Vielfalt fördern, Chancengleichheit verwirklichen: Diversitätsbeauftragte Miriam Benteler im Interview
An der Bauhaus-Universität Weimar kommen Menschen unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlicher Biografien und Lebenssituationen zusammen. In dieser Diversität sieht die Universität ein großes Potenzial, das es zu fördern und zu schützen gilt. Miriam Benteler ist seit November 2019 Diversitätsbeauftragte der Bauhaus-Universität Weimar und setzt sich für Chancengleichheit und den Abbau von Hindernissen und Benachteiligungen von Studierenden, Promovierenden und Mitarbeitenden ein.
Inzwischen ist die Webseite des Bereichs Diversität online gegangen – Anlass für die Online-Journal-Redaktion, mit Miriam Benteler über die Bedeutung von Diversität und anstehende Aufgaben zu sprechen.
Was versteht die Bauhaus-Universität Weimar unter Diversität?
Kurz zusammengefasst verstehen wir Diversität als Chance, Potenzial und Herausforderung. Bewusst mit Diversität umzugehen und Vielfalt zu ermöglichen, sie zu fördern und zu schützen – das ist uns an der Bauhaus-Universität Weimar ein bedeutendes Anliegen. Gesundheitliche, kulturelle oder geschlechterspezifische Heterogenität ist eine Tatsache – und eine Quelle für innovative Entwicklung.
Welche Vision verbirgt sich dahinter?
Erst einmal verbirgt sich dahinter eine ressourcenorientierte Perspektive: Diversität als Chance. Dahinter steht die Idee, aus den unterschiedlichen Perspektiven, die Menschen mit ihren unterschiedlichen Erfahrungen, Lebenswegen, Hintergründen haben, eine besondere, innovative Lehre und Forschung zu schaffen – also eine positive Haltung gegenüber Diversität. Auch ein antidiskriminatorischer Ansatz wird deutlich: Der Benachteiligung aufgrund verschiedener sogenannter sozialer Kategorien oder Diversitätsmerkmale soll entschieden entgegengetreten werden. Ich würde zudem die Vision von Chancengleichheit noch stärker machen: Für alle sollen gleiche Chancen entsprechend den jeweiligen Bedürfnissen bestehen. Die Universität als Bildungsinstitution hat meines Erachtens hierbei die gesellschaftliche Verantwortung, Bedingungen zu schaffen, unter denen alle die Möglichkeit bekommen teilzuhaben und zwar unbeschwert und in vollem Umfang.
Welche Diversitätsthemen sind an der Bauhaus-Universität Weimar besonders relevant?
Aufgrund des hohen Anteils an internationalen Studierenden und auch gerade angesichts der politischen Ereignisse der letzten Monate in Thüringen und der derzeitigen Krisensituation ist das Thema Rassismus und Diskriminierung von besonderer Bedeutung. Der Universität muss es gelingen, ein Umfeld zu schaffen, das es internationalen Studierenden und Promovierenden ermöglicht zu lernen und zu forschen, ohne Diskriminierung und Benachteiligung aufgrund ihrer Herkunft, Sprache, Religion, Weltanschauung o.ä. zu erfahren – an der Universität selbst in Lehrveranstaltungen, in Beratungssituationen, auf dem Campus, in der Mensa, aber auch darüber hinaus in den Wohnheimen, im öffentlichen Nahverkehr, in der Stadt Weimar.
Die »ad hoc-Gruppe gegen Rassismus in Universität und Gesellschaft«, die sich aus Angehörigen der Universität – Studierenden, Professor*innen und Mitarbeitenden – zusammensetzt und in diesem Themenbereich aktiv ist, ist dazu natürlich eine wichtige Ansprechpartnerin. Aber auch die Koordinierung der Umsetzung des Maßnahmenplans zur UN-Behindertenrechtskonvention ist ein großes Thema, das wiederum sehr viele unterschiedliche Unterthemen umfasst. Diese reichen von barrierefreier Website bis zu Sensibilisierungsmaßnahmen für Hochschulangehörige.
Auch psychische Erkrankungen unter Studierenden nehmen stark zu, sodass dies ein weiterer wichtiger Aufgabenbereich ist. Über allem steht aus meiner Sicht dabei die Sensibilisierung: Sensibilisierung für Vielfalt, für bestehende Machtstrukturen und mehrheitsgesellschaftliche Normen, für Diskriminierung und Diskriminierungserfahrungen. Die Sensibilisierung hilft, die eigenen diskriminierenden Praktiken und implizite bestehende Stereotypen und Vorurteile zu reflektieren. Eine offene Haltung gegenüber Vielfalt zu etablieren, nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis, das ist sicher einer der relevantesten Aspekte meiner Arbeit.
Wer kann sich an Sie als Diversitätsbeauftragte wenden?
Alle, die Diskriminierung im universitären Kontext erfahren haben bzw. diese beobachtet haben. Auf Wunsch kann dies auch anonym geschehen und selbstverständlich unterliegt alles der Schweigepflicht. An der Bauhaus-Universität Weimar sind wir in der glücklichen Lage, dass es neben der Diversitätsbeauftragten weitere Beauftragte gibt, die sich schon lange mit spezifischen Fragestellungen beschäftigen und hier ganz spezielle Expertise haben, z.B. die Beauftragte für die Belange chronisch kranker und behinderter Studierender, die Gleichstellungsbeauftragte, die Schwerbehindertenvertretung oder die Inklusionsbeauftragte, sodass inhaltliche Fragen zu diesen Bereichen von den jeweiligen Kolleg*innen behandelt werden. Die Beauftragten sind zusammen mit Vertreter*innen der Fakultäten und der Studierenden und Promovierenden sowie den Leitungen des Dezernats Studium und Lehre und Internationale Beziehungen ebenfalls Mitglieder im Beirat für Diversität und unterstützen und beraten mich als Diversitätsbeauftragte. Ein ganz anderer Bereich ist die Beratung bei der Beantragung von Forschungsprojekten o.ä. Neben Gleichstellungsaspekten sind hier nun auch Diversitätsaspekte von Bedeutung, bei deren Ausarbeitung ich gern unterstütze.
Welche Aufgaben umfasst Ihre Arbeit als Diversitätsbeauftragte außerdem?
Ich versuche, das Thema Diversität in verschiedene Veranstaltungen der Universität einzubringen – das würde ich mit unter dem genannten Aspekt Sensibilisierung sehen. Außerdem gehen wir mit dem Thema in die Lehre: In Zusammenarbeit mit Studierenden, der Juniorprofessorin Alexandra Toland und einer Vertreterin der Europäischen Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätte Weimar ist ein Bauhaus.Modul zum Thema Antidiskriminierung entstanden, dass im Wintersemester 2020/2021 angeboten wird. Zudem bin ich in die Stipendienvergabe der Universität eingebunden und achte darauf, dass neben Leistungsaspekten auch soziale Kriterien Berücksichtigung finden. Auch die Einbindung in Berufungsverfahren ist möglich, um Diversität auch auf professoraler Ebene zu fördern. Und anders als der Bereich Gleichstellung ist der Bereich Diversität neu – es müssen also erstmal bestimmte Strukturen geschaffen werden, um tatsächlich als Bereich zu funktionieren und arbeitsfähig zu sein.
Eine Gleichstellungsbeauftragte hat die Bauhaus-Universität schon seit einigen Jahren – in welchem Verhältnis stehen die Bereiche der Gleichstellung und der Diversität zueinander?
Wir haben ein sehr gutes Verhältnis! Ich denke, Gleichstellung und Diversität stehen im Grunde für sehr ähnliche Dinge: für Chancengleichheit, gegen Diskriminierung und Benachteiligung. Die Bereiche, aber auch die Themen, die sie vertreten, sollten nicht in Konkurrenz zueinander gesehen oder gegeneinander ausgespielt werden, sondern ergänzend und unterstützend verstanden werden. Das ist auch besonders wichtig vor dem Hintergrund, dass es oft zu intersektionaler Diskriminierung kommt, d.h. verschiedene Diskriminierungsformen in einer Person zusammenkommen. Wenn die Bereiche gemeinsam agieren, dann können Lösungen gefunden werden, die für alle gut sind und für verschiedene Gruppen Benachteiligungen ausräumen.
Und es gibt Themen, in denen beide Bereiche ganz konkret zusammenarbeiten können und sollten, um mehr Schlagkraft zu haben und sich zu ergänzen. Kürzlich haben wir gemeinsam zum Thema Gleichstellung und Diversität in Zeiten von Corona Unterstützungs- und Beratungsangebote, Informationen und Statements zusammengefasst (www.uni-weimar.de/gleichstellung), da gerade jetzt Gleichstellung und Diversität, Chancengleichheit und Anti-Diskriminierung von besonderer Bedeutung sind. Wir arbeiten auch eng zusammen, wenn es z.B. um gendergerechte Sprache geht.
Im Senat der Universität wurden neue sprachliche Formulierungsmöglichkeiten wie das Gendersternchen diskutiert. Welcher Gedanke steht dahinter und warum helfen neue Formulierungen den Betroffenen?
Inter* und trans*geschlechtliche sowie nicht-binäre Menschen sind an Hochschulen sehr oft Situationen ausgesetzt, die zu hohen psychischen Belastungen führen und das Studium erschweren und zu einem großen Teil sogar unmöglich machen. Wenn Personen sich in Formularen, im Schriftverkehr, in allgemeinen E-Mails, bei der direkten Ansprache, auf Anmeldelisten, die meist ein binäres Geschlechterbild reproduzieren, nicht wiederfinden, nicht angesprochen werden, dann heißt es, dass sie nicht wahrgenommen, sondern ausgeschlossen werden.
Betroffene, mit denen ich gesprochen habe, haben die Bedeutung von Sprache immer wieder betont. Sprache ist ein einfaches, aber ganz wesentliches Mittel, um alle teilhaben zu lassen. Es kostet nichts oder nicht viel, eine gendergerechte Sprache anzuwenden, hat aber eine enorme Wirkung: Durch die Verwendung des Gendersternchens und durch geschlechtsneutrale Formulierungen werden alle sprachlich einbezogen.
Welche Themen möchten Sie in Ihrer Amtszeit besonders voranbringen? Haben Sie konkrete Ziele?
Ein wichtiges Ziel ist es, den Bereich Diversität an sich zu etablieren, so dass er als fester Bestandteil der Universität bei allen Universitätsangehörigen bekannt ist und Diversität und Chancengleichheit als Leitkonzepte in universitären Strategien verankert werden und diversitätsrelevante Aspekte immer mitgedacht werden. Und dann natürlich, den Weg zu einer diversitätsorientierten, diskriminierungskritischen und diskriminierungsarmen Hochschule ein gutes Stück voranzutreiben.
Viele weitere Informationen finden Sie auf der Website des Bereichs Diversität:
https://www.uni-weimar.de/de/universitaet/struktur/zentrale-einrichtungen/bereich-diversitaet/