Bauhaus-Gastprofessor Diébédo Francis Kéré erhält den Pritzker-Preis 2022
Der Architekt Diébédo Francis Kéré ist der diesjährige Preisträger des Pritzker-Preises, der als Nobelpreis der Architektur und höchste Auszeichnung auf diesem Gebiet gilt. Die Jury zeichnete Kéré nicht zuletzt wegen seiner Herangehensweise an das Planen und Bauen aus, da er weit vor vielen anderen Architektinnen und Architekten örtliche Materialien in Kombination mit lokalen Bauweisen für seine Werke verwendet. In seinen Projekten entwickelt er angemessene Lösungen, die nicht nur auf den jeweiligen Ort abgestimmt, sondern auch mit der lokalen Bevölkerung realisiert werden.
Prof. Kéré ist seit dem Wintersemester 2021/2022 Bauhaus-Gastprofessor an der Bauhaus-Universität Weimar. In seinen Vorlesungen und Workshops, in denen er vor allem die nachhaltige und partizipative Architektur in den Fokus rückte, motivierte er die Studierenden stets dazu, neue Wege zu suchen und zu bestreiten, um Lösungen für die globalen Probleme unserer Zeit weiterzuentwickeln und zu gestalten. Die Bauhaus-Universität Weimar gratuliert Prof. Kéré zu diesem großartigen Erfolg!
Hier gelangen Sie zu seinem Vortrag »Nachhaltige Architektur« vom 10. November 2021 und zum Nachbericht seiner Workshops »Partizipative Architektur« und »Emerging City Lab: Learning from Burkina Faso« am 19. und 20. Januar 2022 an der Bauhaus-Universität Weimar.
PRESSEMITTEILUNG DES PRITZKER ARCHITECTURE PRIZE
15. März 2022 | Chicago, IL
Diébédo Francis Kéré erhält Pritzker-Architekturpreis 2022
Der Architekt, Dozent und sozial engagierte Aktivist Diébédo Francis Kéré wird mit dem Pritzker-Architekturpreis 2022 geehrt, gibt Tom Pritzker, Vorsitzender der Hyatt Foundation, bekannt. Der von dieser Stiftung verliehene Preis gilt in der internationalen Architekturgemeinschaft als höchste Auszeichnung.
»Ich hoffe, dass ich einen Paradigmenwechsel herbeiführen und Menschen dazu bewegen kann, ihre Träume zu verfolgen und Risiken einzugehen. Nur weil man reich ist, sollte man nicht verschwenderisch sein. Und nur weil man arm ist, sollte man nicht aufgeben, Qualität schaffen zu wollen«, ist Kéré überzeugt. »Jeder verdient Qualität, jeder verdient Luxus und jeder verdient Komfort. Wir sind alle Teil eines großen Ganzen, und Themen wie Klima, Demokratie und Verknappung von Ressourcen betreffen uns alle.«
Der in Berlin ansässige Architekt Francis Kéré wurde in Gando, Burkina Faso, geboren und ermutigt und verändert Gemeinschaften über den Weg der Architektur. Im Rahmen seines Einsatzes für soziale Gerechtigkeit und seines gesellschaftlichen Engagements greift er gekonnt auf vor Ort verfügbare Materialien zurück, um dem natürlichen Klima gerecht zu werden. Dabei arbeitet er in marginalisierten Ländern, die mit Beschränkungen und anderen Widrigkeiten zu kämpfen haben und in denen weder Architektur noch Infrastrukturen vorhanden sind. Da ihn seine Tätigkeit – der Bau zeitgemäßer Schulen, Gesundheitseinrichtungen, Wohngebäude, öffentlicher Gebäude und Plätze – nicht selten in Länder führt, in denen Ressourcen knapp sind und die Gemeinschaft alles bedeutet, spiegelt seine Arbeit viel mehr wider als den reinen Wert der errichteten Gebäude.
»Francis Kéré geht neue Wege in der Architektur, denn in Ländern, die durch Verknappung von Ressourcen geprägt sind, schafft er Nachhaltigkeit für Mensch und Erde. Er ist nicht nur Architekt, sondern sorgt auch als Diener der Gesellschaft für Verbesserungen im Leben zahlreicher Bürger und für wertvolle Erlebnisse in einer Region dieser Welt, die bisweilen in Vergessenheit gerät«, erklärt Pritzker. »Durch Gebäude, die von Schönheit, Bescheidenheit, Mut und Fantasie zeugen, und durch die Unverfälschtheit seiner Architektur und Gesten wird Kéré in eleganter Weise dem Sinn dieses Preises gerecht.«
Mit der Grundschule Gando Primary School (2001, Gando, Burkina Faso) fand Kéré einen Weg, seine Ideologie zu manifestieren: Errichtung einer soliden Basis für eine Gemeinschaft in Zusammenarbeit mit dieser Gemeinschaft, um einem zwingenden Erfordernis gerecht zu werden und gesellschaftliche Missstände abzubauen. Diese Aufgabe verlangte nach einer zweigeteilten Lösung: zum einen die physikalische zeitgemäße und kosteneffektive Konstruktion einer Einrichtung, die auch bei extremer Hitze und schlechten Lichtverhältnissen nutzbar ist, und zum anderen die Entschlossenheit der Gesellschaft, um Unsicherheiten innerhalb der Gemeinschaft zu überwinden. Während er die benötigten finanziellen Mittel auf internationaler Ebene einwarb, schuf er lokal einmalige Möglichkeiten, indem er Einheimische in die Planung einbezog und sich um die Ausbildung von Handwerkern kümmerte. Der vor Ort vorkommende Lehmboden wurde mit Zement verstärkt und zu Ziegeln mit klimagerechter thermischer Masse geformt, die dafür sorgen, dass die kühlere Luft im Innern des Gebäudes verbleibt und die Wärme gleichzeitig durch eine Ziegeldecke und ein großflächiges, erhöhtes Dach abgeführt wird. So entsteht eine natürliche Belüftung, weshalb auf eine Klimaanlage verzichtet werden kann. Der Erfolg dieses Projekts führte dazu, dass die Schülerschaft von 120 auf 700 stieg und dass Lehrerunterkünfte (2004, Gando, Burkina Faso), ein Erweiterungsbau (2008, Gando, Burkina Faso) und eine Bibliothek (2019, Gando, Burkina Faso) entstehen konnten.
In der Entscheidung der Jury heißt es: »Aufgrund seiner Erfahrung weiß er, dass es bei der Architektur nicht um das Objekt, sondern um das übergeordnete Ziel geht; dass es nicht um das Ergebnis, sondern um den Weg zu diesem Ergebnis geht. Das Gesamtwerk von Francis Kéré zeigt uns die Kraft, die hinter verwurzelter Wesentlichkeit steckt. Seine Gebäude, die für und mit Gemeinschaften entstanden sind, erzählen die Geschichte dieser Gemeinschaften – von der Entstehung, dem Material, ihren Programmen und ihrem einzigartigen Charakter.«
Die Wirkung seiner Arbeit in Schulen der Grund- und Sekundarstufe führte dazu, dass zahlreiche weitere Einrichtungen gegründet wurden. Jede von ihnen zeugt vom Gespür für ein klimagerechtes Milieu und für Nachhaltigkeit, was für jede Lokalität einmalig ist und viele Generationen beeinflusst. Der Startup Lions Campus (2021, Turkana, Kenia) ist ein Campus mit Ausrichtung auf Informations- und Kommunikationstechnologien und wurde aus lokalem Bruchstein errichtet. Die markanten Türme dienen der passiven Kühlung, wodurch sich der Einsatz von Klimaanlagen verringern lässt, die zum Schutz der technischen Ausrüstung erforderlich sind. Das Burkina Institute of Technology (Phase I, 2020, Koudougou, Burkina Faso) besteht aus kühlenden Lehmwänden, die vor Ort in Massivbauweise errichtet wurden, um den Bauablauf zu beschleunigen. Die überhängenden Eukalyptuspflanzen, die in der Regel als ungeeignet gelten, weil sie nur wenig Schatten werfen und überdies die Nährstoffe aus dem Boden ziehen, wurden zur Säumung der geneigten Wellblechdächer umfunktioniert, mit denen das Gebäude in der kurzen Regenzeit des Landes geschützt wird. Zudem wird das Regenwasser unterirdisch gesammelt und kann so zur Bewässerung der Mangopflanzen verwendet werden, die sich auf dem Gelände befinden.
Das Vertrauen des Landes in Kéré und die Art und Weise, wie der Architekt dort mit offenen Armen empfangen wurde, veranlassten ihn zu einem seiner bedeutendsten und ambitioniertesten Projekte: das Parlamentsgebäude von Burkina Faso (Ouagadougou, Burkina Faso). Zwar wurde er inzwischen mit dem Bau beauftragt, angesichts der heutigen unsicheren Zeiten wurden die Arbeiten jedoch noch nicht aufgenommen. Nachdem das alte Gebäude im Zuge der burkinischen Proteste von 2014 zerstört wurde, entwarf der Architekt einen Pyramidenkomplex mit Stufen und Gitterstruktur, in dem der Sitzungssaal für 127 Personen untergebracht sein wird und dessen Außenanlagen zu informellen Gesprächen einladen sollen. Das Parlamentsgebäude soll – physisch und metaphorisch – neue Sichtweisen ermöglichen und sich so als Puzzleteil in das große Gesamtbild einfügen, in dem einheimische Pflanzen, Ausstellungsflächen und Innenhöfe vorgesehen sind, aber auch ein Denkmal für diejenigen, die bei den Protesten gegen das alte Regime ihr Leben verloren haben.
Ein poetischer Ausdruck des Lichts durchzieht die Werke Kérés. Sonnenstrahlen gelangen gefiltert in Gebäude, Atrien und Zwischenräume, wo sie den ungastlichen, um die Mittagszeit herrschenden Bedingungen entgegenwirken und Orte der Ruhe und Zusammenkunft bieten. Auf dem Dach der Bibliothek für die Grundschule in Gando wurde ein Gitter aus traditionellen Tontöpfen mit Beton umgossen, wodurch nach dem Entfernen Öffnungen entstanden sind, die Wärme ableiten und gleichzeitig natürliches Licht ins Gebäudeinnere lassen. Eine Fassade aus Eukalyptusholz umgibt das elliptische Gebäude und schafft flexible Außenbereiche, die für eine Lichtabgabe in senkrechter Ausrichtung sorgen. Die Benga Riverside School (2018, Tete, Mosambik) wurde aus Wänden errichtet, die eine regelmäßige Struktur mit kleinen Öffnungen aufweisen und durch die so entstandenen Lichtverhältnisse bei den Schülern Vertrauen erwecken. Die Mauern des Centre for Health and Social Welfare (2014, Laongo, Burkina Faso) zieren ein Muster aus gerahmten Fenstern in unterschiedlicher Höhe, wodurch jedem – ob einem stehenden Arzt, einem sitzenden Besucher oder einem liegenden Patienten – ein herrlicher Blick auf die malerische Landschaft zuteil wird.
Kéré, dessen Entwürfe stets voller Symbolik sind, wird auch in seinem Wirken außerhalb Afrikas von seiner Kindheit und seinen Erlebnissen in Gando geleitet. Die westafrikanische Tradition, sich unter einem geweihten Baum zu versammeln und Ideen auszutauschen, Geschichten zu erzählen, zu feiern und gesellig beisammen zu sein, macht Kéré immer wieder zum Thema. Der Name seiner Kunstinstallation »Sarbalé Ke« auf dem Coachella Valley Music and Arts Festival (2019, California, USA) entstammt seiner Muttersprache Bissa und lässt sich mit »Haus des Feierns« übersetzen. Mit dieser Installation huldigte Kéré dem Affenbrotbaum, der in seinem Heimatland mit seiner ähnlich hohlen Form für seine heilenden Eigenschaften verehrt wird. Auch beim Serpentine Pavilion (2017, London, Vereinigtes Königreich) wurde die Form im Zentrum des Gebäudes der eines Baumes entlehnt. Für die unterbrochene, geschwungene Wandkonstruktion hat Kéré dreieckige Indigomodule verwendet, deren Farbe in seiner Kultur und für ihn persönlich Stärke bedeutet und an die blaue Bubu-Kleidung erinnern soll, die er selbst noch als Kind getragen hat. Die Ähnlichkeit der freistehenden Dachkonstruktion mit seinen in Afrika geschaffenen Gebäuden ist unverkennbar. Das Besondere an diesem Pavillon ist jedoch, dass das Regenwasser ins Zentrum des Bauwerks geleitet wird, womit auf die Wasserknappheit aufmerksam gemacht werden soll, die an vielen Orten der Welt herrscht. Die Inspiration für die Benin National Assembly (Porto-Novo, Republik Benin), die derzeit in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem öffentlichen Park errichtet wird, bezog Kéré von den traditionellen »Palaverbäumen« in Afrika. Während das Parlament im Innern des Gebäudes zusammenkommt, können sich die Bürger in den überschatteten Bereichen im Sockelbereich des Gebäudes ebenfalls versammeln.
In der Entscheidung des Preisgerichts heißt es weiter: »In einer krisengeplagten Welt, in der Werte und Generationen einem Wandel unterliegen, erinnert er uns an das, was ein Eckstein der architektonischen Praxis war und zweifellos auch weiterhin sein wird: ein Sinn für Gemeinschaft und erzählerischen Charakter. Er versteht es wie kein anderer, uns mit seinen Bauwerken voll Mitgefühl und Stolz diese Werte näherzubringen. Dazu wählt er eine Geschichte, in der durch Architektur dauerhaftes Glück und anhaltende Freude entstehen können.«
Eine Vielzahl der festen Bauwerke Kérés befindet sich in afrikanischen Ländern, beispielsweise in der Republik Benin, in Burkina Faso, in Mali, Togo, Kenia, Mosambik, in Togo oder auch im Sudan. Pavillons und Installationen wurden von ihm in Dänemark, in Deutschland, in Italien, in der Schweiz, im Vereinigten Königreich und in den USA geschaffen. Zu seinen bedeutendsten Werken zählen ferner Xylem im Tippet Rise Art Centre (2019, Montana, USA), die Léo-Arztunterkünfte (2019, Léo, Burkina Faso), das Schorge-Gymnasium (2016, Koudougou, Burkina Faso), der Nationalpark von Mali (2010, Bamako, Mali) und das Opera Village (Phase I, 2010, Laongo, Burkina Faso).
1998 gründete Kéré seine eigene Stiftung, die Kéré Foundation, zugunsten der Bewohner von Gando, die durch die Entwicklung von Projekten, Partnerschaften und Spendenaktionen unterstützt werden sollen; sowie 2005 das Architekturbüro Kéré Architecture in Berlin. Kéré, der sowohl die burkinische als auch die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, ist der 51. Gewinner des Pritzker-Architekturpreises.
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Medienkontakt
Eunice Kim
Leiterin Kommunikation
Pritzker-Architekturpreis
eunicekim[at]pritzkerprize.com
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Über den Pritzker-Architekturpreis
Der Pritzker-Architekturpreis wurde 1979 von Jay A. Pritzker und dessen Frau Cindy (beide inzwischen verstorben) ins Leben gerufen. Mit diesem jährlich verliehenen Preis wird jeweils ein Architekt zu Lebzeiten geehrt, dessen Architekturkunst von Talent, Vision und Engagement zeugt und einen konstanten und bedeutenden Beitrag für die Menschheit und die gebaute Umwelt darstellt.
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