Abschlussarbeiten vorgestellt
Paul Kaemmerer: »Auf der Walz. Kulturtechniken der Subjektivierung auf der Gesellenwanderschaft«

Ein Geselle erlernt auf der Wanderschaft nicht nur neue handwerkliche Techniken. Mindestens ebenso wichtig ist das Sammeln von Lebenserfahrungen und die Formung des eigenen Charakters. Meine Arbeit zeigt, dass diese beiden Prozesse des In-formierens in ihren Voraussetzungen, Abläufen und Wirkungen eigentlich sehr ähnlich und eng zusammenhängend sind. Sie sind Teil eines tiefgreifenden Subjektivierungsprozesses. Damit dieser stattfinden kann, bedarf es einer Reihe ‚Hilfsmittel‘: Die Gesellen haben unterschiedliche Regeln zu befolgen, praktizieren eigene Rituale, verwenden bestimmte Sprachformeln und sind einer spezifischen Ordnung folgend gekleidet. Außerdem findet der Prozess mit und mittels der (fußläufigen) Mobilität der Gesellen statt. All diese Kulturtechniken haben an der Formung des Individuums teil, indem sie Potentiale zur Entwicklung herstellen, den Gesellen während unterschiedlicher Zustandsänderungen stabilisieren und die Formung neuer Subjektivitäten katalysieren.
Johannes Hess: »Selen. Eine Materialgeschichte zwischen Industrie, Wissenschaft und Medientechnik, 1870-1930.«

Technikgeschichte wird oft als eine Geschichte von aufmerksamen Entdeckern, genialen Erfindern oder nationalen Erfolgsprojekten erzählt. Diese Leute produzieren dann eine evolutive Reihe von Verbesserungen, an deren Ende der fertige Apparat steht. Solche Geschichten wurden und werden tausendfach geschrieben und gelesen – jedes Kind kann wohl mindestens eine wiedergeben. Die Mediengeschichte unternimmt den Versuch, eine andere Geschichte zu schreiben, und zwar indem sie die Mittel, Mitten und Vermittlungen, eben die Medien, fokussiert. In meinem Fall ist das Mittel der Wahl das Material. Ich zeige, wie neue Vermittlungen, Verbindungen und Verwandtschaften sichtbar werden, wenn man dem Material folgt.
Melanie Riedel: »Der Einfluss von Songs auf die Stimmung im Film«

Es gibt zwei wichtige Punkte, auf die ich innerhalb meiner Arbeit aufmerksam machen wollte. Zum einen war es mir als Songwriter ein persönliches Bedürfnis, die Chancen, welche in der Verwendung von Songs im Film liegen, aufzudecken, da in vielen filmanalytischen Werken zur Musik Songs nur in Nebensätzen, in Verbindung mit Werbung oder als billige Alternative zu einem für den Film komponierten Soundtrack angesprochen werden. Dass dies nicht immer der Fall sein muss, zeigte ich anhand ausgewählter Filmszenen, die durch die Verwendung von spezifischen Songs erst ihr volles Wirkungspotential entfalten.
Zum anderen konnte ich innerhalb meiner Arbeit herausstellen, dass es sinnvoll ist, stimmungsorientierte Analysen durchzuführen, wenn Geisteswissenschaftler zu erfassen versuchen, auf welche Weise und aus welchen Gründen Menschen von einem musikalischen, literarischen, filmischen oder in jeglicher Art künstlerischen Werk fasziniert oder bewegt werden. So ist die Stimmung, die ein Werk inne hat bzw. ausstrahlt und im Rezipienten auslöst, oft ein Grund dafür, dass der jeweilige Rezipient (je nach individuellen Vorzügen) Gefallen an einem Werk findet oder dieses überhaupt erst zum Schauen oder Hören auswählt (beispielsweise bei einem Kinobesuch). Deswegen vertrete ich die Meinung, dass eine Stimmungsanalyse großen Aufschluss über künstlerische Werke und ihre Wirkung auf einen Konsumenten geben kann, der keinesfalls von der Geisteswissenschaft ignoriert werden sollte.
Maybritt Hennig: »YOU’RE IN EUROPE, BABY! Die kosmopolitische Bedeutung von Lokalkultur für eine Europäische Medienkultur: Eine Analyse des österreichischen Radiosenders FM4«
Die Welt ist im Begriff sich zu ‚kosmopolitisieren‘. Menschen und Kulturen werden immer mobiler und sind nicht mehr auf ein Territorium beschränkt. Auf die Verflechtung der verschiedenen Lokalkulturen kann Europa auf zwei Weisen reagieren: Entweder können sich die einzelnen Länder renationalisieren und voneinander abgrenzen, oder wir erkennen, dass wir sowohl kulturelle Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede haben können und das genau das ‚das Europäische‘ ist. Deswegen hat Maybritt Hennig ihre Abschlussarbeit im Studienprogramm Europäische Medienkultur über den österreichischen Radiosender FM4 geschrieben ...
Daphna Dreifuss: »We don‘t like to be called “refugees” - Problematische Aspekte der medialen Darstellung von Geflüchteten und die Funktion des Kinos«
Das Thema Flucht ist momentan allgegenwärtig: mit weltweit 65,3 Millionen Menschen auf der Flucht gab es noch nie so viele Vertriebene wie im Jahr 2016, weshalb wir uns zwangsläufig auch in Zukunft noch viel mit der Thematik beschäftigen werden müssen. Die Massenmedien prägen unser Bild der Welt maßgeblich mit, und so haben diejenigen, die Inhalte produzieren, mehr Verantwortung denn je. Es ist daher umso wichtiger, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, was bestimmte Formen der Darstellung auslösen können. Die Art und Weise, wie der gesellschaftliche Diskurs über Geflüchtete heute geführt wird, wird sich maßgeblich darauf auswirken, ob es in Zukunft eine Kultur des respektvollen Umgangs auf Augenhöhe mit ihnen geben kann. Deswegen hat Daphna Dreifuss ihre Abschlussarbeit im Master-Studiengang Medienwissenschaft über die mediale Darstellung von Flüchtlingen geschrieben.
Franziska Reichenbecher: »Posting im Internet als Technologie des Selbst. Exemplarische Analysen zur Subjektkonstitution in Web 2.0 und Social Web in Anschluss an Michel Foucault.«

Das Schreiben zählt nicht nur zu unseren basalen Kulturtechniken und ist schon allein deshalb immer eine Forschungsfrage wert, sondern über das Schreiben vollzieht sich das Verstehen, Wahrnehmen und Gestalten des eigenen Selbst. Es ist, wie Vilém Flusser sagt, die ultimative Geste von Subjektivität, denn in ihm realisiert sich das Denken.
Nun hat Foucault 1984 gesagt: »Die Leute schreiben seit zweitausend Jahren über sich selbst, aber offenkundig nicht in derselben Weise.« (Foucault, Michel, 1984) Tatsächlich schreiben wir heute – insbesondere im Internet – nicht nur in klassischen Texten, sondern auch in Bildern, Videos, Klängen oder sogar in Links, Hashtags und den maschinellen Affekt-Messungen des Like-Buttons. Und immer geht es dabei mehr oder weniger offensichtlich um uns.
Vor diesem Hintergrund ist es einfach nur konsequent, dass wir diese multimediale Schreib-Manie – die sich noch dazu in aller Öffentlichkeit abspielt – einer fundierten Reflexion unterziehen. Denn damit analysieren wir eben nicht nur Bits und Bytes, sondern vielmehr, wie wir uns als singuläre oder multiple, authentische oder anonyme, kohärente oder zersplitterte, isolierte oder kollektive Identitäten konstruieren. Deswegen hat Franziska Reichenbecher ihre Abschlussarbeit im Master-Studiengang Medienwissenschaft über Posting im Internet geschrieben.
Felix Clasbrummel: »Bauchreden – Historisch-technische, diskursanalytisch-dekonstruktivistische Untersuchung, wie man ein wahrer Bestimmer wird«

Waum braucht die Welt dieses Forschungsthema? Weil es zu wenig gute Übersetzung und viel zu wenig Vermittlung gibt. Es muss ein besseres Verständnis von denjenigen Bedingungen und Anforderungen geben, unter und mit denen verschiedene Instanzen miteinander kommunizieren. Das sind Fragen von Empathie und Sensibilität, aber auch von Institutionen-, Kanal- und Kopplungsarchitektur. Deswegen hat Felix Clasbrummel seine Masterarbeit über Transformationen und die Bauchrednerpuppe geschrieben.