Im Verhältnis von Stadt und Land finden sich sowohl gegenwärtig als auch historisch zentrale Problemlagen und Ambivalenzen moderner Gesellschaften gespiegelt und mitunter begründet. Dabei ist aktuell eine Neuentdeckung und Neuperspektivierung des Ländlichen in Literaturen, Medien, Künsten, Wissenschaften und Planungen zu beobachten, die gerade angesichts der global weiter zunehmenden Urbanisierung und Digitalisierung an Kontur (und gewissermaßen auch an diskursiver Attraktivität) gewinnt. Doch entspricht der klassische Dualismus von Stadt und Land schon lange nicht mehr den materiellen, strukturellen und lebenspraktischen Gegebenheiten – wenngleich er sich doch erstaunlich konstant im kulturell Imaginären hält und immer wieder als Deutungsmuster sozialer Wirklichkeiten und Entwicklungen herangezogen wird.
Demgegenüber ist jedoch in der jüngeren Vergangenheit ein Wandel der ländlichkeitsbezogenen Erzählformen und -inhalte zu beobachten, der sich genre- und medienübergreifend verfolgen und analysieren lässt. Die aktuellen Bilder und Narrative des Ländlichen fokussieren insbesondere auch die Verschränkungen von urbanen und ruralen Strukturen und Praktiken und vollziehen eine Umkehrung der klassischen Perspektive: Erscheinen etwa Dörfer, kleine Städte und ländliche Räume doch nicht mehr nur als vermeintliche Residualkategorien, sondern als zentrale Orte und Räume gegenwärtiger wie zukünftiger gesellschaftlicher Entwicklungen. Dabei arbeiten nicht zuletzt auch die gegenwartsorientierten Künste – Literatur, Film, Serie, bildende und darstellende Kunst etc. – an einer differenzierten Betrachtung und Analyse der Wechselverhältnisse von Stadt und Land, die als Neubeschreibungen aktueller Lebenswelten zu sehen sind und sowohl soziale Diskurse und Bewegungen als auch individuelle Verstehensmodelle und Verhaltensweisen beeinflussen. Die realen und imaginären Ländlichkeiten fungieren hier als Orte und Medien, in und mit denen gesellschaftliches Wissen erzeugt und wirksam wird.
Aus den Wechselverhältnissen von Stadt und Land einerseits sowie Imagination und Praxis andererseits resultieren Fragen und Aufgabenstellungen, die einer interdisziplinären Öffnung bedürfen: Wie verändern sich aktuell sowohl die materiell-räumlichen Strukturen als auch die jeweiligen Bildinhalte und Erzählweisen in verschiedenen (auch ‚mentalen‘) Größenordnungen (etwa: Dorf, Kleinstadt, Großstadt)? Welche neue Relevanz kommt lokalen/regionalen Identitäten zu und wie werden sie medial (bildlich, narrativ, performativ, baukulturell etc.) erzeugt und vermittelt bzw. gefestigt? Wo entstehen produktive und/oder problematische Verbindungen zwischen Stadt und Land? Welche Translations- und Transferprozesse werden hierbei vollzogen? In welchem Zusammenhang stehen dabei symbolische und praktische Raumaneignung und -gestaltung auf individueller wie sozialer Ebene? Wie sind diese Beziehungsgeflechte analytisch zu verstehen?
Das Forschungsprojekt verbindet dabei literatur-, kultur- und medienwissenschaftliche Zugänge mit sozial- und raumwissenschaftlichen sowie (landschafts-)architektonischen Perspektiven.
Kontakt: Dr. Marc Weiland