Internationales Studentenprojekt

Das Bauhaus im Ural

Denkmalpflegerischer Studentenworkshop engagiert sich für die Rettung eines Bauhaus-Baus in Jekaterinburg/Russland


Seit 2007 existiert ein russisch-deutsches Netzwerk zur Erhaltung der bedrohten Architekturmoderne der 1920er und 30er Jahre im Ural. Zu ihm gehört neben der Uraler Akademie für Architektur und Kunst, dem Bauhaus-Archiv in Berlin und der Rosa-Luxemburg-Stiftung die Professur Denkmalpflege und Baugeschichte der Bauhaus-Universität. Unter fachlicher Anleitung von Larissa Schaschkina und Dr.-Ing. Mark Escherich beschäftigten sich im August 2008 russische und deutsche Architekturstudenten gemeinsam mit Problemen der Bewahrung von Architektur des sowjetischen Konstruktivismus im Allgemeinen und speziell mit dem einstigen Großküchen- und Kantinenkomplex der Wohnstadt des Uralmasch-Werkes in Jekaterinburg.



Der konstruktivistische Gebäudekomplex "Fabrika Kuchnja - Torgovnj Korpus" steht beispielhaft dafür, dass in den frühen 1930er Jahren mehr als 30 Bauhaus-Absolventen und -lehrer in die Sowjetunion übergesiedelt waren, um sich im sozialistischen Aufbau - an gewaltigen Industrialisierungsprojekten - zu engagieren. In Jekaterinburg entstand im Rahmen des ersten Fünfjahrplanes (1928-33) das riesige Maschinenbaukombinat "Uralmasch"; gewissermaßen aus dem Nichts. Erst zeitversetzt begann der Bau der Wohnstadt (Sozgorod), die an die Stelle von Hunderten Barackenunterkünften treten sollte. Während das erste Bauteil des Großküchenkomplexes 1929 bis 1932 nach Plänen sowjetischer Architekten errichtet wurde, entstand 1933 bis 1935 das zweite unter maßgeblicher Beteiligung des Bauhaus-Schülers Bela Scheffler, der 1930 mit der Bauhaus-Brigade Hannes Meyers in die Sowjetunion gegangen war.



Das Ziel von Workshop und nachfolgender Weiterbearbeitung im Rahmen zweier BA-Thesis-Arbeiten ergab sich direkt aus der aktuellen Gefährdung des Gebäudekomplexes. Weder dessen Geschichte ist gebührend erforscht, noch wurde bisher behördlicherseits der Denkmalstatus anerkannt. Beim Eigentümer dominiert das immobilienwirtschaftliche Interesse (am günstig gelegenen Grundstück im Zentrumsbereich der Sozgorod).
Neben der Dokumentation und Analyse des Baubestandes ging es also um eine präzise Begründung des Denkmalwertes sowie um fundierte Ideenansätze für eine langfristige Erhaltung des früheren Großküchen- und Kantinenkomplexes. Anspruchvoll war das Unterfangen auch aufgrund des 'fremden' Kulturraumes, in dem die deutschen Teilnehmer agierten, wobei sich hier die enge Zusammenarbeit der Studierenden mit ihren russischen Kommilitonen als überaus fruchtbar erwies. Bauhistoriografische Quellen im Archiv oder im Museum auszuwerten war trotzdem nur sehr eingeschränkt möglich, weil der Workshop neben all der großartigen Unterstützung, die ihm v. a. von den Projektpartnern zu Teil wurde, von Privaten, wie Behörden vor Ort auch beargwöhnt wurde.
Entsprechend war von den Betreuern auf die Analyse und den Erkenntnisgewinn am Gebauten selbst fokussiert worden. Auch wenn Bauarchäologie an solch junger, gerade achtzigjähriger Architektur zur fragwürdigen Sisyphosarbeit geraten kann, fand sie hier einen dankbaren Gegenstand: Die beiden, im Abstand von drei Jahren errichteten, Ursprungsbauteile wurden vielfach sich wandelnden funktionalen und ästhetischen Anforderungen angepasst. Schließlich ließ sich auch der nutzungsmäßige Wandel vom Großküchenkomplex zum Kulturhaus der Sozgorod rekonstruieren und in die Bautypologien des sowjetischen Konstruktivismus einordnen. All dies sowie die Argumentation der Projektgruppe für den Denkmalstatus flossen in eine in der Jekaterinburger Partnerhochschule gezeigte Tafelausstellung ein.  

Schon früh war den Beteiligten aber auch klar geworden, dass mit dem Denkmalstatus allein die Fortexistenz des Gebäudes nicht gesichert ist, dass also über klassische Vermittlungsformen hinausgehende Erklärungsarbeit geleistet werden müsste, um idealerweise möglichst weite Teile der Stadtgesellschaft für die kulturhistorische Bedeutung dieses spröden Erbes zu sensibilisieren. Der gesellschaftlichen Aneignung dieses Architekturdenkmals stehen allerdings weitreichende Veränderungen der postsowjetischen Zeit, hauptsächlich die Nutzung betreffend, entgegen. Einst als ein räumlicher Organismus der "materiellen und kulturellen Versorgung" konzipiert, ist der Komplex heute - entsprechende der vielen Nutzungseinheiten - baulich wie wahrnehmungsmäßig fragmentiert. Seit Jahren existiert bei den Bewohnern des Stadtteils kein gemeinsamen Begriff mehr für das Haus. Der pragmatische Gebrauch findet bezeichnenderweise nicht an den früher bedeutenden und anspruchvoll gestalteten Orten statt: Die opulente Flachdachterrasse beispielsweise, einst als Café und Sonnenbad genutzt und somit Sinnbild der Segnungen der Moderne, oder der große Theatersaal liegen brach.



Für Russland eher ungewöhnlich war die Idee das Gebäude selbst in den Mittelpunkt einer zweiten Projektpräsentation zu stellen, die das Format eines szenischen Rundgangs hatte und zu der neben Pressevertretern die Bewohner des Stadtteils geladen wurden. Sternstunden der Geschichte des Kulturhauses, die Qualität der Innenarchitektur und brachliegende Potentiale wurden z. B. thematisiert: Teile der funktionslos gewordenen Theater-Bestuhlung fanden sich im Freien (auf dem Vorplatz des Haupteingangs) wieder, im Gebäude aufgefundene Objekte wurden zu Installationen verarbeitet, Geräusche hinter verschlossenen Türen verwiesen auf ehemalige Nutzungen und selbst das Mittagsbuffett im Treppenhaus geriet - gemessen an russischen Verhältnissen - zu einer subtilen Inszenierung denkmalwerter Innenräume. Höhepunkt war die kurzzeitige Reaktivierung des 1937 neoklassizistisch ausdekorierten, heute weitgehend heruntergekommenen Theatersaals. Die seit ihrer Jugend mit dem Kulturhaus verbundene 46-jährige Opernsängerin Tatjana Uwarowa, ließ sich zu einem fünfzehnminütigen Auftritt überreden. Das Ganze wurde zu einem sinnlich-fröhlichen Bekenntnis zur Zukunft des Gebäudes.

 
 

Auch wenn sich die tatsächlichen Auswirkungen solcher oder ähnlicher Vermittlungsprojekte nicht beziffern lassen, war man sich einig darüber, wie unverzichtbar diese für die Erhaltung gerade der Denkmale der Moderne sind. Die besondere Herausforderung besteht hier, neben technischen Fährnissen, in dem für die Allgemeinheit großen formalen Abstand zu dem, was herkömmlich mit Baudenkmalen assoziiert wird. Mehr denn je hat die Denkmalpflege-Disziplin hier die Aufgabe des Erklärens. Den Formaten hierfür scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein. Eine Fortführung des Gemeinschaftsprojektes mit einem weiteren Ural-Workshop ist für 2009, das Bauhaus-Jubiläumsjahr, geplant.

Dr.-Ing. Mark Escherich