Sommersemester 2010

Kursangebot Bachelor

 

ORGANIZATIONAL VENTURES II – Setting Up Shop: Producing the "Poststelle", Projektmodul, C.Hill

Uns geht es ums Geschäft! Aber was für ein Geschäft meinen wir eigentlich? Im Wintersemester haben wir uns im Projekt Organizational Ventures I damit befasst, welche Art eines funktionierenden Ladengeschäfts tatsächlich in der M5 installiert und betrieben werden könnte. Wir haben nach eingehender Recherchen und Diskussionen beschlossen, das zukünftige Kleingewerbe "Poststelle" zu nennen und es der analogen Tätigkeit des Schreibens (auf Papier!) zu widmen. Jetzt ist der Projektraum in eine betriebsfertige Poststelle umgewandelt worden – das Geschäft kann also bald eröffnen! Im Sommersemester setzen wir dieses System in Betrieb. Die grundlegende Idee – analoges Briefeschreiben – bleibt der Ausgangspunkt. Die bestehende, elementare Ladenstruktur wird um verschiedene thematische Events und performative Interventionen erweitert; und wöchentlich für einen regulären Betrieb geöffnet. Die ProjekteilnehmerInnen sind zugleich Produzenten, Arbeitskräfte, Kuratoren und Vertreter – während sie hinter der Theke stehen und ihre Kunden bedienen führen sie sie gleichzeitig durch das Projekt. Den Studierenden werden Aufgaben der Gestaltung, Implementation, Bekanntmachung und Aufführung einer Serie von öffentlichen Präsentationen übertragen, die aus der Poststelle heraus stattfinden. Was passiert im laufenden Betrieb? Was ist die Rolle der Person hinter der Theke? Welcher Beteiligung kann den Besuchern entlockt werden? Wie verwandelnund verschieben sich die Bestandteile die bestehende Raumsituation?

 

DINGFESTE FELDFORSCHUNG, Werkmodul, C.Hill; Anke Heelemann

Potenziell steckt hinter jedem Gegenstand eine Geschichte. Doch die Dinge bleiben stumm, sie zeigen nur. Die Dinge von Welt, die Dinge in der Welt, die eigenen und die fremden. Dinge suchen und finden, horten, aufheben und ordnen, sich in ihnen spiegeln und verlieren. In der dreiteiligen Workshopreihe "Dingfeste Feldforschung" soll es um das „Lesen“ von Dingen gehen. Am Beispiel von Objekten aus verschiedenen Zusammenhängen soll der Blick für Objekte des täglichen Bedarfs bis hin zu kleinen Heiligtümern geschärft werden. Wir beobachten, nehmen ernst, lassen uns leiten, stossen an, untersuchen, ordnen neu und vergleichen die Beziehung zwischen Mensch und Ding. Der Mensch definiert sich (auch/gerade) über die Dinge, die er besitzt, vorzeigen und benutzen kann. Kleine und große Dinge in Einrichtung, Kleidung, Haushalt, Büro usw.: die Art und Weise der Zusammenstellung der Dinge schaffen Bedeutungsbeziehungen mit der Umwelt und dem Individuum selbst. Auf wenigen Quadratmetern öffnet sich nicht weniger als eine Welt. Der Raum, die Dinge im Raum. Jedes Ding hat das Potential noch für etwas Anderes als das Ersichtliche zu stehen. Wie formt sich in diesem Zusammenhang Identität? Was erzählen uns die Dinge über den Besitzer? Neben zahlreichen Ding-Übungen und kleineren Exkursionen wird der zentrale Untersuchungsschwerpunkt während der "Dingfesten Feldforschung" eine Wohnung sein. Wir machen die Probe aufs Exempel: einen Hausbesuch. Ein experimenteller und improvisierter Umgang mit den Dingen ist gefordert, eine individuelle Ver- /Behandlung gefragt. Strategien der Bestandsaufnahme werden diskutiert und am Fallbeispiel erprobt. Ordnungsstrukturen und -muster erarbeitet. Inwieweit entsteht ein Bild des Abwesenden? Inwieweit führt ein Ding-Portrait zu einem individuellen Portrait eines Menschen? Erkenntnisgewinn garantiert! Ziel ist es am Ende der Workshopreihe eine kleine Präsentation der individuellen Ermittlungsarbeit zu erarbeiten.


USER MANUALS: Handlungsanweisungen zwischen Conceptual Art und IKEA, Werkmodul, F.Sattler

Die Benutzeranleitung ist ein unterschätztes Medium. Text, Piktogramme und andere Bilder gehen eine spezifische Verbindung ein, die komplexe technische Sachverhalte einfach und allgemeinverständlich vermitteln soll – nicht selten mit gegenteiligem Effekt. Die Bedienungsanleitung ist ein dramatisches Vorspiel, in dem das Verhältnis von Mensch und Maschine von vornherein zum Scheitern verurteilt wird, noch bevor eine Begegnung von Angesicht zu Interface überhaupt stattgefunden hat. Zwischen der Absicht der Verfasser, textuell-visuellen Ausdrucksformen und der Interpretation durch die Benutzer öffnet sich ein Spielraum, den Künstler und Designer immer wieder und mit vielfältigen Ansätzen besetzt haben. Die Einbeziehung der Aus- und Aufführenden von sogenannten „instruction pieces” ermöglicht einen Dialog von Produzenten und Rezipienten und bricht zugleich mit der Idee des einmaligen, d.h. auch einmalig verwertbaren Kunstwerks. Das Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit hat zugleich dazu geführt, dass das Interesse an identischer Wiederaufführung von performativen Werken zugunsten von differentieller Reproduktion geschwunden ist, die anstelle exakter Notation auf Regelwerke zurückgreifen. Schließlich hat IKEA eine Unternehmensphilosophie entworfen, die nicht nur Produktions- und Transportkosten entscheidend reduziert hat, sondern den Käufer als Benutzer und Macher gänzliche neu erfunden hat: Der Nimbus des Users steht und fällt mit dem Imbus!

Aufgabenstellung ist der Entwurf und die Umsetzung von jeweils drei Bedienungsanleitungen/Handlungsanweisungen pro Studierendem + einer Abschlussaufgabe und der Kursdokumentation. Die dazu notwendigen handwerklichen Fähigkeiten werden im Rahmen von Workshops (Adobe Illustrator und InDesign) vermittelt bzw. im Selbststudium weiter vertieft. Im Vordergrund stehen Entwurf und Layout von grafisch/typografischen Arbeiten, die am Ende als Printmedien (Buch, Poster, Postkarte, etc.) realisiert werden. Das theoretische Fundament besteht in der Auseinandersetzung mit aktuellen und historischen Beispielen von Handlungsweisungen und Bedienungsanleitungen im Grafikdesign und in der jüngeren Kunstgeschichte bzw.

Gegenwartskunst, z.B. Yoko Ono, John Cage, Lawrence Weiner. Ferner behandelt der Kurs die Herkunft und Merkmale piktogrammatischer Bildsprachen und grafische Statistik (z.B. Otto Neuraths Isotypen). Kursziel ist die Befähigung zu einer zeitgemäßen Gestaltung entsprechender Dokumente je nach individueller Neigung für das angewandte Grafikdesign oder als Teil einer konzeptkünstlerischen Strategie.


DIAL 8-2-6 for MULTIPLE, Werkmodul, F.Sattler

"At the same time, the volunteers at 826 Valencia began making their own products. Using toilet plungers and handkerchiefs, they made beautiful custom-fitted peg-legs. They packaged beard extensions, created specialoccasion eye patches, and created a line of planks for all weights and eventualities. Soon the store had its own aesthetic and even a certain mythology. The work was fun." (aus: Essentially Odd, Katalog der 826 Nationalstores)

"Dial 8-2-6 for Multiple" ist ein phantasievoller und intelligenter Ausflug in die Welt des alternativen Corporate Design. Dem Vorbild der 826 National stores folgend, entwerfen wir Produkte und Marken für den alltäglichen Bedarf von Superhelden, Meerjungfrauen, Riesenschildkröten und ähnlich bedürftige Zielgruppen.

Kursinhalte sind Entwurf und Umsetzung eines kleinen Produktsortiments in Einzel- oder Gruppenarbeit (ca. 3 Produktentwürfe als Übungen + ein in vollem Umfang realisierter Abschlussentwurf). Eine zentrale Rolle wird darin das Verpackungsdesign mit Logos, Typographie und anderen grafischen Elementen einnehmen. Begleitend finden Workshops in Adobe Illustrator und InDesign statt. Kursziel ist die Erlangung künstlerisch-gestalterischer Kompetenzen im Entwurf von (alternativen) Marken- und Produktidentitäten in Verbindung mit der Befähigung zur kritischen Reflexion über deren ökonomisch-ästhetische Funktions- und Wirkweisen. Im Kurs werden neben dem Produktsortiment der 826 National Stores wichtige Markenidentitäten aber auch künstlerische „Corporate Identities“ besprochen. Bestanteil des Kurses ist eine Exkursion in die Dauerausstellung des Museum der Dinge (Berlin).

Kursangebot Master

 

INVENTORY & DISPLAY: MNEMOSYNE, Fachmodul, F.Sattler

Ein wesentlicher Teil unseres kulturellen Gedächtnisses wird durch Bilder geprägt. Ob es sich dabei um die großen Themen kollektiven Gedenkens handelt, oder um individuelle, persönliche Erinnerungen, stets greifen wir auf einen großen Fundus überlieferter Bilder zurück. Gegenüber Texten bewahren sie sich eine größere interpretatorische Offenheit und unterlaufen die Beschränkungen bzw. Präfigurationen sprachlich-wissenschaftlicher Einordnungen. Aby Warburg hat ab 1924 mit dem Bilderatlas „Mnemosyne“ einen herausragenden Versuch unternommen, Kulturgeschichte nicht einfach als Bildergeschichte zu beschreiben, sondern durch Arrangements von Bildern bestimmte Zusammenhänge „ersichtlich“ zu machen. Denn (Re-)Konstruktion von bildlichen Erinnerungen ist selbst ein bildnerischer Prozess: nicht nur die Auswahl, sondern auch die Anordnung von Bildern schafft Bedeutung. Künstler haben immer wieder auf unterschiedlichste Bildarchive zurückgegriffen und alternative Interpretationen der Geschichte geschaffen. In der Vergangenheit stand die kritische Auseinandersetzung mit der Systematik der Wissenschaften im Vordergrund. Heute bieten die Algorithmen digitaler Bildarchive wie die Google Bildersuche oder Apples iPhoto neuen Anlass für eine Beschäftigung mit automatisierten Identifikations- und Klassifikationsprozessen, z.B. Gesichtserkennung und Geotagging.

Im Kurs werden wir uns intensiv mit der Entstehung und Bedeutung von Aby Warburgs Bilderatlas „Mnemosyne“ auseinandersetzen. Weiterhin werden wir mit Strategien und der Ästhetik der Erinnerungs- und Gedächtniskultur im Werk verschiedener Künstlerinnen und Künstler beschäftigen (Kurzreferate!), z.B. bei Emily Jacir, Christian Boltanski, Annette Messager, Walid Raad / The Atlas Group, Anselm Kiefer, Ilya und Emilia Kabakov, Gerhard Richter, Sarkis. Begleitend und vertiefend werden wir kurze(!) Ausschnitte aus maßgeblichen Texten zur Mnemosyne/Mnemotechnik diskutieren; diese Diskussionen finden als sog. „Meditationen“ als performative, nicht-wissenschaftliche Dialoge statt. Eine Exkursion ins Bildarchiv des Bundesarchivs in Koblenz ist ebenfalls Bestanteil des Kursangebots. 

Im Zentrum steht die Befähigung zur kritischen künstlerischen Auseinandersetzung mit der Herkunft und dem „Nachleben“ von Bildern, der Erzeugung bzw. Veränderung von Authentizität und Aussagen durch die unterschiedliche Zusammenstellungen von Bildern und der Gestaltung verschiedener Repräsentationsformen. Kursziel ist die Zusammenstellung eines eigenen Bilderatlas! Erwartet wird die engagierte Recherche nach Bildern aller Art -- dazu zählen auch und gerade Motive aus privaten, alltäglichen oder scheinbar trivialen Sammlungen. Die Produktion von fiktionalen Dokumenten („Fakes“) kann ebenfalls Teil dieser Strategie sein. Ein Schwerpunkt liegt auf der Entwicklung einer individuellen Systematik, die sich nicht zwingend durch Wissenschaftlichkeit aber durch intellektuellen Scharfsinn auszeichnen soll (Humor inbegriffen). Die Wahl des Mediums ist frei, der Atlas kann sowohl als Tafelwerk/Buch wie auch als Wand- oder Vitrineninstallation realisiert werden, elektronische Formate sind ebenfalls möglich. Format und Umfang werden individuell abgesprochen, der Atlas sollte jedoch mehrere Zusammenstellungen enthalten. Der Kurs mündet in eine öffentliche Präsentation zum mediengang, deren Planung und Realisation ebenfalls Bestandteil des Leistungsnachweis ist.

 

MFA COLLOQUIUM: ICE CREAM SOCIAL, Fachmodul, C.Hill;F.Sattler

Das unter der Bezeichnung "Soziale Praxis" zunehmend einflussreiche akademische und künstlerische Format stammt aus der Begriffsprägung der "Relational Art", wie sie 1993 zuerst von Nicolas Bourriaud formuliert wurde. Deren Grundannahme ist es, das künstlerische Praxis stärker in einer sozialen Intervention und/oder einem sozialen Kontext verankert ist, als in einem geschlossenen oder privaten System. Wir alle kennen das Klischee, dass bedeutende Abmachungen in der Geschäftswelt außerhalb offizieller Büroumgebungen getroffen werden (auf dem Golfplatz, in schicken privaten Clubs, etc.). In der Kunstwelt wird ein Großteil der Geschäfte an einigen der exklusivsten gesellschaftlichen Orte betrieben (Messen in Venedig, Miami, etc.) und wir alle wissen ein gelungenes Brainstormings zu schätzen, das bei einigen Bieren in der Stammkneipe stattfindet. Wo findet also Soziale Praxis statt und wie verändert sich der Diskurs wenn sich die Umgebung vom Offiziellen (Atelier, Universität) ins Informelle verlagert (Bar, Draußen)? Wo bzw. worin besteht die Arbeitsumgebung für eine/n arbeitende/n KünstlerIn? Dieses Kolloquium verweigert sich der Annahme, das an exklusiven Orten der einträglichste Austausch stattfindet, und konzentriert sich stärker auf die gewöhnlichen Ereignisse und den alltäglichen Austausch. Welches sind die produktiven Räume und Orte der Inspiration außerhalb der privaten Gefilde? Wir werden sie identifizieren, besuchen, dort diskutieren und sie benutzen.