In Zeiten des Verrats. Eine Subgeschichte der politischen Identität

Vorlesung im Wintersemester 2010/2011

“Wie Sîfrit verrâten wart”, Ausschnitt aus: Nibelungen-Handschrift B (Codex Hundeshagen), zwischen 1436 und 1442, Berlin, Staatsbibl., mgf 855

Zeit
9:30-11.00

Ort:

Karl-Haußknecht-Straße 7 – Hörsaal

Modul:

Die Vorlesung bildet eine Hälfte des Studienmoduls „Identitäten und Identifizierungen”; die andere Hälfte bestreitet Christoph Engemann mit seinem Seminar „Zur Geschichte der digitalen Identität”

Leistungsnachweis:
schriftliche Klausur (kurzer Essay) zum Thema der Vorlesung, schriftliche Hausarbeit in einer der beiden Veranstaltungen des Moduls

Beschreibung:

„Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten: ‚Sie haben sich gar nicht verändert.’ ‚Oh!’ sagte Herr K. und erbleichte.” (Bertolt Brecht: Geschichten vom Herrn Keuner / Das Wiedersehen)

Die Vorlesung ergänzt die im Seminar gestellte Frage nach den politischen Techniken der Identifizierung um die Frage nach den Weisen der Selbst-Identifizierung von politischen Subjekten. Politische, aber auch religiöse Regierungssysteme begnügen sich gewöhnlich nicht mit der Identitätsfeststellung von außen, ihr Funktionieren beruht zugleich darauf, dass sich die Subjekte auch von sich aus, „innerlich“, als identisch begreifen und sich einer bestimmten ideologischen Wahrheit verpflichten.

Die Geschichte dieser impliziten Identitätsaufforderung soll hier sozusagen von ihrer Kehrseite aus betrachtet werden, nämlich unter dem Gesichtspunkt des Verrats: jener Handlung, die im Reich der politischen Vernunft den größten Skandal, die eklatanteste Verletzung des Identitätsgebots darstellt. Anhand einzelner Verratskomplexe – vom Mittelalter bis heute – versucht die Vorlesung eine Art Subgeschichte der Regierungsmentalitäten zu erzählen: Der Verrat als größtmögliche Verunsicherung der identitären Zuschreibungen – und zugleich als ihre traurige Bestätigung.

In Times of Treason. A Subhistory of Political Identitiy
Political and religious regimes usually are not satisfied with just identifying their subjects; they want their subjects to voluntarily identify with their ideological cause. The lecture tries to explore the history of this call for identification from its reverse side, focusing on the problem of treason. Treason thus appears as the biggest challenge to identitarian imputations – and as a sad confirmation of them.

Termine

[01] 22.10.10
Überblick, Intro

[02] 29.10.10
Theoretische Einführung: Das Geschwür. Verschlingungen von Macht, Wahrheit und Subjektivität

[03] 05.11.10
Treu und Glauben. Feudale Bindungsverhältnisse

[04] 12.11.10
The Black Poison of Suspicion. Politische Paranoia im England der Skakespeare-Zeit

[05] 19.11.10
Ekstasen der Wahrheit. Der Verratsdiskurs der Französischen Revolution

[06] 26.11.10
Politische Romantik. Die Nationalisierung der Wahrheit

[07] 03.12.10
Die Dreyfus-Affäre und die Erfindung des Intellektuellen

[08] 10.12.10
Wahrheit 1937. Die Moskauer Schauprozesse

[09] 17.12.10
TERMIN ENTFÄLLT (wegen Abschlusskolloquium des Graduiertenkollegs “Mediale Historiographien”)

[10] 07.01.11
Von einem Verrat zum anderen. Kollaboration im besetzten Frankreich

[11] 14.01.11
Veränderte Landschaften: Kalter Krieg und ‚Postmoderne’

[12] 21.01.11
Verräter-Werden: Dramaturgien des Übergangs

[13] 27.01.11
Verrats-Gewinne: Zur Ästhetik des Verrats

[14] 05.02.11
Essaystunde