Millionen Tonnen Plastikabfall hinterlassen Schutzmasken der Corona-Pandemie weltweit. Was, wenn sich das Material recyceln ließe? Sogar das mit Viren verunreinigte? Diese Fragen ließen zwei Studenten der Bauhaus-Universität Weimar nicht mehr los. Per 3D-Drucker zeigten sie, was möglich wäre und schufen eine Zahnbürste aus Maskenmaterial. Ihre Arbeit ist gegenwärtig im Martha Herford Museum für Kunst, Architektur, Design zu sehen.
Folge 1: Vom Schutz zum Putz – aus FFP2-Masken werden Zahnbürsten
Wie sie zu der Idee kamen, erzählen Friedrich Gerlach und Felix Stockhausen in ihrer Werkstatt. Die befindet sich in einer ehemaligen Tischlerei, angebaut an eine Villa der Jahrhundertwende. Im Haus wohnt die Wohngemeinschaft, in der Werkstatt experimentieren die Studierenden mit Holz, Keramik, Lacken und 3D-Druck. Jeder Zentimeter der sechs Räume ist gefüllt mit Hölzern, Prototypen, Werkzeugen, Tischen und Maschinen. »Hier herrscht ein bisschen Chaos«, sagt Gerlach entschuldigend.
Er und sein Kommilitone studieren Produktdesign an der Fakultät Kunst und Gestaltung. Gemeinsam beobachteten sie in der Corona-Pandemie: Kurze Zeit genutzt, verwandeln sich Schutzmasken in Abfall, gar Sondermüll, zu etwas Ekligem. Dazu kommt die Ausschussware der Hersteller. Ohne Recycling landen riesige Mengen Plastikmüll auf Mülldeponien und in den Ozeanen. Geschätzt 400 Jahre dauert es, bis der Kunststoff aus den Masken, das Polypropylen, verrottet ist. Dieses Problem sei der Anstoß für ihr freies Projekt »UNclean Plastics« gewesen, so die Studenten. Nicht, um die Produktion von Zahnbürsten zu revolutionieren, sondern um zu zeigen, was möglich ist: Mit Recycling und neuer Fertigung kann aus kontaminiertem Abfall gar ein Hygieneprodukt entstehen – eine Zahnbürste.
So starteten sie im Frühjahr 2021. Zunächst mussten sie Geldgeber finden, bewarben sich beim Kreativfonds der Bauhaus-Universität Weimar. Mit der Zusage von 700 Euro kauften sie Material zum Drucken und Sicherheitsequipment. Sie fanden weitere Unterstützer. Dann ging es los in der Werkstatt. Das Recycling hatte seine Tücken: Neben Polypropylen enthalten die meisten Masken Metallbügel für die Nase und Gummibänder für die Ohren – diese müssen weg. Die Studenten erledigten dies per Hand bei den 4000 Stück, die ein Hersteller und Bekannte ihnen überließen. Auf Fotos tragen Gerlach und Stockhausen gelbe Ganzkörperanzüge mit Atemmasken. Die kamen immer dann zum Einsatz, wenn unklar war, woher die Masken stammten, sie eventuell mit Viren belastet waren.
Das mühsam gewonnene Polypropylen wurde bei 220 Grad Celsius zu Platten geschmolzen und anschließend in zackige Stücke gebrochen. Die Wärme zerstörte mögliche Viren. Stockhausen zeigt auf einen durchsichtigen Beutel, der auf einem der Tische der Werkstatt liegt. In dem Zustand erinnert das Ganze noch ein wenig an schmutzigen Schnee, wegen der grau-weißen Farbe. Die Stücke werden dann zu kleinen Kügelchen zerkleinert, zu langen Fäden gezogen und auf eine Spule gewickelt. So kann der 3D-Drucker das Material verwenden; zwei der Geräte stehen in einem abgetrennten Raum mit Blick in den Garten. Gerlach knickt den Kunststofffaden zwischen den Fingern hin und her und Stockhausen erklärt: »Polypropylen hat viele positive Eigenschaften, es ist leicht, haltbar und sehr biegsam.« Das Maskenmaterial sei ein vielseitiger, komplexer Werkstoff.
Testweise mischten sie Recyclingfasern mit neuem Polypropylen. Das Ergebnis – nur mit wiederverwendetem Granulat zu arbeiten ist machbar, aber weniger komfortabel. Nach ersten einfachen Formen wie einer kleinen Vase wagten sich Gerlach und Stockhausen an die Zahnbürste. Sie sollte aus einem Material, in einem Stück entstehen. Dazu wurden zwei Zahnbürsten gleichzeitig gedruckt und spiegelverkehrt zu einem Block aneinandergefügt. Die filigran gezogenen Borsten brauchten den Halt der Bürstenköpfe auf beiden Seiten. Nach dem Drucken wurden die beiden Zahnbürsten getrennt. Auf diese Weise gelang es den Studenten, sowohl eine feste Form, den Griff der Zahnbürste, als auch eine flexible, die Borsten, zu schaffen. Wer die fertige Bürste in die Hand nimmt, ist überrascht, wie leicht sie ist und sie ist tatsächlich benutzbar.
Einst dachten die beiden Produktdesigner noch, sie müssten sich beeilen, die Pandemie wäre bald zu Ende. Doch ihr Thema bleibt aktuell. Daher verwundert es nicht, dass die Studenten regelmäßig Anfragen erhalten, ob sie nicht Masken abnehmen möchten, zum Recyclen. Viele sind aufmerksam geworden, auch weil das Projekt »UNclean Plastics« unter anderem im Thüringer Landtag und auf einer internationalen Fachmesse, der Elmia Subcontractor Jönköping, in Schweden zu sehen war. Gerade wird es im Rahmen des 10. Recycling-Designpreises der Martha Herford präsentiert und erhielt eine Anerkennung ausgesprochen. Zuvor hatten die Stadtwerke Weimar die Arbeit der Studenten auf die gleiche Weise gewürdigt.
Mit den Masken werden sie zunächst nicht weiter tüfteln, berichten sie. Die beiden Entwickler verfolgen nämlich bereits neue Projekte. Gerlach schließt gerade seinen Bachelor ab, beschäftigt sich mit Bakterien und Zement. Stockhausen beginnt bald mit seiner Bachelorarbeit, möchte sich der Fahrradmitnahme im Nahverkehr widmen. Ressourcen anders, nachhaltig zu nutzen, das wird sie daher auch in Zukunft beschäftigen.
Weitere Informationen erhalten Sie unter: https://www.friedrichgerlach.de/unclean-plastics sowie https://www.felixstockhausen.de/unclean-plastics
Zum Kreativfonds der Bauhaus-Universität Weimar
Einen Kurzfilm drehen, eine Fotoserie ausstellen, ein neues Produkt gestalten – wer kreativ ist, dem kommen immer wieder spannende Ideen. Doch was tun, wenn das Geld dafür fehlt? Seit beinahe 15 Jahren heißt eine Antwort der Bauhaus-Universität Weimar: Die Bewerbung beim Kreativfonds lohnt! Professor*innen, akademische Mitarbeiter*innen, Promovierende und Studierende aller Fakultäten können sich bis zu zweimal im Jahr bewerben. Der nächste Stichtag ist der 15. September 2022.
Was wird gefördert?
Künstlerisch-gestalterische Projekte ohne festgelegte Formate: Entscheidend sind die innovative Idee und ein realistischer Plan sie zu verwirklichen. Studierende und Promovierende müssen ihrem Antrag ein Empfehlungsschreiben beifügen.
Mehr Informationen zum Fonds:
https://www.uni-weimar.de/de/universitaet/forschung-und-kunst/foerdermoeglichkeiten/forschungsfoerderung/uni-interne-foerdermoeglichkeiten/kreativfonds/
Projekte aus 10 Jahren Kreativfonds:
https://www.uni-weimar.de/de/universitaet/forschung-und-kunst/foerdermoeglichkeiten/forschungsfoerderung/uni-interne-foerdermoeglichkeiten/kreativfonds/ausstellung-10-jahre-kreativfonds/
Für Rückfragen zum Kreativfonds steht Ihnen Kristina Hellmann, Dezernat Forschung, gern telefonisch unter Tel.: +49 (0) 36 43 / 58 25 39 sowie per E-Mail unter kristina.hellmann[at]uni-weimar.de zur Verfügung.
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