Medieninformatiker untersuchen Ursachen von Online-Vandalismus
Forscher aus dem Fachbereich Medieninformatik haben schadhafte Beiträge bei Wikipedia analysiert und festgestellt, dass ein Großteil werktags zwischen 8 und 9 Uhr und in der Zeit von 13 bis 14 Uhr verfasst wurde. Die Forschergruppe geht deshalb davon aus, dass es einen Zusammenhang zwischen Vandalismus im Internet und Stressabbau oder Langeweile am Arbeitsplatz oder in der Schule gibt.
In einem Beitrag über den griechischen Philosophen Plato war bei Wikipedia zwischenzeitlich folgender Satz zu lesen: »Plato ist bekannt als der erste Mann in der Geschichte, der auf seiner eigenen Nase Flöte gespielt hat.« Wenn jemand Beiträge wie diesen vorsätzlich manipuliert, um der Online-Enzyklopädie zu schaden, nennt man das Vandalismus. Forscher der Professur Content Management und Webtechnologien versuchen in ihrem jüngsten Forschungsprojekt zu ergründen, welche Motivation diesem Vandalismus zugrunde liegen könnte. Dafür hat das Team alle Beiträge von nicht registrierten Nutzerinnen und Nutzern ausgewertet, die von anderen Usern als schadhaft klassifiziert oder gleich rückgängig gemacht wurden. Besonderes Interesse galt dabei der Uhrzeit der Manipulation und dem Herkunftsland der User.
Hohe Vandalismusrate an Werktagen zwischen 8 und 9 Uhr morgens
Zu welcher Zeit entstehen die meisten schadhaften Änderungen an Wikipedia-Artikeln? Die Wissenschaftler der Bauhaus-Universität Weimar konnten signifikante Unterschiede hinsichtlich Tageszeiten und Wochentagen feststellen. In Deutschland springt die Vandalismus-Rate werktags im Zeitraum von 8 bis 9 Uhr morgens von 15% auf 50 % in die Höhe. Ein weiterer Anstieg konnte für den Zeitraum von 13 bis 14 Uhr beobachtet werden. An den Wochenenden und in Ferienzeiten hingegen ist die Anzahl von schadhaften Veränderungen relativ klein. Die Forschergruppe geht deshalb davon aus, dass unsoziales Verhalten bei Wikipedia im Zusammenhang mit Arbeitsrhythmen steht. Vor allem Stressabbau und Langeweile scheinen den Vandalismus zu befördern.
Unterschiede im Ländervergleich
Beim Ländervergleich hat sich ergeben, dass die Vandalismus-Rate in Deutschland vergleichsweise sehr hoch ist. Zu Spitzenzeiten sind hier 50 % der Beiträge von nicht registrierten Usern schadhaft. In Japan hingegen sind nur wenige Beiträge schadhaft. In Frankreich konnten die Wissenschaftler beobachten, dass die Vandalismus-Rate am Mittwochnachmittag vergleichsweise gering ist. Dies hängt vermutlich mit dem schulfreien Nachmittag an diesem Tag zusammen. Die Forscher gehen deshalb davon aus, dass kulturelle und politische Unterschiede ebenfalls einen starken Einfluss auf die Motivation zum Vandalismus haben.
Mögliche Anwendungsszenarien
Wikipedia könnte diese Erkenntnisse nutzen, um den Vandalismus einzudämmen. »Denkbar wäre es beispielsweise, dass nicht-registrierte Nutzerinnen und Nutzer morgens und mittags nur erschwert Beiträge editieren dürfen«, erklärt Johannes Kiesel von der Professur Content Management und Webtechnologien. Gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Medienwissenschaft, Soziologie, Psychologie und Informatik wird er im Mai auf der INTERNATIONAL AAAI CONFERENCE ON WEB AND SOCIAL MEDIA (ICWSM) in Montreal, Kanada, weitere Nutzungspotentiale diskutieren.
Um sich der Frage nach den Ursachen für unsoziales Verhalten im Internet weiter anzunähern, könnten zukünftige Analysen beispielsweise das Wetter oder die Art des begangenen Vandalismus beinhalten (Durchsetzen einer politischen Agenda, Verunglimpfung oder Unfug).
Das Projekt zur Vandalismusanalyse schließt an Forschungen zur automatischen Vandalismuserkennung bei Wikipedia an. Hier hatten die Wissenschaftler der Professur Content Management und Webtechnologien Textformen, Sprachstile (zu viele Superlative, häufige Verwendung von Slang-Begriffen) und Reputation der angemeldeten Nutzerinnen und Nutzer analysiert, um schadhafte Beiträge automatisch erkennen zu können.
Für Fragen wenden Sie sich gern an Johannes Kiesel, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur Content Management und Webtechnologien:
Johannes Kiesel
Tel.: +49 (0) 36 43/58 37 20
E-Mail: johannes.kiesel[at]uni-weimar.de