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Dr. Ulrike Kuch. Foto: Dominique Wollniok
Dr. Ulrike Kuch. Foto: Dominique Wollniok
Erstellt: 05. Juli 2024

BAUHAUS.INSIGHTS: Wie blickt man aus Bangladesch auf die gesellschaftliche Transformation in Deutschland?

Im südlichen Bangladesch, an zwei Seitenarmen des Ganges, liegt die Millionenstadt Khulna. Khulna kämpft mit großen Abfallproblemen, darunter Unmengen an Kunststoff, die aus den Flüssen in die Stadt und weiter in das Meer geschwemmt werden. Seit 2021 forschen Wissenschaftler*innen der Khulna University of Engineering & Technology (KUET) mit Kolleg*innen der Umweltingenieurwissenschaften der Bauhaus-Universität Weimar unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Eckhard Kraft gemeinsam daran, wie Abfälle langfristig zu vermeiden sind und parallel ein nachhaltiges Abfallsystem in Khulna installiert werden kann.

Im Rahmen einer Fachexkursion reisten im April die vier Studierenden Alina Belinc, Dennis Herrmann, Nicolas Schwenke und David Belitz mit Mitarbeitenden der Professur Ressourcenwirtschaft nach Bangladesch. Ebenfalls dabei: Dr. Ulrike Kuch, Vizepräsidentin für gesellschaftliche Transformation an der Bauhaus-Universität Weimar. Die Gruppe besuchte verschiedene Projektorte, nahm teil an einer Transferkonferenz und einem Workshop der Studierenden, besichtigte Plastik-Recycling-Shops und auch eine Müll-Deponie.

Gegen Ende der zweiwöchigen Reise war Dr. Kuch eingeladen, vor der University Grants Commission (UGC), dem wichtigsten hochschulpolitische Gremium Bangladeschs, einen Vortrag zu halten. Die UGC verteilt unter anderem alle Mittel an die öffentlichen und privaten Hochschulen im Land. In ihrem Vortrag stellte Dr. Kuch die Bauhaus-Universität Weimar und insbesondere ihren Bereich der gesellschaftlichen Transformation vor und diskutierte mit den etwa 50 Anwesenden.

Für das BAUHAUS.JOURNAL ONLINE haben wir Dr. Ulrike Kuch für die Serie BAUHAUS.INSIGHTS zu ihren Eindrücken auf der Reise befragt, den Blick der Bangladescher Wissenschaftler*innen auf Deutschland, auf die Herausforderung globaler Probleme und mögliche gemeinsame Lösungen dafür.

Frau Dr. Kuch, eine Reise von Weimar nach Bangladesch, das ist ein immenser Wechsel der Perspektiven. Was waren ihre Eindrücke von der Stadt Khulna gleich nach der Ankunft?

Es war furchtbar heiß, 42 Grad im Schatten – Bangladesch wurde gerade von einer Hitzewelle überrollt. Allerdings waren wir als Gäste fast immer in klimatisierten Umgebungen, ob Auto oder Gebäude. Diesen Luxus hatten die meisten Einheimischen nicht und es hat besonders weh getan, Menschen zu sehen, die über Stunden Berge von Ziegelsteinen auf ihren Köpfen transportierten. Immerhin hatte die Regierung eine Woche hitzefrei gegeben. Darüber hinaus ist Khulna geprägt vom Automobilverkehr, der auf verschiedenen Ebenen die Stadt durchzieht. Es gibt keine Ampeln, wenig Schilder: Alle Autos, alle Motorräder hupen, alle Rikschas und Transporträder klingeln, alle versuchen, sich irgendwie durchzuschlängeln – und bleiben gleichzeitig überaus gelassen.

Die Kooperation zwischen der Khulna University of Engineering & Technology (KUET) besteht seit 2007 und es gab zahlreiche Austausche und Projekte. Erstmals waren Sie als Vertreterin des Präsidiums dabei. Wie kam es dazu?

Die Initiative kam von Prof. Dr.-Ing. Eckhard Kraft. Als Klimaschutzbeauftragter arbeitet er beratend mit dem Team Nachhaltigkeit zusammen, das ich leite. Das aktuelle SCIP-Plastics-Projekt (Sustainable Capacity building to reduce Irreversible Pollution by plastics, www.scip-plastics.com), das ja bezeichnenderweise vom Bundesumweltministerium finanziert wird, arbeitet wie von Ihnen beschrieben intensiv und grundlegend im Bereich Umwelt- und Klimaschutz. Weiterhin bezieht das Projekt dabei eine ganze Reihe von Partner*innen aus der Wirtschaft und der Verwaltung mit ein, wie die Kommunale Abfallverwaltung, die Hafenaufsichtsbehörde, Plastikrecyclingunternehmen und andere. Das ist für mich interessant als Beispiel für direkt angewandten Wissens-Transfer, verstanden als Austausch von Wissen zwischen den Akteur*innen: Die externen Beteiligten aus Bangladesch konnten mit dem Wissen zur Ressourcenwirtschaft ihre Entscheidungen auf einer breiten wissenschaftlichen Grundlage treffen, die Weimarer Kolleg*innen nehmen Wissen aus der Anwendung mit in die Universität – und natürlich noch viele weitere Erfahrungen. Es war spannend zu sehen, was dabei die Gelingensbedingungen für die Kooperation sind und wir wollten diese Beziehung stärken. Nicht zuletzt war es die Absicht des Präsidiums, die angesprochene langjährige Kooperation mit der KUET und vor allem auch das vielfältige und herausragende Engagement von Professor Kraft für die Universität in verschiedenen Bereichen durch meinen Besuch zu würdigen.

Auf Ihrer Reise haben Sie sich mit vielen KUET-Universitätsangehörigen und anderen Wissenschaftler*innen zu Transformationsprozessen ausgetauscht. Wie schauen die Bangladescher auf Europa, auf Deutschland und auf Weimar und konnten Sie diesen Blick erweitern?

Wir haben sogar drei Städte besucht, Chattogram, Khulna und Dhaka, die Hauptstadt. Wobei das für Ihre Frage keinen Unterschied macht, aber doch meine Eindrücke von Bangladesch nochmal erweitert. Bangladesch ist (noch) ein »least developed country« und als solches befindet es sich in großen, in sehr großen Transformationsprozessen. Bei den Gesprächen war das jedoch kein explizites Thema, es ging mehr um gegenseitiges Kennenlernen und Wertschätzung, mit einer Ausnahme: Dem Klimawandel. In Bangladesch mit seiner sehr speziellen geographischen Lage und topographischen Beschaffenheit sind die Folgen direkt und mit aller Wucht zu spüren.
Der Blick auf Deutschland ist von Respekt geprägt; durch das langjährige Engagement Eckardt Krafts ist sein Wirken in den Wissenschaftskreisen in Khulna und Chattogram natürlich sehr stark zu spüren. Mein Beitrag mag darin gelegen haben, beim Vortrag bei der UGC auf die Herausforderungen hinzuweisen, denen wir uns in Weimar gegenübersehen – die Klimakrise, die abnehmende Akzeptanz der Demokratie und der Wissenschaft, die Folgen der Wiedervereinigung, den Fachkräftemangel, den Einfluss der Digitalisierung und insbesondere der KI.

Welche Aspekte des Austauschs haben Sie überrascht? Welche neuen Anknüpfungspunkte haben sich für uns daraus ergeben?

Überrascht haben mich die starken Hierarchien, auch im Wissenschaftssystem des Landes. Das war ungewohnt für mich und eine unangenehme Erfahrung, vordergründig als »pro-vice chancellor« wahrgenommen zu werden und in jeder Situation im Rampenlicht zu stehen. In besonders positiver Erinnerung war der Austausch mit Prof. Alamgir. Er ist Professor und ehemaliger Präsident der KUET, im Moment interimistisch Vorsitzender der UGC. Sein kritischer Blick auf die Welt, seine Tatkraft, sein Humor waren sehr inspirierend für mich. Als Mensch und als Präsidiumsmitglied. Er ist ein Vorbild dafür, wie man sehr zupackend und doch fundiert Dinge in Bewegung bringen kann. Und er ist ein Vorbild, einen eigenen Weg für den Ausgleich zu finden. Am Ende war es für mich persönlich also doch wieder eine Person, die den Unterschied gemacht hat.

Viele regionale Probleme haben globale Ursachen und können nur in Zusammenarbeit der internationalen Staatengemeinschaft gelöst werden. Wie ist ihr Eindruck: Welchen Beitrag können universitäre Kooperationen wie die der KUET und der Bauhaus-Universität Weimar dazu leisten?

Da ist zuerst – und dann kommt lange nichts – der Klimawandel zu nennen. Das SCIP Plastics-Projekt ist dafür das anschauliche Beispiel. Es zeigt das globale Problem und lokale Lösungsansätze auf, entwickelt in internationaler Zusammenarbeit zwischen zwei bzw. drei Universitäten und außeruniversitären Kooperationspartner*innen in Bangladesch und Deutschland. Dieses Projekt, und die tollen Kolleg*innen – neben Professor Kraft auch Gregor Biastoch und Senta Berner – verdeutlicht, wie man mit hervorragendem Fachwissen, mit außerordentlicher Kommunikation, mit viel persönlichem Engagement und auch mit einer substantiellen Förderung gemeinsam Wege zu gehen. Und das wertzuschätzen, mindestens dafür hat sich die Reise gelohnt.

Frau Dr. Kuch, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Impressionen der Reise

Prof. Dr.-Ing. Eckhard Kraft, Dr. Ulrike Kuch und Gregor Biastoch werden in Chattogram willkommen geheißen.
Prof. Dr.-Ing. Eckhard Kraft, Dr. Ulrike Kuch und Gregor Biastoch werden in Chattogram willkommen geheißen.
Dr. Ulrike Kuch im Gespräch mit Recycling-Expert*innen auf der Deponie in Chattogram. Foto: Eckhard Kraft
Dr. Ulrike Kuch im Gespräch mit Recycling-Expert*innen auf der Deponie in Chattogram. Foto: Eckhard Kraft
Deponie in Chattogram. Foto: Gregor Biastoch
Deponie in Chattogram. Foto: Gregor Biastoch
Kompostieranlage auf der Deponie in Chattogram. Foto: Gregor Biastoch
Kompostieranlage auf der Deponie in Chattogram. Foto: Gregor Biastoch
Spaziergang in Chattogram. Foto: Gregor Biastoch
Spaziergang in Chattogram. Foto: Gregor Biastoch
Wissenstransfer-Workshop in Chattogram. Foto: Gregor Biastoch
Wissenstransfer-Workshop in Chattogram. Foto: Gregor Biastoch
Berichterstattung des Besuchs im Lokalfernsehen. Foto: Eckhard Kraft
Berichterstattung des Besuchs im Lokalfernsehen. Foto: Eckhard Kraft
Foto: Gregor Biastoch
Foto: Gregor Biastoch
Rollenspiel-Workshop von Studierenden. Foto: Gregor Biastoch
Rollenspiel-Workshop von Studierenden. Foto: Gregor Biastoch
Das SCIP-Team in Khulna nach dem Workshop der Studierenden. Foto: Gregor Biastoch
Das SCIP-Team in Khulna nach dem Workshop der Studierenden. Foto: Gregor Biastoch
Bootsfahrt auf dem Kaptai See. Foto: Gregor Biastoch
Bootsfahrt auf dem Kaptai See. Foto: Gregor Biastoch
Teepause in Khulna. Foto: Gregor Biastoch
Teepause in Khulna. Foto: Gregor Biastoch
Prof. Dr.-Ing. Eckhard Kraft, Prof. Alamgir und Dr. Ulrike Kuch vor der UGC.
Prof. Dr.-Ing. Eckhard Kraft, Prof. Alamgir und Dr. Ulrike Kuch vor der UGC.
Prof. Dr.-Ing. Eckhard Kraft und Dr. Ulrike Kuch überreichen Goethe-Figur als Gastgeschenk in Dhaka.
Prof. Dr.-Ing. Eckhard Kraft und Dr. Ulrike Kuch überreichen Goethe-Figur als Gastgeschenk in Dhaka.
Vortrag vor der University Grants Commission.
Vortrag vor der University Grants Commission.
Blick auf Dhaka. Foto: Alina Belinc
Blick auf Dhaka. Foto: Alina Belinc
Foto: Alina Belinc
Foto: Alina Belinc