»Die Leute sagen einfach nicht, was ich hören will«
Radiogespräch mit der Feature- und Hörspielautorin Marianne Weil
In den Ton-Archiven schlummern abertausende Stunden Material mit unendlich vielen Stimmen von unendlich vielen Orten: Mitschnitte aus dem Gerichtssaal, dreistündige Unterhaltungssendungen, Politikbesuche im Zoo, Leute auf der Straße und vieles mehr. Diese Töne sind faszinierend oder langweilig, fremd oder vertraut, prägnant oder diffus. Wer damit etwas anfangen will, muss ganz rabiat vorgehen und zuerst die Oberfläche zerstören. Etwas pathetisch formuliert: er muss die O-Töne aus dem Zusammenhang befreien, isolieren, und sie für eine neue Rolle in einem neuen Kontext präparieren. Kurzum, er ist Chirurg und Schöpfer zugleich. Zur Montage im Radio spricht die Feature- und Hörspielautorin Marianne Weil am Dienstag, 27. November 2012, 19 Uhr, im Rahmen der Radiogespräche an der Bauhaus-Universität Weimar.
Die Montage, beziehungsweise das montierende Subjekt, inszeniert neue Bezüge, lässt Stimmen aufeinandertreffen, die nie miteinander gesprochen haben, enthüllt, stellt aus, stellt klar, verzerrt, verstärkt, unterschlägt, kombiniert, konfrontiert, variiert und lässt auf diese Weise hören, was so nie gesagt wurde. Eine Montage ist ein kreativer Spaß, eine Gehirnwäsche des Gedächtnisses mit sowohl überraschenden als auch erschreckenden Effekten.
Marianne Weil hat diese Montage-Kunst als Autorin par excellence erprobt. Ob in ihrem neuesten Stück »Transitraum – Übergang« (Deutschlandradio Kultur/RBB/SR 2012), einer Montage aus Archiv-Material mit Wetter, Musik und Nachrichten, die sich der Zeit nach dem 3. Oktober 1990 widmet - dem Beginn einer kollektiven Wunscherfüllung mit all seinen Schrecken der wechselseitigen Selbsterkenntnis. Oder in »Dem ...eutschen ...olke« (SR/SFB 1995, Hörspielpreis der Akademie der Künste Berlin), einem Stück, dessen Titel sich an die kaputte Inschrift des Reichstagsgebäudes vor 1989 anlehnt. Immer wieder ist es die Rhetorik des Kalten Krieges, die sie in ihre ideologischen Figuren zerlegt, analysiert und neu inszeniert, nachdem 1990 die Archive der DDR zugänglich wurden.
Marianne Weil, 1947 in Darmstadt geboren, studierte Literaturwissenschaft und promovierte 1977 über Walter Benjamin. Sie arbeitet seit mehr als 30 Jahren für das Radio. Sie schreibt über Literatur, Kabarett und kulturhistorische Themen. Dazu kommen O-Ton-Hörspiele und Features über Menschen, Tiere und Pflanzen.
Ein Radiogespräch über die verschiedenen Möglichkeiten, mit dem Klangmaterial aus den Archiven zu basteln und ein Aufruf, die schlummernden Schätze aus ihrem Tiefschlaf zu entreißen.
»Radiogespräche« sind eine Veranstaltung der Professur Experimentelles Radio an der Fakultät Medien der Bauhaus-Universität Weimar.
Zeit: Dienstag, 27. November 2012, 19 Uhr
Ort: Glaskasten der Limona, Steubenstraße 6a, 99423 Weimar
www.uni-weimar.de/medien/radio
Kontakt:
Andreas Feddersen
Bauhaus-Universität Weimar
Fakultät Medien
Professur Experimentelles Radio
Tel.: +49 (0) 36 43/58 38 92
E-Mail: andreas.feddersen@uni-weimar.de