Projekttitel
Die Ästhetik des Weggeworfenen: Abfall als Mittel zum ästhetischen und politischen Dissens
Projektbeschreibung
Das Dissertationsprojekt untersucht die vielschichtigen Operationen der Erzeugung von Abfall, seines Ausschlusses aus der Alltagswahrnehmung sowie seiner künstlerischen Wiedersichtbarmachung. In der Untersuchung der Reproduktionsformen des späten Kapitalismus hat sich die Forschung, zurückgreifend auf Positionen der kritischen Theorie über den Inszenierungswert und die Phantasmagorie der Waren, intensiv auf die Entlarvung der Ästhetisierung der Waren konzentriert. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es zu zeigen, dass auch die Ästhetik des Verschwindens von Abfall (Moisi), d. h. einer schnellen Entsorgung und Unsichtbarmachung der Konsumreste, an der Gestaltung der sinnlichen und intelligiblen Ordnung der Konsumgesellschaft mitwirkt und damit menschliche und nicht-menschliche Existenzweisen im Konsumsystem prägt.
Und doch, auch einmal als bedeutungslos und erschöpft weggeworfen, hört ein zu „Abfall gemachtes Objekt“ nicht auf, seiner materiellen Eigenlogik zu folgen, unabsehbare semiotische und sensorische Effekte zu generieren und damit seine Wirkmächtigkeit zu entfalten. Mithilfe neo-materialistischen Positionen (Bennett, Alaimo) sowie Ergebnissen aus den Waste und Discard Studies (Gille/Lepawsky, Liboiron) beabsichtigt die Dissertation, den Abfall als Aktant mit Eigenmacht zu erkennen und die Mensch-Abfall-Relationen unter diesem Gesichtspunkt zu analysieren. Insbesondere werden künstlerisch-vermittelte Erfahrungen mit dem Abfall untersucht, um die anthropomediale Performanz von Kunstwerken zu erproben. Der Fokus richtet sich auf Installationen, die sich von einer Recycling-Ästhetik entfernen, um die sinnlich-materielle Prägnanz und die sensorisch-emotionalen Qualitäten des Abfalls herauszuarbeiten und dadurch die Eigensinnigkeit und Eigensinnlichkeit des Weggeworfenen hervortreten und auf die Betrachter:innen einwirken zu lassen. Indem solche Werke die Widerspenstigkeit (Latour) des Abfalls gegen psychische und physische Verdrängungsbestrebungen herausarbeiten, können sie gewohnte Wahrnehmungs-, Affekt- und Denkweisen von Dingen stören und dadurch ästhetischen sowie auch politischen Dissens (Rancière) bewirken.
Vita
Lorenzo Gineprini ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Graduiertenkolleg Medienanthropologie an der Bauhaus-Universität Weimar. Er studierte Philosophie an der Università degli Studi di Torino, der Freien Universität Berlin und der Université Fribourg. In seiner Bachelorabschlussarbeit (Turin) entwickelte er eine philosophische Lektüre des Unheimlichen in den Filmen von David Lynch. Parallel dazu schrieb er Filmrezensionen für einige italienische Tageszeitungen (La Stampa). Für seinen Masterabschluss (Berlin) erforschte er das öko- und gesellschaftskritische Potenzial künstlerischer Bearbeitungen des Abfalls. Sein Promotionsvorhaben begann er mit einer Förderung der Studienstiftung des deutschen Volkes an der Universität zu Köln, bevor er die Arbeit am GRAMA aufnahm.
Publikationen
Artikel und Aufsätze
Eine ästhetische Politik nicht-menschlicher Entitäten: mit Jacques Rancière und über ihn hinaus, in: „Szenen kritischer Relationalität“, Charlotte Bolwin, Jasmin Degeling, Gabriel Geffert, Martin Kallmeyer, Gereon Rahnfeld, Nathalie Schäfer, Katia Schwerzmann (Hg.), Meson Press, 2023 (i. V).
Interpreting Magnolia through Badiou's Axiomatic Judgment: The Visitation of the Idea that Humanity is Love, Itinera, Heft 24, 2023, S. 89-104
The Uncanniness of the Ordinary: Rethinking the Uncanny within Aesthetics, Proceedings of the European Society for Aesthetics, Heft 14, 2022, S. 86-99.
L’utopia egoista di David Lynch: una ribellione contro i limiti della realtà, Philosophy Kitchen, Heft 10, 2019, S- 135-142.
Einträge in Lexika
Material Agency, International Lexicon of Aesthetics, online, 2024 (i. V.)
Uncanny, International Lexicon of Aesthetics, online, 2022.
Rezensionen
Mary Douglas: Purity and Danger. An Analysis of the Concepts of Pollution and Taboo, Bildwelten des Wissens, De Gruyter, Berlin, Heft 18, 2022, S. 45-47.
Michael Haneke: La visione negata, Agalma, Mimesis, Milano, Heft 35, 2018, 115-117.
Vorträge
Material Agency within Aesthetics, Tagung der European Society for Aesthetics, House of Music Budapest, 2023
Eine phänomenologische Untersuchung des Abfalls, Tagung der deutschen Gesellschaft für phänomenologische Forschung „Zurück zu den Sachen selbst”, Friedrich-Schiller-Universität Jena, 2022
The Uncanniness of the Ordinary as an Aesthetic Category, Tagung der European Society for Aesthetics, Estonian Academy of Arts Tallinn, 2022
Für eine ästhetische Politik nicht-menschlicher Entitäten, Workshop „Kritik der Relationen aus medienanthropologischer Perspektive“ des Graduiertenkollegs Medienanthropologie, Bauhaus-Universität Weimar, 2022
A Material Understanding of Waste, Tagung der European Society for American Studies „Wastelands“, Universidad Complutense de Madrid, 2022
Rethinking Consumer Waste Production during and after the Corona Crisis, 2021 Cambridge AHRC International Conference „Across Distance”, Cambridge University, 2021
Rethinking Material Consumer Culture and Ecology through the Aesthetics of Waste, „Decolonising Degrowth Conference: From Sustainability to Climate Justice” beim Centre for Culture and Ecology, Durham University, 2021
Lehre
Günter Anders: Zwischen Medienphilosophie und philosophischer Anthropologie, Seminar an der Bauhaus-Universität Weimar zusammen mit Mirko Beckers, SS 2023
L'estetica dei rifiuti. Il ritorno del rimosso economico ed ecologico, vierstündiges Seminar zum Thema Ästhetik des Abfalls in der Philosophie-Master-Lehrveranstaltung „Fondamenti di Ecologia“ von Prof. Gianluca Cuozzo, Università degli Studi di Torino, WS 2022
Ko-Organisation wissenschaftlicher Konferenzen
Eco-temporalities and Geo-politics, Workshop an der a.r.t.e.s. Graduate School in Zusammenarbeit mit dem Zentrum MESH (Multidisciplinary Environmental Studies in the Humanities), Universität zu Köln, 2022
Dissolution Practices, Kunstausstellung mit Workshop, a.r.t.e.s. Graduate School for the Humanities, Universität zu Köln, 2022