BAUHAUS.INSIGHTS: Das »Hybride Lernatelier« als Ort immersiver Interaktionen, Begegnungen und sozialer Teilhabe
Als es durch den Ausbruch der Corona-Pandemie im Jahr 2020 von heute auf morgen unmöglich wurde, sich mit Personen am selben Ort zu treffen, gemeinsam in einem Raum zu arbeiten oder gar eine Vorlesung zu besuchen, gab es plötzlich eine Notwendigkeit für etwas, das es so vorher nicht oder nur vereinzelt gegeben hat: Online-Lehre und digitale Lehr- und Lernräume. Die Pandemie hat die digitale Transformation zweifelsohne befördert. Und doch: Vor vier Jahren war die Bauhaus-Universität Weimar noch nicht so weit wie heute und trotzdem unter Zugzwang, schnelle Lösungen anzubieten. So entstand ab Januar 2022 Stück für Stück das »Hybride Lernatelier« als Kernelement des Projekts »Lernraum Bauhaus«, nachdem 2021 ein Förderantrag durch die Stiftung für Innovation in der Hochschullehre bewilligt wurde, finanziert durch Bund und Länder.
Seither entstehen sie also, die hybriden Lernräume. Aber wie sehen diese überhaupt aus, wer arbeitet mit diesen Räumen und wie arbeitet man in ihnen? Dr. Anne Brannys ist verantwortlich für die Koordination und den Transfer im Projekt »Lernraum Bauhaus«. Gemeinsam im Team sucht und erprobt sie didaktisch-technologische Strategien, um praktikable Lösungen zu finden, mit denen in verschiedenen hybriden Lehr- und Lernszenarien experimentiert werden kann.
Für das BAUHAUS.JOURNAL ONLINE haben wir Anne Brannys im Rahmen unserer Serie BAUHAUS.INSIGHTS einige Fragen dazu gestellt, wie an der Bauhaus-Universität Weimar hybride Lernräume jetzt und in Zukunft gestaltet und genutzt werden und wie ein Miteinander im Hybriden funktionieren kann.
Frau Dr. Brannys, Sie koordinieren das Projekt »Lernraum Bauhaus«. Worum handelt es sich dabei genau?
In unserem Projekt steht die Begegnung im Mittelpunkt bzw. die Möglichkeit zur Begegnung im hybriden Raum. Wir möchten uns austauschen, wir möchten miteinander und voneinander lernen, wir wünschen uns Nähe und Teilhabe. Diese eher weichen Faktoren in Lernsituationen lassen sich schwer messen und planen, sind aber wichtiger Teil des Lernprozesses. Was sich in physischen Räumen und in der körperlichen Gegenwart intuitiv und leichtfüßig gestaltet, nämlich die Interaktion mit anderen Menschen, mit Objekten und mit dem Raum an und für sich, stellt sich im digitalen, virtuellen und auch im hybriden Raum als herausfordernd dar. Wir sind mittlerweile an einem Punkt angekommen, an dem wir Videokonferenzen als Teil unseres Alltages wahrnehmen und diese mehr oder weniger sicher ausführen können.
Aber wie lassen sich Verbindungen und Berührungen herstellen, wenn wir Entfernung überbrücken müssen? Wie gelingt die gemeinsame Arbeit an einem Objekt im analogen und digitalen Raum gleichzeitig? Wie können wir zwei analoge Arbeitsräume in verschiedenen Ländern so verknüpfen, dass die Lernenden und Lehrenden das Gefühl haben, in einem Raum zu sein? Welche Technologien setzen wir in welchen Kombinationen ein, um gut in hybriden Räumen lernen und lehren zu können? Und was verändert sich, wenn wir die ästhetischen und atmosphärischen Aspekte innerhalb von Raumgestaltung genauso ernst nehmen, wie die technologischen und administrativen? Das Projekt »Lernraum Bauhaus« widmet sich genau diesen Fragen und sucht die Antworten gemeinsam mit Studierenden und Lehrenden entlang ihrer Bedürfnisse in drei Teilprojekten.
Diese Antwortsuche gelingt nur mit vereinter Kraft. »Lernraum Bauhaus« ist deshalb nicht zuletzt auch ein Team, bestehend aus meinen wunderbaren Kolleg*innen Sophie Foster (Mediendidaktik), Jan Sieber (Medientechnologie) und Andreas Wolter (Designentwicklung), unseren studentischen Mitarbeitenden und unter der Leitung von Dr. Andreas Mai.
Hinter dem Projekt »Lernraum Bauhaus« stehen die drei Teilprojekte »Lernen am Objekt«, »Lernraum e-Studio« und »Hybrides Lernatelier«. Worin bestehen hier die Unterschiede?
In den Teilprojekten richten wir den Blick auf verschiedene Aspekte hybriden Lernens und Lehrens. Die Idee, dass gerade an der Bauhaus-Universität Weimar die objektbasierte Lehre eine große Rolle spielt und die damit verbundene Frage an einen Objekttransfer in verschiedene Raumwelten, das ist das Thema von »Lernen am Objekt. Im »Lernraum e-Studio« wollen wir Studierende und Lehrende dabei unterstützen eigene Lehr- und Lernmaterialien zu produzieren.
Das »Hybride Lernatelier« ist als prototypischer hybrider Lernraum konzipiert und wird seit dem Wintersemester 2023/24 für Lehrveranstaltungen genutzt. Andererseits verstehen wir es aber auch wörtlich als Atelier, als Freiraum zum Experimentieren. Von hier aus übertragen wir Anwendungen und Lösungen in andere Räume – auf dem Campus und darüber hinaus: beispielsweise bei der Neugestaltung eines hybriden Lernortes in der Universitätsbibliothek, im Sprachenzentrum oder im Rahmen von internationalen Lehrkooperationen.
Sie sind demnach auch auf die Bedarfe der Lehrenden und Studierenden angewiesen, also auf Ideen und Strategien, wie »gutes« hybrides Lehren und Lernen aussehen kann. Wo sammeln Sie diese ein?
Wir versuchen das Prinzip der Begegnung und des Austausches auch hier zu etablieren und freuen uns über Impulse, die von außen an uns herangetragen werden, z.B. durch konkrete Anfragen aus der Universität. Im Teilprojekt »Lernen am Objekt« haben wir in elf Einzelvorhaben aus allen vier Fakultäten Lehrende eingeladen und Mitarbeitende über das Projekt finanziert, die anhand einer konkreten, objektbasierten Lehridee das eigene Repertoire um die hybride Lehre erweitern. Hier haben wir gemeinsam viel gelernt und viele verschiedene Lernszenarien durchspielen können. Wir veranstalten regelmäßig Workshops und führen viele Gespräche mit Studierenden und Lehrenden, um uns über Bedarfe, Hemmschwellen, Träume und handfeste Pläne bewusst zu werden.
Zu hochschulöffentlichen Gelegenheiten öffnen wir das »Hybride Lernatelier« stets für alle, die sich interessieren. Außerdem nehmen wir an relevanten Vernetzungsveranstaltungen innerhalb der Fachgemeinschaft teil und knüpfen hier Kontakte zu anderen Lernraumplaner*innen. Das Thema ist an nahezu allen Hochschulen gegenwärtig und es ist sehr spannend zu sehen, wie unterschiedlich es bearbeitet wird und wo dennoch disziplinübergreifend ähnliche Erfolge oder Schwierigkeiten erlebt werden.
Aus Ihren Erzählungen wird deutlich, dass dem »Hybriden Lernatelier« eine besondere Bedeutung zukommt, auch wegen seiner vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten. Beim University:Future Festival (U:FF) 2024 werden Sie das »Hybride Lernatelier« im Juni in Berlin präsentieren. Was werden Sie dort genau zeigen?
Nach einem Jahr des Experimentierens und der singulären Nutzung geht es darum, eine Vielfalt an Möglichkeiten vorzustellen. Das bedeutet, dass wir über das sprechen, was wir schon geschafft haben und über das, was wir mit unserem prototypischen Lernraum noch anbieten können. Der Beitrag für die Konferenz heißt »Wunder- und Wandelraum – das Hybride Lernatelier erzählen« und das bringt es ziemlich gut auf den Punkt. Wir möchten den Raum erzählen und über den Raum die Arbeit im Projekt, um auch diejenigen Personen anzusprechen, die sich bisher nicht angesprochen gefühlt haben. Hier entwickeln wir ein Kommunikations- und Vermittlungsformat, das versucht, aus den höchst individuellen Lehr- und Lernerfahrungen im hybriden Raum, Bedürfnisstrukturen abzuleiten. Diese können allgemeinerer Natur sein und von vielen Nutzenden bereits einmal erfahren sein – zum Beispiel die möglichst für alle Seiten angenehme Einbindung von Online-Teilnehmenden eines Seminars, das in Präsenz stattfindet, vielleicht auch ergänzt um individuelle Kleingruppenarbeit.
Wir arbeiten aber auch an kniffeligen Fragen, wenn etwa an einem Objekt gleichzeitig in zwei Räumen gearbeitet werden soll. Was braucht es in diesen Situationen? Wie können wir aus dem Raum heraus reagieren, welche Elemente müssen zusammen kommen aus unserem Repertoire an Technik, Mobiliar, Licht, digitaler Infrastruktur? Das Vermittlungsformat zeigt also die Möglichkeiten auf, die in unserem hybriden Lernatelier und darüber hinaus entstehen, und zwar in Form eines kombinatorischen Spiels, das Raumelemente und Lernszenarien zusammenbringt.
Wer kann und sollte das »Hybride Lernatelier« jetzt nutzen – was ist schon möglich, wie kann die Arbeit im Lernraum aussehen?
Das hybride Lernatelier steht offen für Studierende und Lehrende aller Fakultäten. In einem vorbereitenden Gespräch entwickeln die Expert*innen unseres Teams gemeinsam mit den Lehrenden Ideen für die Umsetzung von deren Lehridee, Veranstaltung oder Experiments. Dieses Vorgehen hängt zum einen mit einer hochkomplexen technologischen Ausstattung des sogenannten Musterlernraumes zusammen und zum anderen damit, dass wir durch diese Begegnungen selbst unfassbar viel lernen. Wir freuen uns über abenteuerliche und realistische Anfragen. Wir freuen uns, gemeinsam zu bauen, zu programmieren, Musik zu machen, zu präsentieren, zu diskutieren, zu reflektieren und auszustellen oder auch einfach nur im Hintergrund zu unterstützen.
Zum Abschluss wagen wir den Blick nach vorne: Wie wird sich das Projekt »Lernraum Bauhaus« weiterentwickeln? Gibt es Vorhaben, die zukünftig realisiert werden wollen?
Gerade erst hat die Stiftung Innovation in der Hochschullehre unseren Verlängerungsantrag bewilligt, damit können wir bisher noch zurückgestellte Teilvorhaben wie das »Lernraum e-Studio« angehen, das wir als offenen Begegnungsraum für Lernende und Lehrende entwickeln möchten. Es soll ein Makerspace entstehen, in dem einerseits Werkzeuge für eigene studien- und lehrrelevante Medienproduktionen bereitgestellt werden und darüber hinaus Lehrende und Studierende bei ihren eigenen Produktionen unterstützt werden.
Insgesamt wünschen wir uns und arbeiten daran, dass die Möglichkeiten, die durch das Projekt für die Universität entstehen, stärker wahrgenommen werden und dass gerade das Hybride Lernatelier noch stärker in der Lehre und darüber hinaus wirksam wird. Ob durch die Nutzung des Raumes selbst oder über eine Implementierung der hier gewonnenen Lösungen in andere Lernräume – das ist gleichermaßen interessant. Denn das Hauptanliegen des Projektes ist es, grundsätzlich einen Beitrag zu leisten, dass das Lernen und Lehren in hybriden Räumen sich so nah und natürlich wie möglich gestaltet und eine Bereicherung reiner Präsenzformate des Lernens darstellt.
Als kleinen Ausblick kann ich vielleicht noch unsere Abschlussveranstaltung im Spätsommer 2025 ankündigen, in der wir unsere Projektergebnisse präsentieren und diskutieren möchten. Natürlich wird sich auch diese hybrid ausformulieren, wobei wir den Blick auf den hybriden Raum wieder etwas weiten und mit Ideen spielen, wie drinnen und draußen, Campus, Seminarraum, »Hybrides Lernatelier«, Park und Fußgängerzone, Mensa, europäische Partneruniversitäten und das ein oder andere Home Office miteinander verknüpft werden können. Und wie wir uns in diesen ganz unterschiedlichen Räumen begegnen und Wissen teilen können.
Weitere Informationen zum Projekt »Lernraum Bauhaus«
Weitere Informationen zum University:Future Festival
Weitere Informationen zur Stiftung für Innovation in der Hochschullehre
Die BAUHAUS.INSIGHTS-Fragen zum »Lernraum Bauhaus« stellte Luise Ziegler.