allen Tenure-Track-Professuren an der Bauhaus-Universität Weimar finden Sie hier:
https://www.uni-weimar.de/de/universitaet/forschung-und-kunst/wissenschaftlicher-nachwuchs/nach-der-promotion/tenure-track-professur/
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