Die Bauhaus-Universität Weimar nutzt heute Gebäude, die tief in die Unrechtsgeschichte des Nationalsozialismus in Weimar verwickelt sind. Die Universität hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Geschichte dieser Orte aufzuarbeiten. Seit 2024 wird diese Vergangenheit zudem durch dauerhaft angebrachte Informationstafeln an den jeweiligen Orten markiert.
Die Bauhausstraße 11 wurde von 1935 bis 1937 errichtet. Unter einem Dach beherbergte das Gebäude bis 1945 die Verwaltungsstellen mehrerer gesundheitspolitischer NS-Organisationen. Auf diese Weise sollte ein nationalsozialistisch geprägtes Bild der Geschlossenheit und Stärke des ganzen Berufsstandes propagiert werden.
1935 gab die Landesstelle Thüringen der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands den Bau des sogenannten Ärztehauses in Auftrag. Der Begriff „Ärztehaus“ führt in die Irre: Hier wurden keine Patient:innen behandelt. Das Gebäude diente vielmehr als Schaltzentrale der gesundheitspolitischen Verwaltung.
Alle im sogenannten Ärztehaus ansässigen Institutionen wirkten daran mit, verfolgte und als unerwünscht geltende Personen aus medizinischen Berufen und allen Bereichen des alltäglichen Lebens zu verdrängen. Dies betraf insbesondere Jüdinnen und Juden oder Akteure, die man als politisch oppositionell ansah.
Gesundheitsbehörden waren tief in die Krankenmorde und andere Menschheitsverbrechen NS-Deutschlands verstrickt.
Umstrukturierung der ärztlichen Standes- und Gesundheitspolitik im NS
Die Kassenärztliche Vereinigungen haben ihre Wurzeln in der Zeit der Weimarer Republik. Wie auch heute noch, waren sie in ihrer Gründungszeit und während des Nationalsozialismus hauptsächlich dafür zuständig, Verträge zwischen Kassenärzt:innen und Krankenkassen auszuhandeln. Ab 1933 ergriff die Kassenärztliche Vereinigung Deutschland bei der Neuordnung der ärztlichen Standes- und Gesundheitspolitik eine führende Rolle und erlangte schrittweise die Kontrolle über den gesamten ärztlichen Berufsstand. Sie konnte zum Beispiel über Kassenzulassungen sowie über deren Entzug entscheiden.
Schrittweise Entrechtung
Im Zuge der nationalsozialistischen Ausschaltungs- und Verfolgungspolitik ermittelte die KVD persönliche Daten von Ärzt:innen und leitete sie an andere Behörden weiter. Seit dem Frühjahr 1933 entzog sie den als nicht-arisch oder politisch oppositionell geltenden Ärzt:innen nach und nach den Kassensitz. Unter anderem auf Basis des sogenannten „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufbeamtentums“ betrieb sie Entlassungen von Angestellten im Gesundheitswesen, die durch das Regime verfolgt wurden oder als oppositionell galten. Im Juli 1938 entzog sie jüdischen Ärzt:innen die Approbation, nur Zahnärzt:innen durften noch ein Jahr länger praktizieren.
Das Gebäude als Medium nationalsozialistischer Politik
„Ärztehäuser“ erfüllten eine propagandistische Funktion im Nationalsozialismus. In ihrem Namen entwickelte die NS-Ärzteschaft die Vorstellungen, die sie gesamtgesellschaftlich durchsetzen wollten: Sie strebte ein Gesundheitswesen an, das jüdische, oppositionelle und anderweitig von Diskriminierung und Gewalt betroffene Mediziner:innen konsequent ausschloss. In „Ärztehäusern“ wurde Gesundheit zur „völkischen“ Pflicht umgedeutet.
Diese Politik führte dazu, dass Menschen, die aus rassistischen oder gesundheitlichen Gründen verfolgt wurden, keine angemessene Behandlung mehr erhielten. Im Gegenteil: Ihnen drohten Behandlungen gegen ihren Willen wie etwa Zwangssterilisierungen und sie fielen Krankenmorden zum Opfer.
Zeitstrahl
1933: Erstes »Ärztehaus Thüringen« in der Weimarer Südvorstadt
1935: Bauantrag Bauhausstraße 11, Errichtung ab 1936 — offizielle Einweihung des neuen »Ärztehauses Thüringen« im Januar 1937 durch Richard Rohde (»Führer der thüringischen Ärzteschaft« und Leiter fast aller ansässigen Dienststellen)
1945: Die Sowjetische Militäradministration und später die Kasernierte Volkspolizei nutzen das mittlerweile enteignete Gebäude — Die hier ansässigen NS- Institutionen werden aufgelöst — Die Straße heißt nun Erich-Weinert-Straße
1947: Nutzung durch das Landratsamt Weimar und 1950 kurzzeitig durch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS)
1950: Das Gebäude fungiert zunächst als SED-Bezirksparteischule und ab 1973 als FDJ-Sonderschule
ab 1990: Nutzung als Jugendgästehaus — dann schrittweise durch die neugegründete Kassenärztliche Vereinigung Thüringen (KVT) — das Gebäude wird modernisiert — Antrag auf Rückübertragung und vollständige Nutzung durch KVT – die Erich-Weinert-Straße wird in Bauhausstraße umbenannt
1997: Umzug der KVT an den Hospitalgraben — Vermietung an die Bauhaus-Universität Weimar
2018: Gründung der Initiative »Glasfenster in der Bauhausstraße 11« — Forschungsseminar zur Geschichte des Hauses — Intervention und Ausstellung im Haus — Start des Forschungs- und Vermittlungsprojektes »die Geschichte der Bauhausstraße 11«
2024: Abschluss des Forschungsprojektes — Sanierung und Erweiterung des Gebäudes — Einrichtung der Ausstellung zur Geschichte des Hauses
Der Eingangsbereich war zur Zeit des Nationalsozialismus als sogenannte »Ehrenhalle« konzipiert und durch Kunstwerke dramatisch inszeniert.
Die Kassenärztliche Vereinigung Deutschlands (KVD) legte großen Wert auf die künstlerische Ausstattung des Gebäudes. Sie beauftragte Künstler, die im National- sozialismus erfolgreich waren oder mit der Weimarer Kunsthochschule in Verbindung standen.
Aber auch ein von Verfolgung betroffener Künstler konnte sich einen Auftrag für das Gebäude sichern.
Soldaten- und Heldentoddarstellungen, Feuerschale, Hitlerbüste: Die »Ehrenhalle« war ein Ort kultischer Inszenierung. Sie drückte architektonisch die diskriminierende Vorstellung von »Volksgesundheit« aus. Das soldatische, maskuline Hegemonialdenken und die Mystifizierung eines »guten Todes« – im Sinne eines »Opfers« für die Volksgemeinschaft – standen darin über dem Prinzip des Helfens und Heilens.
Von der ursprünglichen Gestaltung der »Ehrenhalle« ist heute nicht mehr viel zu sehen.
Unter der gegenwärtigen Farbfassung sind jedoch noch heute Spuren der damaligen Gestaltung zu finden. So entdeckten restauratorische Untersuchungen die vielfache ornamentale Wiederholung der sogenannten Elhaz-Rune.
Der Weg zum Erinnerungsort
Seit 2018 setzen sich Wissenschaftler:innen und Studierende mit der Geschichte des Gebäudes auseinander, nachdem es in den 1990er-Jahren bauhistorisch erforscht worden war. Im Rahmen künstlerischer Interventionen und einer Lehrveranstaltung 2019/20 beschäftigten sie sich mit der Bedeutung des Hauses in Vergangenheit und Gegenwart. Im Jahr 2021 mündeten diese Vorarbeiten in das von der KVT geförderte Forschungsprojekt
»Die Geschichte der Bauhausstraße 11« an der Fakultät Medien sowie der Fakultät Architektur und Urbanistik der Bauhaus-Universität Weimar.
Die Treppenhausfenster umfassen 48 Scheiben aus Antikglas, die durch Bleiruten miteinander verbunden sind. Wie eine schwarze Naht ziehen sie sich durch das Glasensemble. Die abgebildeten Motive ergeben eine symbolhafte Collage.
Die Entwürfe stammen von dem Bildhauer und Glasmaler Paul Birr. Die Ausführung der Glasfenster oblag der Weimarer Glasmalereifirma Ernst Kraus. Die thüringische NS-Ärzteschaft spendete für die Glasfenster rund 2000 Reichsmark.
Die Darstellungen der Fensterfront zeigen deutlich den historischen Entstehungskontext – sie bildeten den Ausgangspunkt für die Aufarbeitung der Geschichte des gesamten Gebäudes.
Symbole aus Mythologie und Geschichte:
Medizin sollte während des National- sozialismus alle Bereiche der Gesellschaft durchdringen. Viele der nationalsozialistischen Verbrechen sind mit medizinischen Praktiken verknüpft. Dieses Politikfeld wird in der Fenstergestaltung erzählerisch und ästhetisierend begründet. Das Konzept verbindet Widersprüche und Paradoxien wie »völkische Heilkunst« und moderne Wissenschaftlichkeit miteinander. Die Motive bringen eine nationalsozialistische Biopolitik zum Ausdruck. Viele von ihnen beziehen sich auf die nordische Mythologie, das Mittelalter oder vermeintlich bäuerliche Traditionen »gesunder Siedlung«. Referenzen auf die Antike oder die wissenschaftliche Moderne ergänzen die Darstellung, die zudem vermeintlich lebenszyklische Themen wie Mutterschaft, Jugend, Arbeit, Tatkraft, Krankheit, Heilung, Alter, Tod anspricht.
Bäuerliche Siedlung: Die idealisierte bäuerliche Klein- siedlung verkörperte zentrale Werte des Nationalsozialismus. Dazu gehörten harte Arbeit und die Teilnahme an der »Volksgemeinschaft«. Das in den Fensterbildern skizzierte Leben entsprach nicht der Realität in ländlichen Räumen. Bauernhöfe wurden systematisch in die Kriegsvorbereitung einbezogen und Landwirtschaft diente als zentrale Säule des Systems. Dass Siedlung und Bauerntum hier mit Gesundheit verbunden werden, verweist auch auf die Blut-und-Boden- Ideologie des Nationalsozialismus.
Schwangere Frau: Die NS-Geschlechterpolitik überhöhte Familiengründung und Fortpflanzung zur »völkischen« Pflicht der Frauen. Deutlich wird dies an der Kontrolle von Schwangerschaftsabbrüchen: Nicht-verfolgten Frauen wurde ein solcher Eingriff prinzipiell verwehrt. Ärzt:innen drängten wiederum zwangs- arbeitende, jüdische und rassistisch verfolgte Frauen zu Abtreibungen, wobei häufig eine Zwangssterilisierung durchgeführt wurde. Daran waren auch hier ansässige Institutionen beteiligt.
Runen und geometrischer Körper: Die Runen verkörpern »Vidar«, eine Figur aus der nordischen Mythologie. Vidar wurde im Nationalsozialismus als Helden- und Rachefigur gedeutet. Eine ähnlich Funktion erfüllt der zwölfseitige geometrische Körper, ein Dodekaeder. Seine Lichtmythologie verweist auf esoterische Seiten des Nationalsozialismus. Noch heute nutzen verschiedene Gruppierungen Runen, sei es unkritisch oder bewusst – etwa in rechten Bewegungen –, um sich auf Mythen und damit auf vermeintlich »germanische« Traditionen zu berufen.
Historisierende Motive: Die historisierenden Bezüge sollen eine Kontinuität von der Antike bis hin zur nationalsozialistischen Gegenwart behaupten. Dadurch wird die Vorstellung nahegelegt, bestimmte kulturelle und soziale Werte seien schon seit jeher existent und daher ewig gültig. Die politische Aneignung von Geschichte kommt in verschiedenen Motiven zum Ausdruck.
n diesem Raum befand sich die Kantine des »Ärztehaus Thüringen«, das 1937 als Sitz der Thüringer Medizinverwaltung eingeweiht wurde. Wie im gesamten Gebäude legte die Kassenärztliche Vereinigung Deutschlands als Bauherrin großen Wert auf die Gestaltung dieses Raumes.
Den Fußboden ließ sie mit Holzparkett veredeln, die Wände mit Holz verkleiden und die Deckenbalken von Hand bemalen. An der Raumgestaltung beteiligten sich ähnlich wie im Foyer damals namhafte Künstler. Der Holzbildhauer Hans Kämpfe hatte einige Jahre zuvor noch am Staatlichen Bauhaus unterrichtet. Jürgen Wegener, der die Decke gestaltete, kam 1930 an die Hochschule in Weimar und unterrichtete dort Wandmalerei. Die Holzdeckenbalken und die Treppenhausfenster zeugen noch heute von der zentralen Rolle, die Kunst für die Selbstdarstellung der Ärzteschaft und die Gesundheitsverwaltung im Nationalsozialismus spielte. Die zuweilen harmlos wirkenden Gestaltungselemente sind Teil nationalsozialistisch ästhetisierter Ideologie.
Deutlich wird dies am Schriftzeichen ᛉ. Dabei handelt es sich um die Aneignung eines Runenzeichens, das im Nationalsozialismus umgedeutet wurde, um vermeintlich germanische Wurzeln zu imitieren. Viele NS-Massenorganisationen im Bereich der propagierten »Volksgesundheit« nutzten dieses Zeichen, die sogenannte Elhaz-Rune. Als Symbol wurde es zum Beispiel auch im Apothekenwesen vereinnahmt. Außerdem findet es sich auf Dokumenten, die NS-Verbrechen dokumentieren, da es benutzt wurde, um Geburts- und Sterbedaten zu kennzeichnen.
In der Marienstraße 13 und 15 war von 1935 bis 1945 das Thüringische Landesamt für Rassewesen ansässig. Hier wurde die Bevölkerung Thüringens nach rassenideologischen Kriterien erfasst und kontrolliert. Zwangssterilisierungen und Morde an Behinderten sowie Kranken wurden durch die wissenschaftliche Arbeit des Landesamtes vorgeblich legitimiert.
Das Landesamt für Rassewesen war tief in nationalsozialistische Verbrechen verstrickt.
Das Landesamt für Rassewesen war sowohl eine Behörde des Landes Thüringen als auch ein wissenschaftliches Institut der Jenaer Universität. Das Institut in Jena hatte die Aufgabe, das Landesamt in rassepolitischen Belangen zu beraten und wissenschaftlich zu unterstützen. Weitere Abteilungen waren zum Beispiel die kriminalbiologische und die psychiatrische Sammelstelle.
Die Akteure
Das Landesamt wurde am 15. Juli 1933 in der Weimarer Brennerstraße gegründet. 1935 wurde es vergrößert und zog in die Marienstraße. Zunächst verfügte es über ein Budget von 12.800 Reichsmark. Sechs Jahre später waren es fast zwei Millionen Reichsmark. Zu dieser Zeit arbeiteten hier 42 Personen.
Der Direktor war Karl Astel, ein nationalsozialistischer Sportarzt aus Schweinfurt. Er war seit 1934 Mitglied der SS, ein Vertrauter des Thüringer Gauleiters Fritz Sauckel sowie von SS-Chef Heinrich Himmler. Er vertrat die Meinung, dass Menschen mit Krankheiten und Behinderungen aus der „Volkgemeinschaft“ auszuschließen sind.
Weitere Mitarbeiter:innen im Landesamt waren unter anderem Lothar Stengel-von Rutkowski, der das Institut in Jena leitete, Fritz Carl Nikolai, Werner Neuert, Hein Schröder, Heinz Brücher und die bekannte Statistikerin Erna Weber. Der spätere Standortarzt des KZ Auschwitz Eduard Wirths absolvierte hier 1936 ein Praktikum.
Astel und Stengel-von Rutkowski waren ehrenamtliche Richter an sogenannten Erbgesundheitsgerichten, die willkürlich über die Zulässigkeit von Eheschließung und über Zwangssterilisierungen entschieden. Die rechtliche Grundlage lieferte das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, das 1934 in Kraft trat.
Insgesamt wurden bis 1945 in Thüringen etwa 16.000 Personen gegen ihren Willen unfruchtbar gemacht.
Der Mord an Erika Haase
Erika Haase kam 1936 in Weimar zur Welt. Sie war die uneheliche Tochter einer jüdischen Mutter. Unmittelbar nachdem sie geboren wurde, kam Erika zur Familie Schölzel in der Karlstraße. Die neue Pflegefamilie galt dem nationalsozialistischen Verständnis nach als „arisch“.
Schon als Erika zwei Jahre alt war, widmete sich das Landesamt für Rassewesen dem Fall. In einem Gutachten erläutere die Behörde, weshalb Erika nicht in der Pflegefamilie bleiben durfte. Die Argumentation stützt sich auf dabei auf rassistische Allgemeinplätze, Vermutungen und Unterstellungen. Das Landesamt hält dem kleinen Mädchen eine vermeintlich „ungünstige Erbprognose“ vor – ein ohnehin willkürliches Urteil.
Die Behörden suchten nun nach einer Familie, die in den Augen des Landesamtes besser für Erika geeignet wäre. Damit war eine Familie mit ebenfalls jüdischen Wurzeln gemeint. Da dies nicht gelang, blieb Erika bei der Familie Schölzel. 1942 wurde sie eingeschult.
1944 endete die Stigmatisierung und Verfolgung des mittlerweile achtjährigen Mädchens in ihrer Ermordung. Sie wurde in die Tötungsanstalt Hadamar verschleppt. Das Pflegepersonal der Anstalt ermordete Erika Ende März 1944 mit einer Überdosis Medikamente.
Das Landesamt war durch seine bürokratische Tätigkeit an diesem Mord – wie an Tausenden anderen – unmittelbar beteiligt.
Die Gebäude
Wie die meisten Gebäude in der Straße entstammen die beiden klassizistischen Wohnhäuser aus dem frühen 19. Jahrhundert.
Die Marienstraße 13 gehörte seit 1920 dem Land Thüringen und wurde durch verschiedene Landesbehörden genutzt. Zunächst diente das gebäude als Sitz des Rassepolitischen Amtes der NSDAP, also einer Parteigliederung. Ab 1936 nutzte das Landesamt für Rassewesen dort ebenfalls einige Büroräume.
Die Marienstraße 15 war das Wohnhaus der Familie von Conta, deren Mitglieder in Weimar einflussreich und geschätzt waren. Sie vermieteten ab 1935 Räume an das Thüringische Landesamt für Rassewesen und profitierten so finanziell von der menschenverachtenden Forschung.
Das Gebäude wurde nach den Wünschen des Landesamtes umgebaut. Im inzwischen abgerissenen Hintergebäude wurde die Propaganda-Wanderausstellung »Thüringisches Rassewesen« aufbewahrt.
Seit den 1950er Jahren werden beide Gebäude durch die Hochschule, später die Universität genutzt.
Stadt der Rasse, Haus der Rasse
Im Zuge der Planungen für die monumentale Umgestaltung der Gauhauptstadt Weimar war auch ein sogenanntes „Haus der Rasse“ als neuer Sitz des Landesamtes vorgesehen. In diesem Gebäude waren neben Ausstellungsflächen Räumlichkeiten für ein rassehygienisches Aktenarchiv mit über einer Million Mappen geplant. Nach den Vorstellungen des Geschäftsführers des Landesamtes sollte aus der „Stadt der Klassik“ eine „Stadt der blutsmäßigen Grundlagen“ werden. Die Planungen kamen nicht zur Ausführung.
Das Gebiet entlang des Parks war bis Mitte des 19. Jahrhunderts noch ländlich geprägt. Mit dem Wachstum der Stadt entstanden hier immer mehr repräsentative Villen; darunter ist auch die heutige Belvederer Allee 6 im Jahr 1862. Friedrich Fleischer und Jenny Fleischer-Alt erwarben die Villa im Jahr 1900 und bauten sie nach ihren Bedürfnissen um.
Die Opernsängerin Jenny Alt (geboren 1963 in Preßburg/Bratislava) kam 1885 nach Weimar. Als Tochter eines jüdischen Arztes konvertierte sie noch im Jugendalter zum Christentum. 1890 wurde sie zur „Großherzoglichem Kammersängerin“ ernannt. Sie war in dieser Zeit eine gefeierte Sängerin in Weimar.
1891 heiratete sie den Genre- und Portraitmaler und Professor an der Malschule Friedrich Fleischer (geboren 1861 in Breslau/Wrocław). Er entstammte einer jüdischen Familie und galt als Kritiker des Staatlichen Bauhaus in Weimar. Nach der Heirat zog sie sich von der Bühne zurück, begann aber 1919, an der Weimarer Musikhochschule Gesang zu unterrichten.
Der Musiksalon in der Villa Fleischer-Alt war ein Treffpunkt des Weimarer Kulturbürgertums.
In den 1920er Jahren bekam sie zunehmend Antisemitismus im Kontext der erstarkenden Rechten in Thüringen zu spüren und beendete 1927 die Lehrtätigkeit.
Friedrich Fleischer starb 1938 im Alter von 76 Jahren. Jenny Fleischer-Alt blieb gemeinsam mit vier betagten Bediensteten im Haus wohnen. 1938 suchte ihre Schwester Ilka Gál mit ihrer 56-jährigen Tochter Edith in Weimar Zuflucht.
Ab 1939 begannen die Behörden, Jenny Fleischer-Alt schrittweise die Verfügung über ihr eigenes Vermögen zu entziehen. Das Gebäude musste zusammen mit dem Mobiliar registriert werden. Sie erhielt monatlich nur Zugriff auf spärliche Summen, mit denen sie den Haushalt führen muss. Die Zahlungen wurden schrittweise verkleinert. Im April 1939 erließ die NS-Regierung das „Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden“. Damit konnten Jüdinnen und Juden ihren Wohnort nicht mehr frei wählen.
Das Haus in der Belvederer Allee 6 wurde 1940 zum jüdischen Zwangsraum.
Die lokalen Behörden wiesen nun zwangsweise jüdische Personen aus Weimar in das Haus ein. 1940 betraf dies Käthe Friedländer und Martha Kreiß, 1941 musste der Cellist Eduard Rosé einziehen. Für ein Jahr lebten nun also bis zu zehn Personen im Haus, die der Willkür der Gestapo und anderer Behörden ausgesetzt sind.
Aus Angst vor weiteren Repressionen und Erniedrigungen und im Angesicht der für Mai bereits angekündigten Deportation floh Jenny Fleischer-Alt genau wie ihre Nichte Edith am 7. April 1942 in den Suizid.
Die Villa wurde geräumt: Käthe Friedländer starb im Ghetto Belzyce, Eduard Rosé in Theresienstadt und Martha Kreiß beging Selbstmord.
1942 wurde die Villa beschlagnahmt und das Mobiliar durch das Weimarer Finanzamt versteigert oder einbehalten.1943 richtete das städtische Krankenhaus im nunmehr enteigneten Gebäude eine Isolierstation ein und baute das Gebäude dementsprechend um. Wahrscheinlich seit 1954 wurde die Villa durch den VEB Talsperrenbau genutzt.
1979 zog die Sektion Marxismus-Leninismus in das Gebäude ein. Hier fanden obligatorische Kurse zur staatspolitischen Indoktrinierung der Studierenden statt. Nachdem diese Sektion bis 1992 abgewickelt worden war, sanierte man das Gebäude und übergab es der Hochschulverwaltung zur Nutzung.
1996 schuf die Künstlerin Marion Trimbuch-Mentges die Installation „Die Kauernde“, die sich mit der Geschichte des Gebäudes auseinandersetzt. Im Jahr 2000 folgte die Gedenktafel am Eingang und 2008 wurden die Stolpersteine vor dem Haus verlegt.
Sind Sie interessiert an einer vertieften Lektüre? Wir empfehlen den Band Auf dem Weg zum Erinnerungsort – das Gebäude der NS-Medizinbürokratie in Weimar in der Digitalen Bibliothek Thüringen sowie als Druckexemplar zum Erwerb im Lucia-Verlag.
Zu allen drei Orten und zum Projekt siehe den Beitrag von Jannik Noeske: Die Bauhaus-Universität Weimar – eine Erinnerungstopographie im Werden. (Achtung! – Erscheint vsl. erst 2025)
Allgemein:
Zur Bauhausstraße 11:
Zum Landesamt für Rassewesen:
Zur Belvederer Allee 6
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