In Briefkopierbüchern sind händisch oder maschinell erstellte Duplikate (Kopien, Abschriften, Blaupausen) von ein- und ausgegehender Korrespondenz verzeichnet. Gegenstand des Forschungsprojekts sind die mit solchen Objekten verknüpften Praktiken des Verzeichnens und Archivierens aus der Perspektive der beteiligten lebendigen und nichtlebendigen Akteure (Materialien, Maschinen, Abschreiber, Archivare, Editoren, Agenten von digitalen Infrastrukturen).
Der methodische Zugang ist der einer theoretisch fundierten, medien-, literatur- und philologiehistorischen Kulturtechnikforschung. In der Konzentration des Projekts auf das Genre der Briefkopierbücher lassen sich insbesondere die Operationalität und die Ästhetik von Abschriften und Kopien in ihrem Wechselverhältnis zum etablierten Medienformat des Buches bzw. des gebundenen Bandes beobachten. Dies wird am Beispiel von Briefkopierbüchern aus dem 18. bis 20. Jahrhundert untersucht und exemplarisch bis in die Medien der philologischen (auch digitalen) Editionen, sofern diese vollständig oder teilweise auf Briefkopierbüchern basieren, weiterverfolgt. Der Ansatz berücksichtigt sowohl die Diversität und Eigengesetzlichkeit von Kopier- und Abschreibesystemen in bürokratischen, künstlerischen und privaten Kontexten als auch die wechselseitige Beeinflussung dieser Kontexte. Die Eigengesetzlichkeit von Abschriften zu betonen, heißt, ihre Erforschung auch jenseits einer privilegierten Perspektiven auf Originale und schreibpraktische Normen zu betreiben, ohne dabei deren Relevanz zu ignorieren. Schreibanleitungsbücher, Briefsteller, Archivordnungen und Manuals werden vielmehr als formierende Optionen unter anderen in den jeweils konkreten Briefabschreibe- und Briefkopierprozessen betrachtet.
Über die traditionellen archivarischen Fragen nach Provenienz, dokumentarischem Gehalt und Zuverlässigkeit hinaus werden im Projekt insbesondere Frageketten aufgerufen, die eine Priorisierung im Sinne dieser Ordnungsmuster unterlaufen: Welche Spielräume der Abweichung und Erweiterung eröffnen Abschriften und Kopien? Welche Art von Ästhetik entfalten sie? In welcher Form bilden Abschriften und Kopien untereinander Verbünde in archivierenden Umgebungen? In welche diversifizierten Weisen der Existenz können sie sich aufspalten, unter welchen Bedingungen werden sie wieder zusammengeführt?
Das Forschungsprojekt besteht aus zwei Teilprojekten. Teilprojekt A erforscht die theorieproduktive Seite von Briefkopierbüchern mit Blick auf ihre Relevanz in epistolären Netzwerken, Teilprojekt B ihre philologische Produktivität sowie aktuelle und potentielle Relevanz in editorischen Netzwerken.
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