Bericht zur Tagung Erinnern gestalten. Orte der NS-Medizinverbrechen (29.-30.09.2022)
Eine Kooperationsveranstaltung des Forschungsprojektes Die Geschichte der Bauhausstraße 11 mit der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen
Im Rahmen der Tagung Erinnern gestalten. Orte der NS-Medizinverbrechen kamen Forscher*innen verschiedener Disziplinen zusammen, um über Formen und Praktiken von Täter*innenschaft im Kontext der NS-Gesundheitspolitik zu debattieren, aber auch, um über Formate des Erinnerns an im Namen des NS-„Gesundheits“wesens begangene Verbrechen nachzudenken. Die Tagung machte erneut auf die Rolle aufmerksam, die das Gebäude in der heutigen Bauhausstraße 11 (heutiger Sitz der Fakultät Medien der BUW) während der nationalsozialistischen Herrschaft und insbesondere für die Gesundheitspolitik im damaligen NS-Gau Thüringen spielte.
Die Tagung diente zudem der Vernetzung forschender und geschichtsvermittelnder Akteur*innen. Zudem bot sie dem Forschungsprojekt Die Geschichte der Bauhausstraße 11 die Möglichkeit, den im Projekt gesetzten Fokus auf die Untersuchung des lokalen Netzwerkes auszuweiten und mit überregionalen Perspektiven auf ehemalige Täterorte zu verbinden.
Zunächst begrüßte Lilli Hallmann im Namen des Forschungsprojektes Die Geschichte der Bauhausstraße 11 alle Anwesenden und brachte die Freude der Organisator*innen darüber zum Ausdruck, dass die Konferenz in Präsenz stattfinden konnte.
In ihrem Begrüßungswort betonte Prof. Dr. Jutta Emes die Relevanz des Themas an der Bauhaus-Universität Weimar und darüber hinaus und bedankte sich bei den Organisator*innen und Gästen für ihr Mitwirken an der Veranstaltung.
Im Anschluss begrüßte Jörg Mertz alle Anwesenden im Namen der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen, die die heutige Eigentümerin des Gebäudes in der Bauhausstraße 11 sowie finanzielle Förderin des Forschungsprojektes zur Geschichte dieses Gebäudes ist. Jörg Mertz bedankte sich zunächst bei der Gruppe Studierender, die vor etwa drei Jahren auf die NS-Vergangenheit des Gebäudes aufmerksam machte und erste wichtige Recherchearbeiten unternahm. Darüber hinaus ging er auf die Aufgaben und Zuständigkeiten von Ärztekammern und Kassenärztlichen Vereinigungen ein – und wie diese im NS für die Entrechtung verfolgter Ärztinnen und Ärzte missbraucht wurden. Zudem gab Mertz einen Einblick in die wechselhaften Besitzverhältnisse des Gebäudes nach der Befreiung im Jahr 1945 bis zur Rückübertragung an die nunmehr demokratisch aufgebaute Ärzt*innenorganisation Anfang der 1990-er Jahre.
In den sich anschließenden einführenden Worten durch die Projektleitung des Projektes zur Geschichte der Bauhausstraße 11 erläuterte Julia Bee (Professur für Medienwissenschaft und Medienästhetik an der Universität Siegen) die Genese des Projektes, indem sie unter anderem darauf einging, welche temporären Interventionen es im Gebäude der Fakultät Medien in jüngster Vergangenheit gab. Sie verwies zudem darauf, dass der Frage nach Medien des Erinnerns auch an weiteren Standorten der Bauhaus-Universität Weimar nachgegangen werden muss, namentlich hinsichtlich der Marienstraße 13/15 (im NS Sitz des sogenannten Thüringischen Landesamtes für Rassewesen) sowie der Belvederer Allee 6, wo im NS Jüdinnen und Juden enteignet und zum Warten auf ihre Deportation gezwungen wurden.
Jannik Noeske (wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur Raumplanung und Raumforschung an der Bauhaus-Universität Weimar) machte schließlich darauf aufmerksam, dass im Rahmen der Tagung auch daran erinnert werden soll, dass vor genau 84 Jahren, am 30.09.1938, jüdischen Ärztinnen und Ärzten die Approbation durch die Nationalsozialist*innen entzogen wurde.
In ihrem Vortrag kontextualisierte Rebecca Schwoch (stellvertretende Leiterin des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf) das Thema des Approbationsentzugs, indem sie die stufenweise Entrechtung jüdischer und anderweitig verfolgter Ärzt*innen im NS erläuterte. Ihr Vortrag verdeutlichte, in welchem Ausmaß Ärzt*innen an der Enteignung und Verfolgung ihrer Berufskolleg*innen beteiligt und verantwortlich waren. In der sich anschließenden Diskussionsrunde wurde die Notwendigkeit betont, dass die Unrechtsgeschichte des NS-Gesundheitswesens Bestandteil des Medizinstudiums sein muss.
Der Vortrag von Franziska Klemstein (wissenschaftliche Mitarbeiterin für Digital Humanities an der Professur Theorie medialer Welten, Fakultät Medien der Bauhaus-Universität Weimar) musste krankheitsbedingt leider entfallen. An ihrer Stelle sprach Dorothee Schlüter (wissenschaftliche Mitarbeiterin der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora) über das Thema Zwangsarbeit im NS und das in diesem Kontext geplante Museum im ehemaligen Gauforum Weimar. Schlüter erläuterte hierbei u.a., an welche Zielgruppe sich das geplante Museum richten wird und wies daraufhin, dass Erinnerungsmedien inklusiv gedacht werden müssten, dass Informationen bspw. in leicht verständlicher Sprache, aber auch auf Englisch zugänglich gemacht werden sollten.
Jens Christian Wagner (Leiter der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora) skizzierte in seinem Vortrag die Entwicklung der Gedenk- und Erinnerungskultur in Deutschland nach der Befreiung und ging hierbei auf die unterschiedlichen Entwicklungen in Ost- und Westdeutschland ein. Er wies zudem darauf hin, dass der Begriff „Erinnerung“ unter Umständen auch problematisch sein kann. So müsse insbesondere in Hinblick auf Jugendliche als Zielgruppe der Gedenk- und Erinnerungsarbeit bedacht werden, dass die jungen Menschen tatsächlich nicht über ihre eigene Erinnerung einen Bezug zur Vergangenheit herstellen können. Somit muss über andere Formen des In-Beziehung-Tretens mit der Geschichte nachgedacht werden. Hieran schloss sich eine Diskussion darüber an, ob statt von „Erinnerungsorten“ eher von „Informationsorten“ gesprochen werden sollte. Jens-Christian Wagners Beitrag ließ darüber hinaus anklingen, dass Gedenkstätten mitunter mit gesellschaftlichen Aufträgen nahezu überladen werden, woraus sich ableiten lässt, dass ein dichtes Netzwerk aus auf unterschiedliche Weise vermittelnden, informierenden, erinnernden und gedenkenden Akteur*innen von großer Bedeutung ist.
Ulrike Hatzer (Leiterin des Masterprogramms „Applied Theatre. Künstlerische Theaterpraxis und Gesellschaft“ an der Universität Mozarteum Salzburg) brachte die Perspektive der künstlerischen Forschung in die Tagung ein. Hierfür hielt sie ihren Vortrag im Rahmen einer eigens für die Tagung konzipierten Installation, sodass die Gäste nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch einen Einblick in das Vorgehen der performativen Aufarbeitung erhielten. Hatzers Beitrag stellte nicht zuletzt aus dem Grund eine Bereicherung für die Tagung dar, insofern der Ansatz der szenischen Forschung im Rahmen wissenschaftlicher Tagungen häufig noch keine Beachtung findet. Die Tagung stellte folglich die Frage in den Raum, inwiefern die akademische und künstlerische Forschung insbesondere hinsichtlich des Erinnerungs- und Gedenkdiskurses zusammenarbeiten können.
Den zweiten Tagungstag eröffnete Manuela Bauche (wissenschaftliche Mitarbeiterin am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft an der FU Berlin), indem sie den derzeitigen Forschungsstand vorstellte, der im Rahmen des Projektes zur Geschichte der Ihnestraße 22 / Berlin (ehemaliges Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik) erzielt werden konnte. Insbesondere ging sie auf den Aspekt des Vermittelns ein und stellte in diesem Zusammenhang das Konzept der sensiblen Sichtbarmachung vor. Hierzu gehört beispielsweise der sensible Umgang mit archiviertem Bildmaterial, das ausschließlich die Täterperspektive zeigt und die dargestellten Personen objektifiziert und stigmatisiert. Es schloss sich eine Diskussion über das Pro und Contra hinsichtlich der Veröffentlichung von Opfernamen an. Bauche wies darauf hin, dass eine Namensveröffentlichung im Falle bestimmter Personen/Personengruppen, die auch heute noch rassistischer Diskriminierung ausgesetzt sind, mitunter verheerende Folgen haben kann. Ob die Namen von denjenigen, die im NS verfolgt wurden, öffentlich dargestellt werden sollten, müsse von Fall zu Fall entschieden werden – bestenfalls in Absprache mit Familienangehörigen oder Betroffenengruppen.
Viola Schubert-Lehnhardt, die sich als freiberufliche Dozentin und Autorin insbesondere mit Frauen- und Geschlechterforschung, Gesundheitspolitik und medizinischer Ethik auseinandersetzt, setzte Ansätze der feministischen Forschung in Beziehung mit dem Diskurs über nationalsozialistische Täter*innenschaft. Dabei verdeutlichte sie, dass Frauen über Handlungsspielräume verfügt hätten, sodass sich ein breites Spektrum an Beteiligungsformen von Frauen an den Verbrechen der NS-Gesundheitspolitik abzeichne. Hierbei ging Schubert-Lehnhardt insbesondere auf die Rolle von Hebammen ein, die zwar innerhalb der Hierarchie des NS-Gesundheitswesens nicht zuoberst standen, jedoch durch ihren engen, konstanten Kontakt zu Schwangeren und Müttern einen enormen Einfluss im Sinne der NS-Ideologie auf diese Bevölkerungsgruppe ausüben konnten.
Yael Barzilai aus Hod Hasharon/Israel war bereits zum zweiten Mal zu Gast an der Bauhaus-Universität Weimar, nachdem sie sich 2018 an einem Master-Seminar zur Geschichte von Bürokratie – speziell zum Medienformat des Formulars – beteiligt hatte. In ihrer Arbeit kontextualisiert sie die Recherche innerhalb des eigenen Familienarchivs mit damit in Zusammenhang stehenden historischen Ereignissen. Diese Suche führte sie unter anderem in das Archiv der Gedenkstätte Buchenwald sowie in die Gedenkstätte für Opfer der NS-„Euthanasie“ Bernburg. Auch in ihrem Vortrag verknüpfte Yael Barzilai die Geschichte ihrer Familie – ihr Großonkel wurde im Konzentrationslager Buchenwald gefangen gehalten und in der Tötungsanstalt Bernburg ermordet – mit dem Stand der Forschung hinsichtlich des Ermordungsprogrammes „14f13“.
Im abschließenden Vortrag veranschaulichten Lilli Hallmann (wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt Die Geschichte der Bauhausstraße 11), Jörg Paulus (Professur für Archiv- und Literaturforschung an der Fakultät Medien der Bauhaus-Universität Weimar) und Kristin Victor (Sammlungskoordinatorin am Herbarium Haussknecht der Friedrich-Schiller-Universität Jena) in ihrem gemeinsamen Vortrag, dass auch Heilpflanzen zu Medien der NS-Gesundheitspolitik geworden waren und dass sich hieran exemplarisch zeige, dass es keine „unschuldigen“ Medien gegeben habe. Die Referierenden gingen auf die Verzweigung des Naturschutzgedankens mit der Pharmazie und der NS-Ärzt*innenschaft ein. Auch die Rolle, die das Herbarium Haußknecht in Weimar während des Nationalsozialismus einnahm, wurde thematisiert. In der Diskussionsrunde wurde darauf hingewiesen, dass es im NS einen engen Zusammenhang zwischen Ökologie/Agrarwesen und Formen der Gewalt, wie Zwangsarbeit, gegeben habe. So wurden beispielsweise Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau dazu gezwungen, unter brutalen Bedingungen in dem von den Nationalsozialist*innen angelegten Kräutergarten zu arbeiten.
Im Anschluss an die Tagung bot Jannik Noeske den Tagungsgästen einen Rundgang an, der unter anderem zum ehemaligen Gauforum sowie zum ehemaligen Sitz des sogenannten Thüringischen Landesamtes für Rassewesen (heutiger Sitz der Fakultät Bauingenieurwesen) und zum ehemaligen sogenannten Thüringer Ärztehaus (heutiger Sitz der Fakultät Medien) führte.
Nochmals sei an dieser Stelle Allen für die spannenden und lehrreichen Beiträge gedankt und nicht zuletzt Dorothee Schlüter und Max Welch Guerra (Professur Raumplanung und Raumforschung an der Bauhaus-Universität Weimar), die moderierend impulsgebend durch die Tagung führten.
Wir bedanken uns herzlich bei allen Referent*innen für die spannenden Beiträge und bei allen Gästen für das Interesse an der Tagung sowie die bereichernden Diskussionsbeiträge! Zudem möchten wir uns bei allen Personen bedanken, die an der Organisation und Umsetzung der Tagung beteiligt waren!
Die schlechte Nachricht zuerst: Krankheitsbedingt muss der Vortrag von Franziska Klemstein leider entfallen. Wir bitten um Ihr Verständnis.
Die gute Nachricht: Wir freuen uns sehr, den Beitrag von Dorothee Schlüter zum Thema ehemaliges Gauforum Weimar und NS-Zwangsarbeit ankündigen zu können. (29.9., 16:00-16:45 Uhr).
Auf der Tagung wird die Frage, was unter Aufarbeiten und Erinnern verstanden werden kann, aus verschiedenen Disziplinen heraus gestellt. Ulrike Hatzer (Head of the MA-Programm Applied Theatre,
Thomas-Bernhard-Institut, Universität Mozarteum Salzburg) zum Beispiel verfolgt den Ansatz des performativen Forschens. Nach Weimar bringt die Theaterregisseurin ein "Mini-Archiv" mit, das Einblicke in die Idee der inszenierten Recherche gibt.
Bringen Sie gerne ein bisschen Zeit mit oder nutzen Sie die Pausen, um in besagtem Mini-Archiv zu hören, lesen, schreiben.
Zur Einstimmung finden Sie hier ein Video zu einer vergangenen Arbeit Hatzers, ein Recherchetheaterprojekt, das sich mit der Frage beschäftigte, inwiefern sich einem ehemaligen Täterort des Nationalsozialismus performativ genähert werden kann. Für die Arbeit war Hatzer 2017 für den FAUST nominiert.
Kurzfristige Änderungen vorbehalten
Bei Fragen zum Tagungsprogramm oder Interesse an einer Teilnahme erreichen Sie uns unter: lilli.hallmann@uni-weimar.de
Wir würden uns sehr freuen, Sie auf der Tagung "Erinnern gestalten. Orte der NS-Medizinverbrechen" begrüßen zu dürfen. Bei Interesse bitten wir um vorherige Anmeldung:
lilli.hallmann@uni-weimar.de
Das detaillierte Programm folgt in Kürze.
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Wechsel der Hintergrundfarbe von Weiß zu Schwarz
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