BAUHAUS.INSIGHTS: »Zwischen Magie und Handwerk«
Rätselhaft und magisch, auch routiniert und erlernbar – so blickt Dr. Simon Frisch auf das Lehren. Seit 2023 ist Frisch Vizepräsident für Lehre und Lernen im Präsidium der Bauhaus-Universität Weimar und lehrt selbst über 25 Jahre, davon mehr als zehn Jahre an der Fakultät Medien, wo er die Dozentur für Film- und Medienwissenschaft innehat. Als Vizepräsident stellt er hochaktuelle Fragen: Wie kann KI sinnvoll im universitären Kontext eingesetzt werden? Wie verändern sich Lesen und Schreiben durch die neuen Technologien? Wie kann sich das Studieren und das Lehren dadurch verändern und was ist gute Lehre überhaupt? Frisch möchte unseren Blick auf das »neue« Lehren und Lernen verändern und Berührungsängste mit neuen Praktiken abbauen.
Für die Reihe BAUHAUS.INSIGHTS haben wir Dr. Simon Frisch zu dem am 8. April 2024 startenden Podcast »Zwischen Magie und Handwerk«, dessen Host er ist, einige Fragen gestellt.
Herr Dr. Frisch, Sie beschäftigen sich seit Langem mit performativen Künsten. Wieviel hat gute Lehre mit einer interessanten Aufführung zu tun?
Tatsächlich ist für mich jede Seminarstunde immer ein bisschen wie ein Bühnenauftritt. Ich denke immer über Raum, Medieneinsatz und Dramaturgie nach: Wie fange ich an? Wie lange spreche ich? Wann stehe ich auf und wann sitze ich? Was schreibe ich an die Tafel, was projiziere ich als Bild oder Film usw.? Und wann sollen die Stimmen der Studierenden in den Raum gebracht werden? Das ist immer sehr wichtig, vor allem im ersten Semester. Das soll eigentlich in der ersten Stunde geschehen, damit jede Person ihre Stimme im Raum hört. Denn jede Person an der Uni hat eine Sprechrolle. Das heißt aber nicht, dass ich eine Mordsschau mache. Oft suche ich gerade die reduzierte trockene Form der akademischen Nüchternheit. Gerade weil ich viel über Medieneinsatz nachdenke, setze ich sie mitunter auch gerade nicht ein. Aber auch, wenn ich nicht vorher plane, denke ich die Performance immer mit. Lehre findet im Zeitverlauf, im Raum statt. Ganz gleich, ob man das bewusst gestaltet oder nicht, hat jede Form hat eine Wirkung. Ja, und das macht riesigen Spaß, wenn man damit spielt und das ein bisschen wie ein Bühnenstück gestaltet. In Vorlesungen ist es eine Aufführung vor Publikum, im Seminar ist es am schönsten, wenn es eine Symphonie wird.
Sie haben mittlerweile über 15 Gespräche für den Podcast »Zwischen Magie und Handwerk« geführt. Haben Sie dadurch einen anderen Blick auf das Lehren erhalten und wenn ja, welchen?
Ja. Ich hatte eine Vorstellung und eine Idee vom Lehren, weil ich schon vorher viele Gespräche über Lehre geführt habe – aber noch nie in dieser Intensität und Konzentration. Jedes der Gespräche ist das Beste, so fühlt es sich an, beim Sprechen und beim Anhören. Und das ist die Magie der Lehre: die Aufmerksamkeit in der Gegenwart. Das Gefühl dafür, dass das, was gerade im Augenblick geschieht, ganz wichtig ist! Ich habe in allen Gesprächen vor allem eine neue Sache gelernt darüber, was Lehrende besonders gut können: es sind Menschen, die ganz und gar in die Gegenwart treten können. In allen Gesprächen ist eine, wie soll ich das sagen, eine radikale Gegenwärtigkeit zu spüren, eine Gegenwart, die an die Wurzel geht, oder, die eben die Wurzel von allem ist, was geschieht. Daraus geht alles hervor. Das ist die Magie der Lehre, das ist ihre Kraft. Und dies zu erzeugen, das ist das, was Lehrende können. Sie können es einfach, weil sie es schon lange tun, oder weil sie es tun und tun wollen. Wahrscheinlich lehren sie gern, weil sie in den Momenten der Lehre immer wieder ganz und gar in der Gegenwart leben. Für mich kann ich das jedenfalls so sagen. Aber das interessiert mich jetzt auch anders herum. Ich will unbedingt auch mit Leuten sprechen, die nicht gerne lehren. Mal sehen, ob ich jemanden finde.
An der Bauhaus-Universität Weimar unterrichten unzählige großartige Lehrpersonen. Wie haben Sie die Interviewten für die erste Podcast-Staffel ausgesucht?
Mehr oder weniger zunächst assoziativ. In vielen Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen und Studierenden sammle ich schon seit einiger Zeit Namen. Natürlich sind mir erst einmal Leute eingefallen, die ich kenne. Kriterien sind: Vielfalt der Fächer bzw. Fakultäten, der Methoden, der Persönlichkeiten, Statusgruppen, Altersgruppen usw. Da ich aber den Podcast über mehre Semester als Staffeln plane, habe ich mich nicht zu lange mit einer Komposition der ersten 14 Folgen aufgehalten, weil im Prinzip ja alle noch »drankommen können«. Viele Gespräche haben sich auch daraus ergeben, wer Zeit hatte. Aber mir war besonders wichtig, dass gleich in der ersten Staffel Studierende dabei sind.
Das Wissen entwickelt sich rasend schnell weiter. Wir brauchen zukünftig sehr viele hervorragend ausgebildete junge Menschen, die mit Wissen innovativ und kreativ umgehen können. Warum steht das Thema Lehren und Lernen trotzdem immer noch im Schatten – zum Beispiel der Forschung?
Ich mache mir da keine Illusionen, ich denke schon, dass das immer noch daran liegt, dass Lehre kein Geld bringt und letztlich eigentlich nicht in Zahlen abbildbar ist. Auch Schlagzeilen, Kernsätze, fette Überschriften sind mit oder für die Lehre nicht zu machen. Lehre kostet Geld, braucht Ressourcen und zeigt keine unmittelbaren Effekte, die sofort bewertbar sind. Lehre braucht Vertrauensräume, sie geht in leisen, langsamen Prozessen vor sich. Dopamin ist da eher nicht. Wenn ich vorhin gesagt habe, dass Lehrende glückliche Menschen sind, dann muss man wissen, dass das Glück, das Lehrende empfinden, nicht kick-förmig ist. Das ist eine andere Form von Glück. Lehre macht nicht süchtig oder so.
Und: Man kann an Lehre teilnehmen und Lehre erfahren, aber nicht so gut von ihr erzählen. Es gibt – bislang – keine richtige Ästhetik der Lehre, keine wirklich gute Erscheinungsform nach außen. Bücher, Zeitschriften, Aufsätze darüber, wie gute Lehre geht, sind immer etwas dröge und langweilig, wie Ratgeberliteratur eben oft ist. Und so soll gute Lehre ja nicht sein. Das ist vielleicht auch die Magie, dass es da etwas gibt, was nicht übersetzbar ist in Worte, Maßnahmenkataloge, Formeln. Klingt etwas raunend, esoterisch, aber ja, Magie – deswegen habe ich den Podcast so genannt. Aber das heißt nicht, dass das für immer ein Geheimnis bleiben muss. Es gibt auch das Handwerk. Und das Handwerk kann gelernt werden. Das ist wieder wie im Schauspiel.
Aber Lehre ist keine Show für ein Publikum. Und das kann sie auch nicht werden, das ist halt so. Man kann nicht alles zu etwas anderem machen: Lehre braucht den Willen von allen, die daran Anteil haben, Lehre zu ermöglichen, also auch den Willen zu lernen! Lehre braucht Lust am Lernen. Lehre braucht Teilnahme, nicht Publikum. »Here we are now, entertain us« – das geht in der Lehre nicht. Es ist nicht Unterhaltung, Lernen ist Arbeit.
Welche zentrale Erkenntnis gibt es für Menschen, die gerade erst anfangen zu lehren, aus Ihren Gesprächen oder ist Lehre immer ganz individuell?
Die zentrale Erkenntnis, wenn man Lehre anfängt, ist immer, dass alles zu groß ist, und dass man die Kräfte noch nicht hat. Man stammelt und stolpert, weil man die Bewegungen der Lehre noch nicht kennt, aber vor allem hat man die Kräfte nicht und die Koordination. Es reicht nicht, wenn ich weiß, dass ich durch Warten zum Beispiel erreichen kann, dass ein Gespräch im Seminar entsteht. Aber ich muss das dann im Seminar aushalten und zugleich präsent bleiben. Es kann passieren, dass ich denke, ich warte, aber plötzlich merke ich, dass ich in Wirklichkeit durch mein Schweigen verschwinde und die Studierenden fangen an, sich mit irgendetwas anderem zu beschäftigen, weil ich nicht die Kraft habe, die Spannung aufrecht zu erhalten. Lehren ist eine Beziehungsarbeit. Diese ist auch immer in gewisser Weise individuell.
Das Denken in und von Prozessen und Vorgängen interessiert Sie ja schon länger und »Zwischen Magie und Handwerk« ist Ihr erster Podcast. Was hat Sie der Vorgang des Podcastproduzierens in den letzten Wochen gelehrt?
Richtig. Ich habe diesen Podcast als Lernender gemacht. Und zwar habe gar nicht ich den Podcast gemacht, sondern ein ganzes Team. Das hatte ich in der Tat nicht erwartet, dass man eine so große Mannschaft braucht. Dabei habe ich dann gelernt, was wir für super Leute an der Uni haben*. Zum Konzept: Ich hatte eine vage Idee und mein Konzept immer wieder überarbeitet und sortiert, was dazu passt und was nicht. Für mich war eine Sache von Anfang an wichtig: die Pausen, das Stocken, das Schnaufen, solche Dinge, das bleibt alles drin! Nicht so sehr wegen der Natürlichkeit, sondern mich interessiert das Klangobjekt. Man kann das »roh« oder auch »anstrengend« und von mir aus auch »schlecht« finden. Aber für mich und für meine Intention sind solche Passagen nicht nur nach meinem Empfinden schöner, sondern sie passen vor allem zu einer Sache, worum es mir auch in dem Podcast geht, eine Art Ästhetik des aufgenommenen Gesprächs. Das ist das medienästhetische Konzept dieses Podcasts über Lehre. Und das bekommt auch einen symbolischen Sinn: Zwischen Magie und Handwerk, da gehört das Unsagbare, die Zwischenräume, das Stocken, das Atmen, der Raum usw. dazu, weil sie auch in der Lehre eine so große Rolle spielen. Das Gespräch ist nicht wie ein gedruckter Text, nur schlechter, sondern das ist eine eigene Form.
Von Anfang an ging es mir darum, dass wir ein Projekt machen, das uns alle ermutigt, Dinge zu tun und keine Angst zu haben, das zu veröffentlichen, zu senden, zu zeigen, was wir tun, wie wir sind, auch wenn wir uns und unsere Dinge als unfertig fühlen. Es steht der Bauhaus-Universität gut an, wenn sie Dinge selbst erfindet und gründet, also wenn die Dinge, die wir tun, so aussehen, wie wir sie tun – und wir sie und uns selbst nicht an die Anforderungen anderer anpassen.
In der Arbeit im Team habe ich eine ganz wichtige Sache gelernt: dass es bei allem um Vertrauen geht. Alle, die in einem Projekt mitarbeiten, müssen Vertrauen haben in das Projekt, in die Idee, in den Verlauf. Kontrolle ist gut, aber Vertrauen ist besser. Das ist eine wahnsinnige Kraft, ein Treibstoff für alles! Und das haben wir geschafft – weil wir miteinander über alles gesprochen haben, in jeder Phase. Auch über Zweifel, unterschiedliche Ansprüche und Erwartungen. Das hat alles super geklappt. Tolle Leute!
Jetzt habe ich schon gehört, dass andere Universitätsmitglieder auch Podcasts machen wollen. Das ist eine heimliche Hoffnung, dass das ein vielfältiges Format an unserer Uni wird. Die Technik haben wir, die Prozesse kennen wir jetzt. Auf auf!
Alle weiteren Informationen erhalten Sie auf der Podcast-Website: www.uni-weimar.de/lehre-podcast
Der Podcast auf Spotify: https://open.spotify.com/show/1CioJLbtO3itsLMXh0wSdw
Der Podcast auf Apple Podcasts: https://podcasts.apple.com/de/podcast/zwischen-magie-und-handwerk/id1737978981
Die BAUHAUS.INSIGHTS-Fragen zum Podcast »Zwischen Magie und Handwerk« stellte Claudia Weinreich.
* Ton und Technik machen Steven Mehlhorn, Moritz Wehrmann, Zaryab Chaudhry, das Sound-Design und Schnitt besorgen Jonas Rieger, Laura Khachab und Moritz Wehrmann, die wunderbare Musik kommt von Sebastian Lederle, das smarte Artwork ist von Andreas Wolter, Marketing und Social Media machen Claudia Weinreich und Marit Haferkamp, juristisch berät uns Laura Kister, für digitale Barrierefreiheit sorgt Christiane Hempel und alles zusammen hat Nicole Baron in der Produktion koordiniert mit Unterstützung von Salma Pethö-Zayed.