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Anton Brokow-Loga. Foto: Matthias Eckert; Bearbeitung: Marit Haferkamp, Newsteam.
Published: 09 December 2024

BAUHAUS.INSIGHTS: Zwischen Tradition und Wandel – Wie Studierende neue Ideen für den ländlichen Raum entwickeln

Mangel an sozialer Daseinsvorsorge, Überalterung und Schrumpfung von Gemeinden, Auswirkungen des Klimawandels, Vertrauensverlust in die Demokratie – der Thüringer Wald sieht sich vielfältigen Herausforderungen gegenüber. Doch zugleich eröffnen sich durch den ökologischen und sozialen Wandel neue Chancen. Was braucht es also, um die Region nachhaltig für kommende Generationen zu transformieren?

Das Projekt »Räume in Transformation Thüringen« (RiTT), das vom Institut für Europäische Urbanistik (IfEU) an der Bauhaus-Universität Weimar ins Leben gerufen wurde, konzentriert sich auf die Entwicklung innovativer Konzepte für eine nachhaltige und gerechte Raumplanung im Thüringer Wald. Studierende und Lehrende der Fakultät Architektur und Urbanistik arbeiten eng mit Akteuren vor Ort zusammen, um konkrete Lösungen zu erarbeiten. Nach einem ersten Dialog im November, bei dem Studierende einen Begegnungsraum in der Suhler Innenstadt eröffneten und Geschichten der Stadtgesellschaft gesammelt haben, sollen bis Juli 2025 Vorschläge und Entwürfe erarbeitet werden, die die spezifischen Bedürfnisse der Region berücksichtigen. Für unsere Reihe BAUHAUS.INSIGHTS haben wir mit Anton Brokow-Loga, Professur Sozialwissenschaftliche Stadtforschung, gesprochen, der gemeinsam mit Dr. Hendrik Sander das Projekt am Institut für Europäische Urbanistik (IfEU) koordiniert.

Herr Brokow-Loga, wie kam es dazu, dass Sie sich nun für ein Jahr mit dem Thüringer Wald beschäftigen?

Unser Verständnis der aktuellen räumlichen Umwälzungen und Transformationsprozesse ist noch immer unzureichend, was auch in den Gesprächen mit Kolleg*innen deutlich wurde. Besonders die Wechselwirkungen zwischen unseren Disziplinen – von der Denkmalpflege über Architektur und Planung bis hin zur Stadtsoziologie – interessierten uns. Es reizte uns daher, eine einzelne Region gewissermaßen auf Herz und Nieren zu überprüfen und mit all unseren disziplinären Perspektiven zu untersuchen. Der Thüringer Wald mit seiner reichen, aber wechselvollen Geschichte, seiner aufregenden Landschaft und besonderen Siedlungsstruktur bietet ideale Voraussetzungen, »Räume in Transformation« zu untersuchen. Zudem haben wir im Institut für Europäische Urbanistik im Thüringer Wald einige gute Kontakte und fachliche Beziehungen. Nicht zuletzt haben unsere Studierenden bereits in der Vergangenheit viel Enthusiasmus gezeigt, wenn es darum ging, die Region zu bereisen und sich intensiv mit ihren Besonderheiten auseinanderzusetzen. An diese Erfahrungen und Begegnungen wollen wir nun anknüpfen und neue Schwerpunkte setzen.

Anfang November waren Sie mit der Projektgruppe in Suhl und haben sich für zwei Tage in ein leerstehendes Ladengeschäft eingemietet, um mit Bürger*innen ins Gespräch zu kommen. Was haben Sie vor Ort erlebt?

Wir haben vor allem sehr viel erlebt (lacht). Im Erzähl-Café kamen Menschen aus der Nachbarschaft vorbei und teilten bei Spekulatius, Mandarinen und Punsch ihre Visionen für Stadtentwicklung und Zusammenleben vor Ort. Thematisiert wurde dabei häufig der Austausch zwischen den Generationen und die vielen Flächen zur Umnutzung. Wir waren uns nicht sicher, ob die Schilder vor der Tür und der Hinweis in der Zeitung ausreichen würden, um Menschen zum Kommen zu bewegen. Am Ende war es ein voller Erfolg.

Wir luden die Stadtgesellschaft auch zu mehreren Abendgesprächen ein. In einem an das Erzähl-Café anschließendes Podiumsgespräch »Thüringer Wald 2045« nahm die identitätsstiftende Bedeutung des umgebenden Waldes eine wichtige Rolle ein. Das Podium am Vorabend stand unter dem Titel »Engagiert vor Ort« und war geprägt von der Vielfalt der örtlichen Zivilgesellschaft. Gleichzeitig war jedoch auch der Ruf nach einer langfristigen Unterstützung der ehrenamtlichen Strukturen hörbar.

Die Woche am Topfmarkt in Suhl war ereignisreich und wird unseren Studierenden und mir lange im Gedächtnis bleiben. Wir konnten dort nicht nur Eindrücke gewinnen, sondern auch Kontakte knüpfen und unsere Forschungsfragen schärfen. Unverzichtbar war dafür nicht zuletzt auch die Zusammenarbeit mit meiner Kollegin Hannah Kordes sowie die universitäre Förderung unseres Projektverbunds im Rahmen des »NEB Regionallabors«, für die ich sehr dankbar bin.

Was haben Sie aus Ihrer Sicht bisher erreicht, welche Perspektiven haben sich für Ihre weitere Arbeit eröffnet?

Die Studierenden kamen sowohl im Begegnungsraum, den sie liebevoll »Topf 1« nannten, als auch in den Exkursionen mit Menschen aus Suhl, Zella-Mehlis und der Region ins Gespräch und lernten die Offenheit vor Ort schätzen. In den nächsten Wochen werden Forschungen zu einzelnen Themen durchgeführt und in Interviews die Details der sozial-ökologischen Transformation untersucht. Im Frühjahr 2025 werden die Studierenden zurückkommen und die Ergebnisse öffentlich präsentieren und zur Diskussion stellen.

Auch die zahlreichen anderen Projekte im RiTT-Verbund starten nun tiefer in die Forschungsarbeit vor Ort. So fragen Projekte beispielsweise nach den Infrastrukturen, mit denen ein gutes Ankommen von Migrant*innen in Kommunen des Thüringer Waldes gelingen kann. Andere Studierende forschen zu Kleinstädten im Klimawandel oder dem Tourismus im Wandel der Zeit. Ich freue mich schon auf die Erkenntnisse der Kolleg*innen und Studierenden – und ebenso sehr darauf, diese miteinander ins Verhältnis zu setzen. Dafür planen wir eine gemeinsame Publikation der Ergebnisse.

Bis Juli 2025 erarbeiten Sie Impulse, wie sich der Thüringer Wald entwickeln könnte: Können Sie uns vielleicht schon Ausblicke geben, in welche Richtung diese Entwicklung gehen könnte?

Zuallererst sind die Projekte Übungsräume für Studierende der Architektur und Urbanistik, in denen die realen Barrieren und Hemmnisse der sozial-ökologischen Transformation untersucht und eigene Vorschläge oder Entwürfe bearbeitet werden können. Nicht alle der Ergebnisse sind gesellschaftlich unumstritten oder können 1:1 von Planung oder Politik umgesetzt werden – was sie auch nicht sollen. Wir wollen hinhören, hinschauen und gewissermaßen auch als kritischer Spiegel fungieren.

Darüber hinaus ist uns wichtig, den Raum für den Diskurs über zukünftige Entwicklungen zu eröffnen. Mit den Forschungsergebnissen und Vorschlägen aus unseren Projekten wollen wir sowohl in der Fachdebatte als auch vor Ort Impulse setzen. Wir freuen uns schon jetzt auf diese Gespräche.

Herr Brokow-Loga, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Weitere Informationen zum Projekt unter: www.uni-weimar.de/ritt

Die BAUHAUS.INSIGHTS-Fragen zum Projekt »Räume in Transformation Thüringen« (RiTT) stellte Luise Ziegler.