"Obwohl sie immer in der Materie begründet ist, geht es in der Architektur nie nur um die Materie". Alfredo Thiermann wird seine aktuellen Recherchen über die Interaktion von Architektur mit dem Medium Radio vorstellen. Das Radio versprach zur Zeit seiner Erfindung, die materiellen Aspekte der Architektur zu überwinden. Aber – so Thiermann: “Das Gegenteil war der Fall, denn das Radio brachte die Errichtung einiger der größten und monumentalsten Gebäude mit sich.”
1945 unternahmen die sowjetischen Truppen zwei für Thiermanns Recherche wichtige Schritte: Sie demontierten den Sendeturm des Deutschlandsenders III und besetzten das Haus des Rundfunks in West-Berlin. Diese Aktionen waren symbolisch wie technisch wichtig: Denn in der Zeit danach, während des Kalten Krieges, begann der Ätherkrieg zwischen Ost- und Westblock.
In seinem Vortrag wird Thiermann das architektonische "Material" dieses Konflikts analysieren - die Gebäude, Mauern, Sendetürme, Fabriken, Forschungseinrichtungen und territorialen Organisationen, die die Produktion, Reproduktion und Übertragung klanglicher Inhalte über die Kluft des Eisernen Vorhangs hinweg ermöglichten.
Durch diese Linse der Berliner Radioarchitektur zeigt Thiermann wenig erforschte Kontinuitäten zwischen Politik, Technologie, Medien und Architektur auf und definiert die nationalen und transnationalen Grenzen neu: "Die materielle Dimension des Radios veränderte die Art und Weise, wie Gebäude und Territorien verstanden werden."
Zeit: 20.12.2022 | 19:00
Ort: Limona | Online
Das Radiogespräch wird auf Englisch gehalten.
Alfredo Thiermann ist Architekt und Assistenzprofessor für Geschichte und Theorie der Architektur an der École polytechnique fédérale in Lausanne. In seiner künstlerischen Praxis und theoretischen Forschung untersucht er die Schnittmenge zwischen Architektur und verschiedenen Medien, von Klanginstallationen und Filmszenografie bis hin zu Einfamilienhäusern, öffentlichen Gebäuden und großen Infrastrukturen.
Alfredo studierte in Santiago de Chile und Princeton Architektur und promovierte an der ETH Zürich. Er lehrte und hielt Vorträge an der Harvard University, der Pontificia Universidad Católica de Chile und anderen Institutionen. Alfredos Arbeiten wurden in vielen renommierten Magazinen veröffentlicht und in bedeutenden Museen wie dem MoMA und der Kunstbiennale von Venedig ausgestellt. Zurzeit arbeitet er an einem Buch mit dem Titel “Radio-Activities: Architecture and Broadcasting in Cold War Berlin”. Er lebt, arbeitet und kümmert sich um Pedro Tristán und Juan Nataniel - zwischen Lausanne und Berlin.
Die Radiogespräche werden von der Professur »Experimentelles Radio« organisiert und angeboten. Sie finden thematisch parallel zu den laufenden Lehrveranstaltungen des Semesters statt und sind öffentlich zugänglich.