Maschinenphilologie

Gegenstand des Projekts sind die historischen Wandlungen der Philologie. In den Blick geraten, aus einer an ihren Medien orientierten Perspektive, zunächst Praktiken und Institutionen, die entgegen ihrer humanistischen Bestimmung um 1800 nicht mehr als anthropozentrisch begriffen werden können, weil sie nicht ausschließlich von einem spezifischen humanen Subjekt ausgehen oder auf ein solches zielen: Im Kontext von Literaturarchiven und Editoriken avancieren unlängst auch Maschinen zum Objekt und Subjekt der Philologie. Andersherum formuliert ist die These zu belegen, dass die Situation der Philologie heute mindestens ,posthumanistisch‘ zu nennen ist, insofern dort nicht mehr nur oder primär Menschen, sondern auch ihr maschinelles Andere schreibt, liest, archiviert und ediert. Gleichwohl, und das gerät zur veritablen Herausforderung der Philologie am Beginn des 21. Jahrhunderts, sind ihre zentralen Begriffe und Verfahren sowie der sie legitimierende Subjektbegriff noch immer weitgehend an das papierschriftliche Paradigma von Datenverarbeitung gebunden, dem auch die Renovation des Humanismus um 1800 entsprang.

Ziel ist darum zunächst eine Beschreibung dieser Situation. Dafür bringt die Arbeit den Begriff der ,philologischen Singularität‘ ins Spiel, der literarische Gegebenheiten unter dem Gesichtspunkt ihrer materiellen Bedingungen wie Ausprägungen und in ihrem problematischen Status als je singulärer Gegenstand des komplexen Netzwerks, das Philologie ist, adressiert. Wandel und Herausforderung der Philologie werden so anhand von drei Fallstudien dargelegt: (1) einem prekären Archivobjekt im Berliner Nachlass Vilém Flussers; (2) dem zu edierenden Softwarebestand A:Kittler am Deutschen Literaturarchiv Marbach; (3) den Lese- und Schreibpraktiken der Digital Humanities, denen nachgesagt wird, ein neues Paradigma der Philologie zu begründen. Zeigt die Analyse dieser philologischen Singularitäten, in welchem Maß sie eine humanistische Philologie vor ihre medientechnische Herausforderung stellen, wird erkennbar, wie diese Philologie, mit N. Katherine Hayles zu sprechen, posthumanistisch geworden ist. Anhand der Beschreibung dieses nicht zuletzt subjektgeschichtlichen Wandels ist zum Schluss die Möglichkeit gegeben, philologische Begriffe, Praktiken und Institutionen aus der Perspektive einer von allen Humanexzeptionalismen absehenden Literaturforschung noch einmal neu zu akzentuieren. Philologie am heutigen Tag ist Maschinenphilologie.

Moritz Hillers Dissertation wurde von Wolfgang Ernst und Siegfried Zielinski betreut und 2021 mit dem Tiburtius-Preis der Berliner Hochschulen ausgezeichnet. Maschinenphilologie ist 2023 beim Kulturverlag Kadmos in Berlin erschienen.