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Jun.-Prof. Dr.-Ing. Luise Göbel. Foto: Thomas Müller; Bearbeitung: Marit Haferkamp, Newsteam
Jun.-Prof. Dr.-Ing. Luise Göbel. Foto: Thomas Müller; Bearbeitung: Marit Haferkamp, Newsteam
Erstellt: 10. Dezember 2024

BAUHAUS.INSIGHTS: StimuCrete – Wie anpassungsfähig kann Beton sein?

Langlebig, widerstandsfähig, formbar – Beton ist der bedeutendste Baustoff des 21. Jahrhunderts. Aus dem ursprünglichen Drei-Stoff-System (Zement, Kies, Wasser) ist ein Hochleistungswerkstoff geworden, dessen Eigenschaften man durch die Mischrezeptur gezielt verändern kann. Doch es gibt ein Problem: Ist der Beton erst einmal gemischt, ist er nicht mehr anpassungsfähig. Das heißt, ungewollte Änderungen im Fließverhalten oder in der Dauerhaftigkeit, beispielsweise hervorgerufen durch wechselnde Umweltbedingungen und Rohstoffschwankungen, kann man nicht mehr korrigieren.

Das Forschungsteam der NanoMatFutur-Nachwuchsgruppe unter der Leitung von Jun.-Prof. Dr.-Ing Luise Göbel möchte Beton daher intelligenter machen. Die Idee: Neu entwickelte Zusatzstoffe (Additive) sollen bestimmte Betoneigenschaften erst dann verändern, wenn sie durch eine äußere oder innere Anregung (Stimulus) aktiviert werden. Auf diese Weise könnte man Frischbeton flexibel, quasi »auf Knopfdruck«, anpassen oder neue Betonbauwerke mit Selbstheilungskräften ausstatten.

Rund 1,9 Millionen Euro investiert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bis 2028 in die NanoMatFutur-Nachwuchsgruppe.

Frau Göbel, ein Ansatz von StimuCrete ist es, das Verhalten von frischem Beton zu steuern. Beispielsweise könne man ihn auf Knopfdruck erstarren lassen. Wie funktioniert das und für welche Anwendungsbereiche ist das besonders nützlich?

Für das Erstarren auf Knopfdruck geben wir dem Beton sehr kleine Partikel zu, die magnetische Eigenschaften haben. Werden diese Stoffe dann durch ein von außen angelegtes Magnetfeld angeregt, können sie sich in Bewegung setzen und entlang der Magnetfeldlinien ausrichten. So erstarrt der Beton in wenigen Augenblicken.

Wir erforschen gerade das Potential verschiedener Rohstoffquellen, darunter Materialien, die auf Deponien lagern oder Abfallprodukte aus industriellen Prozessen sind, ob sie für diese Anwendung geeignet sind. Auf diese Weise verknüpfen wir unsere Forschung gleich mit dem globalen Streben nach nachhaltigen Baustoffen.

In der Anwendung ist dieses Erstarren auf Knopfdruck besonders bei additiven Herstellungsprozessen (»3D-Betondruck«) interessant, weil sie fast schon widersprüchliche Eigenschaften vom Frischbeton fordern: Während das Material im Pumpprozess sehr fließfähig sein soll, muss es am besten direkt nach dem Ablegen aus dem Druckkopf erstarren, um einen schichtweisen Aufbau zu ermöglichen.

Gibt es noch andere Eigenschaftsänderungen, die StimuCrete bei frischem Beton hervorrufen kann?

Ja, tatsächlich gehen wir mit unseren Forschungsideen noch einen Schritt weiter und wollen die Variationsmöglichkeiten ausbauen. So soll der Frischbeton nicht nur auf Knopfdruck erstarren können, sondern sich auch bei Bedarf wieder etwas verflüssigen. Das könnte zum Beispiel interessant sein, wenn Betonmischer länger als geplant unterwegs sind und der Beton bereits beginnt, fest zu werden. Auch dieser Ansatz trägt zur Nachhaltigkeit bei, weil durch unsere Methode die Mengen an Betonzusatzmitteln während des Herstellungsprozesses reduziert werden können.

Der zweite große Ansatz von StimuCrete ist, Betonbauwerke langlebiger zu machen, indem man dem verbauten Beton Selbstheilungskräfte verleiht. Was bedeutet das konkret und welche Arten von Schäden kann der Beton so selbst reparieren?

Die Idee, dass Beton in der Lage ist, sich ein Stück weit eigenständig zu reparieren, ist nicht neu und wird von einigen Forschungsgruppen auf der ganzen Welt verfolgt. Wir möchten nun allerdings Zusatzstoffe in Form von Kapseln entwickeln, die direkt auf potentiell schädigende Substanzen reagieren. Das können beispielsweise Chloride sein, die in Tausalzen enthalten sind. In so einem Fall würden unsere neuartigen Kapseln bei Chloridkontakt Salze freisetzen, die Risse im Beton von innen heraus wieder verschließen. So verhindern wir, dass weitere Stoffe eindringen, die eine Korrosion an der Bewehrung verursachen und dadurch die Standsicherheit des Bauwerks gefährden können.

Wird StimuCrete überall eingesetzt werden können oder ist seine Nutzung auf bestimmte Bauweisen beschränkt?

Es gibt sicherlich einige Anwendungsgebiete, die besonders prädestiniert sind. Der selbstheilende Beton könnte vor allem in Tiefgaragen, Parkhäusern und Brücken eingesetzt werden. Der Beton, der durch äußere Anregungen sein Fließverhalten ändert, wäre wahrscheinlich für frisch auf der Baustelle eingebauten Beton oder automatisierte Bauweisen interessant.

Ihr vom BMBF gefördertes Forschungsprojekt begann in diesem Januar und endet im Dezember 2028. Wie schätzen Sie den bisherigen Verlauf ein und auf welche Schritte freuen Sie sich im nächsten Projektjahr 2025?

Die größte Herausforderung dieses Jahr bestand sicherlich in der Suche nach geeigneten Teammitgliedern für unsere NanoMatFutur-Nachwuchsgruppe. Letztlich konnte ich mir ein tolles, motiviertes und interdisziplinäres Team aufbauen, das mit Leidenschaft an unseren Ideen forscht. Das Besondere an diesem Team ist, dass es viele verschiedene Fachbereiche abdeckt, von elektrotechnischen Fragestellungen bis hin zur experimentellen Umsetzung von Polymersynthesen. Im kommenden Jahr freue ich mich vor allem darauf, dass wir nun immer tiefer in die Materie eintauchen werden. Aus unseren bisherigen Materialscreenings konnten wir bereits eine Auswahl geeigneter Materialien treffen, mit denen wir jetzt weiter forschen. Die Bau(stoff)forschung erfordert die sehr umfassende Charakterisierung neu entwickelter Materialien. Schließlich sollen diese in Bauwerken zum Einsatz kommen, die mehr als 80 oder 100 Jahre halten sollen.

Sehen Sie Möglichkeiten, Beton noch anpassungsfähiger zu machen, als StimuCrete es jetzt vorhat – vielleicht im Rahmen eines Anschlussprojekts?

Ich denke, dass wir mit StimuCrete als intelligentem Baustoff der Zukunft bereits sehr ambitionierte Ziele verfolgen. Nach dem erfolgreichen Abschluss unseres BMBF-Projekts wird unser Bestreben daher erst einmal dahin gehen, die entwickelten Verfahren in die Praxis zu überführen. Das ist in der eher konservativ geprägten Baubranche eine große Herausforderung und bedarf zahlreicher Tests und administrativer Prozesse. Der Industrie- und Forschungsbeirat, der unser Projekt beratend begleitet, hat uns jedoch bereits das große Potential unserer Ideen bestätigt, sodass ich zuversichtlich in diese Richtung schaue.

Frau Göbel, das sind spannende Aussichten – wir fragen bestimmt dazu nach und danken Ihnen heute erst einmal für das interessante Gespräch.

Die BAUHAUS.INSIGHTS-Fragen zum Projekt »StimuCrete« stellte der freischaffende Redakteur Franz Löbling.