Max Walther

Projekttitel

Körper-zu-Sein. Eine Verortung. Er-und Zer-Schreiben bei Simone Weil, Chris Kraus, Kathy Acker und Annie Ernaux

Projektbeschreibung

In meinem Projekt Körper-zu-sein untersuche anhand feministischer (Gegenwarts-)Literaturen die Relationen zwischen (transgressiven) Praktiken des Körpers und Subjektkonstitution vor der Folie eines immer-schon-immer unumgänglichen Mit-seins der Medien. Dabei bediene ich mich vornehmlich der Praxis-Theorie von Michel Foucault, den Überlegungen zu subjektpraktischen Ein- und Ausfaltungen Gilles Deleuzes und Félix Guattaris, der performative philosophy Simone Weils sowie aktuelleren Theorien des „non-human turns“ (Haraway, Butler, Bennett, Barad u.a.).
Schreiben – näher zu analysieren über drei einzuführenden Begriffserweiterungen: Er-, Zer-Schreiben und Verortung – verstehe ich hierbei als anthropomediales Gefüge, das maßgeblich an Subjektivierungsprozessen teilhat, beziehungsweise Subjektivität zuvorderst (co-)konstituiert. Konstitution wird hierbei als stets als relationale, prekäre und temporäre Operation verstanden, die sich nicht zuletzt den écrituren der Texte des Korpus ent-/er-lesen lässt.
Analysiert werden die Beziehungen zwischen Körpern und Äußerungssubjekten, näherhin die Beziehungen zwischen Schreibverfahren, respektive der co-operierenden Medien und Körperpraktiken, wie vor allem Askese, Anorexie und Sadomasochismus. Rückgebunden wird diese Beschäftigung an Fragen der Subjektkonstitution, welche keineswegs kognitive, psychische Prozesse für eine mögliche Konstitution hervorhebt, sondern vielmehr solche an den Körper gebundenen Praktiken sowie der im Prozess involvierten technischen Artefakte, welche immer schon mit den werdenden Körpern Beziehungsgefüge bilden. Dabei folgt der Ansatz der Feststellung, dass Selbst-Bewusstsein, sowie Selbst und Bewusstsein und damit auch Subjektivität nicht Resultat geistiger Selbstsetzung sind, sondern sich im Prozess praktischer Tätigkeit, in Formen menschlichen Handelns (praxis) bilden. Jene Konzeptualisierung von Praxis soll, ausgehend von Foucault über Judith Butlers Fortschrift und Karen Barads, Vicky Kirbys und Donna Haraways Interventionen weiterentwickelt werden, um darüber die spezifische Relationalität von menschlichen Subjekten und den diesen umgebenden Objekten, beziehungsweise dem nicht-menschlichen Anderen zu klären. Dabei wird von der theoretischen Prämisse ausgegangen, dass das menschliche Subjekt nicht-niemals autonom, souverän und singulär denkbar ist, sondern sich in und durch Verflechtungen konstituiert. Dass das Andere immerschon-immer teilhat am Körpern wie Welten.
[“There are, I say for the last time, three things that strike fear. The third is a bodywriting. Only those who pass through there understand what it is. And that it is of interest to no one”, stellt Maria Gabriela Llansol ihrem Text »The Book of Communities« voran. Zu lesen als Lektüreanweisung, als Hinweis an die Leserin – wie sie nicht untypisch sind für mystische Texte, oder Texte, die man in Rekurs auf Amy Hollywood, dem „(new) feminist mysticism“ zurechnen könnte – stellt jene Anmerkung zwei Fragen: die nach dem bodywriting und vor allem die nach dem passing through, also dem Lesen. Folgt man Birgit Mara Kaisers und Kathrin Thieles Lektüre von Karen Barads Theorie der diffraction und des entanglement, bedeutet Lesen auch immer gleich Ein-/Fort-/Weiterschreiben. Lesen als Schreiben, als Welten (worlding), wobei hiermit der Idee prä-existierender, stabiler und autonomer Entitäten per se widersprochen wird. „Reading insights through one another“ bedeutet das Werden hervorzuheben: Text, Welt, Leserin konstituiert sich (wird) im und durch die Prozesse des passing throught. In Interaktion, mit Barad Intra-aktion zwischen mannigfaltigen Akteuren: menschlichen Subjekten, Medien und Institutionen. Verstanden als körperlich-leibliche Operation, bei welcher der „ganze Rest des Seienden“, wie Nancy es formuliert, mit-wirkt (und -wird), stellt das Er-Lesen als Co-kreation einen spezifischen Modus der Performativität aus; wird zur Performance, in der die „Welt zum Verb“ wird. (Er-)Schreiben und (Er-)Lesen ist worlding, „eine Sache des Werdens“ und stellt damit nicht lediglich Fragen nach einem potentiellen Wissen – sowie dessen Re-Produktion –, sondern zentraler nach dem Sein(-werden) und noch zentraler nach dem Ethischen, dem Politischen. Epistemologie, Ontologie und Ethik als immer-schon-immer verflochten denkend und damit nicht isolierbar zu untersuchen, stellt diese Arbeit den Versuch dar, über einen spezifischen Modus des Lesens (welcher dem dekonstruktivistischen Ideal des Kommentierens, dem „Rändervollschreiben“ ähnlich ist), der Theoretisierung des Er-/Zer-Schreibens sowie der Verortung das Ko zu apostrophieren, indem das Geflecht und Geflochten-sein ernst genommen wird. “The goal is to try to hear what I cannot assimilate.” Aufgabe, wenn nicht Verantwortung, dieses hier vorgeschlagenen Lesen-Schreibens ist es über eine ausdifferenzierte, aufmerksame, Beschreibung des immer-schon-immer Mit-seins der Medien das Anthro weiter einzuklammern, um ein Konzept der fundamentalen Ko-Ontologie zu er schreiben, welches immer-schon-immer eine Epistem-Ethik-Ontologie ist.]

Vita

Studium der Literaturwissenschaft und Geschichtswissenschaft an der Universität Erfurt und der Université Lille III. Neben der Mitarbeit als studentische Hilfskraft am IKKM Weimar sowie bei der Laborgruppe Kulturtechniken der Universitäten Weimar und Erfurt, Organisation und Kuration zahlreicher Literaturveranstaltungen in Erfurt, Lille, Leipzig und Berlin, bei denen der Dialog zwischen freier Szene und Academia ausgelotet und ausgestellt wurde. Dabei ging es vor allem um die Einklammerung von Expert_innen-Positionen und alternative Specher_innen-Anordnungen, die als Prämisse ernstgenommen, experimentellere Formate der Vermittlung ermöglichten.
Nach B. Malamuds „Art can lick my juicy ass, my form is myself“, kann es sowohl in wissenschaftlicher, künstlerischer sowie alltäglicher, meint auch politischer Praxis nicht darum gehen, Grenzen und Vorgaben zu leben, sondern diese zu be-leben. Und das meint dauerhaft in Schwingung zu halten, auszuhandeln und den zwangsläufigen Konflikt bei gleichzeitiger Ausstellung auszuhalten. 
Max Walther ist ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter des DFG-Graduiertenkollegs „Medienanthropologie“ an der Bauhaus-Universität Weimar und forscht dort an einem Projekt zu Simone Weil, Chris Kraus, Kathy Acker und Annie Ernaux.

Publikationen

Mitherausgeber: Fußnoten zur Unlesbarkeit. Leipzig: Duktus Verlag, 2016; zusammen mit Jan Walkowiak.

„Heraclitus’ onto-stories: impossible appointments and the importance of the encounter". In: Kai Merten Diffractive Reading. New Materialism, Theory and Critique. London: Rowman & Littlefield International. forthcoming 2020 (https://rowman.com/ISBN/9781786613967/Diffractive-Reading-New-Materialism- Theory-and-Critique).

„Klassentreffen der Gespenster". In: hEFt, Magazin für Literatur, Stadt und Alltag, Nr.46, Januar 2017, S. 19-22. 

„Apnoetischer Spaziergang durch das Unbewusste". In: hEFt, Magazin für Literatur, Stadt und Alltag, Nr. 47, April 2017, S.22-24.

„Schritte. In drei Kapiteln". In: hEFt, Magazin für Literatur, Stadt und Alltag, Nr. 50, Januar 2018, S. 20-22.

„Simone Weil. Wege hinauf". In: hEFt, Magazin für Literatur, Stadt und Alltag, Nr.51, April 2018, S.20-22.

Weiteres

Gründung des trans | disziplin Simone Weil denkkollektiv, als internationales Forscher_innen-Netzwerk zur freien und dialogischen Forschung zu Simone Weil; zusammen mit Prof. Dr. Martina Bengert (HU Berlin) und Thomas Sojer (Universität Graz). www.simoneweil-denkkollektiv.de

Gründung und Co-Kuration des Online-Projektes TRIAKONTAMERON, www.triakontameron.de; zusammen mit Prof. Dr. Martina Bengert und Prof. Dr. Jörg Dünne. Eine gemeinsame Publikation erscheint I/2021.