Im Sommer 2017 sendete der »SAVVY Funk« aus der Berliner Galerie SAVVY Contemporary. Das dreiwöchige Künstlerradio wurde im Rahmen des öffentlichen Radios »Every Time I Ear di Soun« der »documenta 14« ausgestrahlt. Studierende der Bauhaus-Universität Weimar unterstützten die beteiligten Künstlerinnen und Künstler beim Sendebetrieb.
von Maximilian Netter
Fotos: Mathias Völzke, Michael Nast
Ich stehe in einer provisorischen Studiobox. In der rechten Hand halte ich eine Tonangel, in der linken ein paar zusammenkopierte Seiten Text. Corinna Thamm, Studierende der Mediengestaltung, sitzt hinter dem Mischpult und pegelt die Mikrofone ein. Die letzte Woche »SAVVY Funk«, der Berliner Ableger des öffentlichen Radios der »documenta 14«, hat begonnen. In einer improvisierten Probe zu seiner späteren Sendung »Intermission Transmission Temporal« lässt der Künstler Leo Asemota einen Text des antiken Satirikers Lukian vortragen. Seine Schauspieler hat Leo vor der Sendung spontan aus den gerade Anwesenden rekrutiert.
Ich versuche zu erahnen, wer als nächstes sprechen wird, um rechtzeitig mit der Tonangel parat zu sein. Corinna Thamm kann nur mühsam den Lautstärkepegel unter Kontrolle halten. Von draußen dringen Geräusche durch die dünnen Wände der Studiobox. Das Nachrichten-Team trifft letzte Vorbereitungen, die Wetter-Crew sitzt hinter den Laptops und ein Student baut lautstark das Setup für die kommende Sendung auf. Obwohl alles improvisiert ist, halten wir die Sendung zusammen.
Dann ist die halbe Stunde auch schon vorbei. Leo bedankt sich bei seinen Schauspielern, Corinna spielt den Jingle des »SAVVY Funk« ab und schaltet die Mikrofone aus. Als wir die stickige Studiobox verlassen, applaudieren die anwesenden Künstlerinnen, Künstler, Studierenden und Gäste. Sie haben alle zugehört. Wir selbst haben davon nichts mitbekommen, so konzentriert war die Stimmung im Studio.
Lukians Text, die Geschichte, die Leo für die Sendung herausgesucht hat, handelt von einer Überfahrt ins Totenreich. Bevor die Passagiere an Bord gehen können, müssen sie ihren weltlichen Besitz zurücklassen. Sonst würde das Boot untergehen. Im Reich der Toten haben diese Dinge sowieso keinen Wert.
Vielleicht passt diese kleine, simple Geschichte metaphorisch nicht nur auf das Schicksal der ungefähr 60 Millionen Flüchtlinge, die heute weltweit auf der Suche nach einem besseren Leben sind. Vielleicht steht sie sinnbildlich für den Anspruch, den dieses Radioprojekt und auch die »documenta 14« an sich selbst stellen: die Notwendigkeit, gedanklichen Ballast abzuwerfen, in einer sich verändernden Welt; die Notwendigkeit, Vorurteile, Rituale und Hierarchien abzulegen, sie einzutauschen gegen eine neue, unverstellte Perspektive auf das Andere, das Unbekannte und die so unsicher erscheinende Gegenwart.
»SAVVY Funk« forderte diese Offenheit jedenfalls in allen Bereichen ein. Die Studierenden, die alle aus dem Umfeld des Experimentellen Radios von Prof. Nathalie Singer stammen, mussten in ungewohnter Umgebung und mit kurzer Vorbereitungszeit ein dreiwöchiges Live-Programm stemmen. Sie hatten es mit Künstlern zu tun, die teilweise kaum Radioerfahrung besaßen und oft noch nervöser waren als sie selbst.
»SAVVY Funk«, das waren 22 Tage organisiertes Radio-Chaos: misslungene Übergänge, übersteuerte Mikrofone und kaputte Plattenspieler, verpasste Einsätze und springende CDs. »SAVVY Funk« war oft anstrengend und langweilig, selbstgefällig und albern, hielt aber immer besondere Momente bereit.
»SAVVY Funk« war der Applaus nach Leos kleiner Schauspielprobe. Es war der ältere Herr, der nach dem letzten Sendetag vorbeikam, um sich den Namen einer Künstlerin zu notieren. »SAVVY Funk« war der Kurator, der ständig mit Stöpsel im Ohr durch die Gegend lief, um ja nichts zu verpassen, weder gesungene Nachrichten noch Liebesgeschichten über das Wetter. »SAVVY Funk« waren Nasenflötenorchester, Glühlampenmusik sowie Künstlerinnen und Künstler, die sich überschwänglich bei den Studierenden für ihren Einsatz bedankten, ihnen Kaffee hinter das Mischpult brachten oder sie auf ein Bier einluden.
»SAVVY Funk« war Radio für Menschen, die bereit waren, ihre Gewohnheiten beim Machen und Hören zurückzulassen. Sie wagten sich vor in eine Welt aus Improvisation, Fehlern, Lärm und Poesie. Wir waren nicht einladend oder einfach, haben niemanden abgeholt. Wir umarmten aber alle herzlich, die bereit waren, sich auf dieses Experiment einzulassen.
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