Caroline Ektander, geboren 1982 in Schweden, lebt als Kuratorin und Architektin seit mehr als zehn Jahren in Berlin. In ihrer Arbeit beschäftigt sie sich mit umweltgefährdenden Stoffen, Giften und Vergiftungen und deren komplexen Bedingungen. Zurzeit promoviert sie an der Bauhaus-Universität Weimar in der Fakultät Kunst und Gestaltung über Altlastensanierung in Bitterfeld-Wolfen. Zudem wird sie sich am Chemiestandort, unterstützt vom Kreativfonds der Universität, mit dem dortigen kontaminierten Grundwasser künstlerisch auseinandersetzen. Wissenschaftsredakteurin Stefanie Waske hat sie zu den Hintergründen dieses ungewöhnlichen Forschungsfeldes befragt.
Folge 2: Die unsichtbare Gefahr des giftigen Wassers in Bitterfeld-Wolfen
Frau Ektander, Sie beschäftigen sich künstlerisch bereits seit vielen Jahren mit Toxizität – Giftigkeit. Wie kam es dazu?
Ich habe Architektur in Schweden studiert und bin gleich danach für drei Jahre nach China ausgewandert. Ich habe beim Olympia Forum gearbeitet und viel gebaut: Wohnhäuser, große Einkaufscenter, innerhalb eines halben Jahres vom Entwurf bis zum Bau. Es hat mich sehr beeindruckt, positiv wie schnell es ging und negativ wie alles nicht nachhaltig durchdacht wurde. Als ich nach Schweden zurückkam, wollte ich nicht mehr bauen. Ich bin gleich mit der Müllabteilung Stockholm Stadt in Kontakt getreten und habe gefragt: Brauchen Sie neuen Input, wie man mit Müll umgeht?
Warum gerade Müll?
Mein Interesse galt immer dem, was man nicht sieht, was verschwindet – aber nicht wirklich verschwindet, was im Boden untergebuddelt wird. Diese nicht sichtbaren Phänomene haben mich seit 2008 verfolgt. Meine Auseinandersetzung hat sich dann theoretisch und praktisch verfeinert. Mein Architektur-Studium ist sehr künstlerisch gewesen, ich habe Kunstprojekte schon während des Studiums durchgeführt. Über das Thema Müll ich habe dann zurück zur Kunst gefunden und sehr viel Wissenschaftliches dazu gelesen.
Und was haben Sie dann bei der Müllabteilung von Stockholm Stadt genau gemacht?
Ich habe fünf Jahre als Beraterin gearbeitet und mehrere Projekte durchgeführt. Dort habe ich Gestaltungsprozesse begonnen, Recycling-Center geplant. Wir haben neue Prozesse zwischen der Stadtplanung und dem Müllbereich etabliert und versucht, technisches Wissen mit räumlich-gestalterischem und strategischem zusammenbringen. Zum Beispiel haben wir Design-Stationen für die Abgabe von Sondermüll in der Stadt entworfen und diesen so aus der Peripherie mitten ins Leben geholt. Dieser soziokulturelle Aspekt des Sichtbarmachens ist bis jetzt sehr wichtig für meine Arbeit.
Ihre Dissertation an der Bauhaus-Universität Weimar in der Fakultät Kunst und Gestaltung verbindet Kunst und Altenlastensanierung – das würden vermutlich wenige zusammendenken… Warum halten Sie gerade dies für wichtig?
Ich habe mich immer mit schwer lösbaren Problemen beschäftigt. Wie man Probleme formuliert, umformuliert, um neue Lösungen zu finden. Gerade die Toxizität, die Hinterlassenschaften von großen Industrien, sind ganz tief verstrickt mit vielen Problemen. Nicht nur, weil alles Material aus dem Boden geborgen werden muss, es gibt soziale, spirituelle Fragen, die man gleichzeitig behandeln muss. Als Disziplin ist Kunst da ein offener Raum, finde ich. Kunstmethoden sind das Kreieren, das Neugestalten. Besonders in der künstlerischen Forschung, wo man neue Methoden entwickelt, dem Bereich, in dem ich promoviere.
Dabei haben Sie Bitterfeld-Wolfen als Fallstudie gewählt. Warum gerade diesen Ort? War er Ihnen vorher ein Begriff?
Das war Zufall. Bis vor zweieinhalb Jahren kannte ich Bitterfeld gar nicht. Ich habe länger mit einem Künstler und einem Umwelthistoriker über Deponien in Brandenburg gearbeitet und begonnen, mich sehr für die Ost-West-Geschichte zu interessieren. In Brandenburg gab es den Hinweis auf Bitterfeld und ich habe angefangen zu recherchieren.
Wer sich mit der Region beschäftigt und den Hinterlassenschaften der Chemieindustrie, stößt vermutlich zwangsläufig auf den Film «Bitteres aus Bitterfeld». Er wurde 1988 von Ostberliner Oppositionellen, Westberliner Filmemacher und Umweltschützern gedreht. Zu sehen sind Chemiefässer, die offen auf Müllhalden liegen. Den Film kennen Sie sicher auch.
Ja, klar. Ich habe viele solcher Zeitdokumente angeschaut. Ich finde das einen sehr spannenden Teil der Bitterfelder Geschichte, dieses große mediale Bild, das sehr einseitig ist und so schrecklich. Ich kenne auch die Geschichte von der Schauspielerin und Umweltaktivistin Jane Fonda, wo sie am Silbersee, einer Grube mit stinkenden Abfällen der Chemieindustrie in Bitterfeld-Wolfen, stand und geweint hat. Es gab so viele von diesen Geschichten, die Bitterfeld so bekannt gemacht haben und zum Sündenbock von Umweltschäden. Aber gleichzeitig passieren solche industriellen Geschichten überall. Es gab jetzt neulich ein Feature, wo man Bitterfeld mit einem Industrieort außerhalb Kölns verglichen hat. Sie haben dieselbe Geschichte.
Was waren Ihre ersten Eindrücke, als Sie selbst nach Bitterfeld-Wolfen gereist sind?
Ein riesiger Kontrast zu dem, was ich im Internet gesehen hatte während der historischen Recherche. Bitterfeld-Wolfen sieht aus wie jeder touristisch schöne Ort mit blauem Wasser, blauem Himmel. Vor 30 Jahren war die Luft so dick und gelb, das kann man sich nicht vorstellen, wenn man heute Bitterfeld besucht. Dazu habe ich mit Jun.-Professorin Alexandra Toland ein Projekt gemacht, bei dem es um diese Flugasche ging. Diese ist nicht mehr im Himmel, sondern herabgefallen, im Boden und in den Pflanzen verarbeitet. Aus diesen Blumen haben wir Pigmente hergestellt, um die Flugasche noch einmal zurückzubringen, sie wieder sichtbar zu machen. Diese schädlichen Mittel verschwinden nicht – trotz blauem Himmel.
Während des Kultur-Festivals OSTEN in Bitterfeld-Wolfen im Juli haben Sie mit dem Künstler Stephan Thierbach beim Projekt «Der Schweiß der Erde» Erde gekocht. Worum ging es dabei?
Das ist ein Projekt, das ich schon 2019 angefangen habe. Thierbach hat während einer Ausstellung, die ich kuratiert habe, vor Ort Erde gekocht. Das wollen wir weiterentwickeln als Strategie. Durch die chemische Umwandlung der Erde während des Kochens kommt etwas anderes heraus und es entwickelt sich etwas wie ein Lagerfeuer: Man sitzt um eine große Tonne im Kreis, die Erde kocht und strömt Duft aus. Und dann haben wir diese Methode benutzt, um mit unterschiedlichen Personen in ein kuratiertes Gespräch zu kommen – so in Wolfen-Nord. Dort entstanden während der DDR viele Arbeiterhäuser – Plattenbauten – in den 1960er Jahren, mehr als 13.000 Wohnungen. Nach der Wende standen diese oftmals leer, einige wurden abgerissen. Wir haben an einem Ort, wo einst ein Plattenbau stand, Erde gekocht. Es war sehr beeindruckend: Wir saßen um das Feuer, haben über Geruch und Erinnerung geredet. Dann haben die Bitterfelder von diesem Platz erzählt, wie er früher aussah, wo die Kinder gespielt haben. Es entwickelte sich sehr schnell ein lebendiges Gespräch über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Und wie hat die Erde gerochen?
Sie hat nussig-süß-erdig gerochen. Die Erde hat einen bestimmten Geruch und bringt so viele Assoziationen hervor – wie die einer alten Scheune oder einer Tiefgarage.
Aber Sie mussten erst schauen, ob das Kochen der Erde mit Blick auf die Chemikalien her verantwortbar war?
Genau. Die Gefahr ist immer da ist. Das ist das Problem mit der Toxizität. Man sucht nach einer Substanz – man kann nicht eine allgemeine Toxizität von Erde testen. Es ist immer die Verknüpfung mit Geschichte notwendig: Wurde beispielsweise das Gift DDT an der Stelle hergestellt, von der die Erde stammt? Daher haben wir uns gegen Spittelwasser entschieden, das ist ein kleiner Fluss, in den Abfall, Chemie hineingeworfen worden ist. Wir haben festgestellt, es ist zu gefährlich Erde zu kochen.
Stichwort Wasser: Ihr nächstes Projekt in Bitterfeld soll sich mit dem verseuchten Grundwasser dort beschäftigen und wird vom Kreativfonds der Bauhaus-Universität Weimar unterstützt. Was sind Ihre Pläne?
Ich habe ein Projekt über den Himmel gemacht mit Frau Prof. Toland, «Himmel im Boden». Und dann folgte die Erde mit dem Projekt «Schweiß der Erde». Jetzt ist das Grundwasser an der Reihe, etwas, das uns sehr tief verbindet. Aber es ist so schwierig zu verstehen, daher möchte ich mit Klang arbeiten. Dazu habe ich bereits eine Zusammenarbeit mit einem Akustik-Ingenieur und einem Künstler, Max Schneider von der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, etabliert. Wir haben vor, mit Sanierungswissenschaftlern vor Ort zu kooperieren – mit der Unteren Bodenschutzbehörde und der Mitteldeutschen Sanierungs- und Entsorgungsgesellschaft.
Um zu hören, braucht man immer ein Medium. In Bitterfeld gibt es viele Pumpen, die sehr tief im Boden eingelassen sind. Wir wollen versuchen, den Klang des Wassers durch diese Pumpen einzufangen. Der erste Schritt ist, mit Hilfe des Kreativfonds, diese Klänge zu sammeln. Diese Arbeit geschieht eingebunden in ein anderes Projekt zusammen mit anderen Künstlerinnen und Künstlern in anderen Ländern, die das gleiche Problem haben – Toxizität und Wasser.
Sind das auch Projekte zum Thema Klang?
Ja, es sollen Hörspiele entstehen zu Mexiko-City und dessen Abwasserproblemen, es geht um Schwermetalle im südlichen China und den Chicago-River, mit den Hinterlassenschaften der Stahlindustrie vor Ort. Diese Belastungen wollen wir verständlich machen, eine Auseinandersetzung mit der Geschichte anregen und ins Gespräch zu kommen – durch das Medium Hörspiel. Man hat sich an Bilder von Katastrophen gewöhnt, doch die Vergiftungen des Wassers sehen nicht aus wie Katastrophen, weil man sie nicht sehen kann.
Und Sie bringen dann die Bitterfeld-Perspektive ein?
Genau. Ich versuche, ein neues Verständnis der Grundwasserprobleme zu vermitteln – durch Audio. Diese Aufnahmen sind eine technische Hausforderung und kostspielig, deswegen habe ich Geld beim Kreativfonds beantragt.
Wann planen Sie vor Ort zu sein, um die Geräusche einzufangen?
Wir – Max Schneider und ich – wollen das Anfang September versuchen.
Ich habe gelesen, dass Sie auch Zeitzeugen-Interviews planen. Werden diese mit den Klängen kombiniert?
Ich weiß noch nicht, in welche Richtung das Projekt sich entwickelt. Ich denke, wenn es in die des Hörspiels geht, kann man das gut kombinieren. Dank eines Stipendiums vom Bundesumweltamt, der Stiftung Bauhaus Dessau und des Vereins Kulturpark haben Stephan Thierbach und ich mehrere tiefe Gespräche mit Zeitzeugen geführt, welche auf jeden Fall zurückkehren werden in meine Arbeit. Ich muss aber zuerst den Klang finden und einfangen.
In Bitterfeld-Wolfen saugen Pumpen riesige Mengen Waser aus dem Untergrund – nicht nur auf den offenen Flächen der Mülldeponien mit ihren toxischen Abfällen, sondern auch bei Privatpersonen im Keller. Um diese geht es?
Die Pumpen sind der Grund, warum die Leute dort leben können. Ihr Leben hängt vom Wasserspiegel ab: Tritt das verseuchte Wasser an die Oberfläche, bilden sich giftige Gase. Es gibt einen Ort, wo zu viel Wasser zufließt und deshalb wurde dort eine Wand um die Siedlung gebaut, um das Wasser fernzuhalten. Das Grundwasser ist schwarz. Der Grund liegt in der Kombination von Braunkohle und Chemie. Weil die Braunkohlegrube zu tief ging, hat sich das obere Grundwasser mit unteren Grundwasserflüssen verbunden. Der Boden ist wie ein Käse mit Löchern. Dieses sehr tiefe Grundwasser kann sich sehr breit bewegen. Und man hat auch nicht die Technik, Wände so tief zu bauen, um das zu verhindern. Man weiß auch nicht, in welchem Material man solche Wände bauen könnte, weil manche Chemikalien Zement zerfressen. Es ist eine riesige Herausforderung. Ich bin nicht gegen solche technischen Lösungen. Ich finde nur, man verliert etwas, wenn man einseitig auf dieses technische Problem schaut.
Welche anderen Aspekte sind das?
Sozio-kulturelle. Es gibt beispielsweise zunehmend Rechtsradikale in Bitterfeld-Wolfen. Da sollte man fragen: Was war die Geschichte des Ortes? Wie sind die Biografien gebrochen? Wie hängt das mit dem industriellen Geschehen zusammen? Nach dem Mauerfall ist vieles in Frage gestellt worden. Manche haben es sehr gut geschafft, damit zurecht zu kommen, andere nicht. Umwelt betrifft immer auch das Zwischenmenschliche. In dieser Sicht bietet künstlerische Forschung eine Arena an, Zusammenhänge, die nicht unmittelbar sichtbar sind, neu zu beleuchten und zu betrachten, ohne die Geschichte zu vereinfachen.
Zum Kreativfonds der Bauhaus-Universität Weimar
Einen Kurzfilm drehen, eine Installation realisieren oder ein Kunstprojekt gestalten – wer kreativ ist, dem kommen immer wieder spannende Ideen. Doch was tun, wenn das Geld dafür fehlt? Seit beinahe 15 Jahren heißt eine Antwort der Bauhaus-Universität Weimar: Die Bewerbung beim Kreativfonds lohnt! Professor*innen, akademische Mitarbeiter*innen, Promovierende und Studierende aller Fakultäten können sich zweimal pro Jahr auf eine Förderung bewerben.
Was wird gefördert?
Künstlerisch-gestalterische Projekte ohne vorgegebene Formate: Entscheidend sind die innovative Idee und ein realistischer Plan sie zu verwirklichen. Die Fördermodalitäten und weitere Informationen finden Sie in der Richtlinie und den FAQ.
Alle Informationen zum Fonds:
Projekte aus 10 Jahren Kreativfonds:
Für Rückfragen zum Kreativfonds steht Ihnen Kristina Hellmann, Dezernat Forschung, gern telefonisch unter Tel.: +49 (0) 36 43 / 58 25 39 sowie per E-Mail unter kristina.hellmann[at]uni-weimar.de zur Verfügung.
Für Rückfragen zum Artikel können Sie sich gern an die Wissenschaftsredakteurin Dr. Stefanie Waske wenden, per E-Mail unter stefanie.waske[at]uni-weimar.de oder telefonisch unter +49 (0) 36 43 / 58 11 24.
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