Foucault, digital
Bernhard J. Dotzler/Henning Schmidgen
Mitte der 1960er Jahre hat Michel Foucault die Methode der „Diskursanalyse“ in die Geistes- und Sozialwissenschaften eingeführt. Besonders in der Archäologie des Wissens hat er dafür plädiert, die Geschichte des Wissens und der Wissenschaften zum Gegenstand diskursanalytischer Untersuchungen zu machen. Über ein halbes Jahrhundert später ist im Bereich der Informatik ein zunehmendes Interesse an der Diskursanalyse zu verzeichnen. In der Regel spielt Foucault dabei aber keine Rolle. Fern von jeder Archäologie setzen auch die Digital Humanities vermehrt auf die Analyse von historischen und gegenwärtigen Diskursen. Angesichts dieser Konjunkturen ist es an der Zeit, die Archäologie des Wissens neu zu lesen. Denn schon 1968 behauptete der französische Historiker Emmanuel Le Roy Ladurie „Der zukünftige Historiker wird Programmierer sein, oder er wird nicht sein.“ Ein Jahr später gibt Foucault mit seinem Buch auf eben diese Herausforderung eine ebenso informierte wie nuancierte Antwort. Diese Antwort ist in ihrer Aktualität und Relevanz erst noch zu entdecken.
How blood met plastics, plant and animal extracts: Material encounters between medicine and industry in the twentieth century
Benjamin Prinz
Twentieth-century medicine saw the remarkable rise of complex machines and infrastructures to process blood for medical purposes, such as transfusion, dialysis, and cardiac surgery. Instead of attributing these developments to technological ingenuity, this article argues for the primacy of material encounters as a promising focal point of medical historiography. In fact, blood's special properties consistently clashed with most materials used in medical practice, provoking a series of material exchanges. Drawing on a combination of epistemological and network approaches, three exemplary cases are presented to examine blood's encounters with plastics, plant and animal extracts: William M. Bayliss's (1860–1926) injections of dissolved gum acacia to expand diminished blood volume; Charles H. Best's (1899–1978) production of the anticoagulant heparin from animal organs; and the preservation of fragile blood cells by silicone coatings inside of John H. Gibbon Jr.‘s (1903–1973) heart-lung machine.
Horn, or The Counterside of Media
Henning Schmidgen
“In this prescient and urgent intervention, unicorns, rhinoceroses, and trumpet players guide us through an imagined exhibition of possible technical experiences. Using ‘horn’ as a structuring concept linking the materiality of bodies, the boundary of death and life, sensation, technology, and aesthetic practices, Henning Schmidgen creates a powerfully novel account of media. At a time when our lives have never been more mediated, Horn provides a necessary corrective to our stilted, unimaginative conceptions of the future world as either a society of control or a techno-utopia.” — Orit Halpern, author of Beautiful Data: A History of Vision and Reason since 1945
Hermann von Helmholtz. Versuche zur Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reizung in den Nerven
Henning Schmidgen (Hrsg.)
Dieser Band enthält sämtliche Schriften, die Hermann von Helmholtz der Psychophysiologie der Zeit gewidmet hat: von seiner wegweisenden Mitteilung „Über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Nervenreizung“ (1850) bis hin zur exemplarischen Studie „Über die Zeit, welche nötig ist, damit ein Gesichtseindruck zum Bewusstsein kommt“ (1871). Neben den deutschsprachigen Veröffentlichungen werden zwei Aufsätze von Helmholtz in französischer Sprache berücksichtigt. 1850 und 1852 publiziert, handelt es sich dabei nicht einfach um Übersetzungen aus dem Deutschen, sondern um zum Teil erheblich revidierte Fassungen ihrer jeweiligen Pendants. Ebenfalls in diesen Band aufgenommen wurden die Beiträge, die zu Helmholtz’ Lebzeiten nicht veröffentlicht worden sind: zum einen die vom Dezember 1850 stammende „Mittheilung für die physikalische Gesellschaft in Berlin betreffend Versuche über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reizung in den sensiblen Nerven des Menschen“; zum anderen die „Explication des épreuves“ vom September 1851, die sich zusammen mit dem Manuskript der „Deuxième Note sur la vitesse de propagation de l’agent nerveux“ und den zugehörigen Kurvenbildern im Archiv der Académie des Sciences in Paris erhalten hat.
Die Guattari-Tapes
Henning Schmidgen
Félix Guattari (1930-1992) ist insbesondere als Ko-Autor von Gilles Deleuze berühmt geworden. Sein eigenes Werk ist dagegen schwerer zu fassen. Anders als Deleuze war Guattari kein Universitätsphilosoph, und obwohl er zeit seines Lebens in der psychiatrischen Klinik »La Borde« arbeitete, war er weder Neurologe noch Psychiater, sondern: Maschinentheoretiker, Schizoanalytiker und ein Kartograph chaosmotischer Subjektivitäten. Im klinischen Alltag, aber auch in der politischen Aktion galt sein brennendes Interesse dem konkreten Verhältnis von Körper und Technik und der kritischen Verbindung von Ökonomie und Ökologie. Genau darin liegt die ungebrochene Aktualität seiner Arbeit, in die dieser Band anhand von fünf Gesprächen einführt, die einen Lebensweg skizzieren, der zwischen Theorie und Praxis ebenso überzeugend changierte wie zwischen Individuum und Kollektiv.
Selen. Eine Materialgeschichte zwischen Industrie, Wissenschaft und Kunst
Johannes Hess
Mit der Entdeckung seiner Lichtempfindlichkeit im Jahr 1873 gerät das chemische Element Selen plötzlich in den Blick von Forschern und Erfindern aus den unterschiedlichsten Bereichen. Einen festen Platz hat es in der Geschichte des frühen Fernsehens, weil damit das Licht der Bilder in telegrafisch übertragbaren Strom umgewandelt werden kann. Johannes Hess zeigt, dass diese Fernsehgeschichte nur ein Teil einer verzweigten Geschichte ist – einer Materialgeschichte des Selens. Nicht Personen, Institutionen oder Technologien spielen hier die Hauptrolle, sondern das Material selbst. In einem Zeitraum von etwa 1870 bis 1930 führt der Weg des Selens von Chemiefabriken und Messstationen durch elektrophysikalische Labore und Erfinderwerkstätten bis in die Ateliers von experimentellen Künstlern. Statt der oft wiederholten Geschichten von aufmerksamen Entdeckern, genialen Erfindern oder nationalen Erfolgsprojekten macht das Material dabei eine andere Geschichte sichtbar, die unterhalb von Wissenschafts-, Technik-, Medien- und Kunstgeschichten verläuft. Auf diese Weise stellt die Wanderung des Materials die Wissenschaft, die Technik, die Medien und die Kunst in neue Zusammenhänge, und es zeigt sich, wie eng verwoben die vermeintlich getrennten Bereiche sind.
Planetarischer Kapitalismus
Félix Guattari
Aus dem Französischen von Ronald Voullié und Frieder O. Wolf. Hg. und mit einem Nachwort versehen von Henning Schmidgen.
Der Band enthält wesentliche Beiträge Félix Guattaris zur Theorie des globalisierten Kapitalismus. Im direkten Rekurs auf Marx entwickelt Guattari in den späten 1970er Jahren das Konzept des „Integrierten Weltweiten Kapitalismus“. Weitgehend unabhängig von der Spaltung in West und Ost fasst er das Kapital als einen „semiotischen Operator“, der einerseits zur Entwicklung von neuartigen Darstellungsformen des zirkulierenden Kapitals führt (Kredite, Aktien, elektronisches Geld) und andererseits der kulturellen wie sprachlichen Integration von Arbeitskräften in den Produktionsprozess dient. Am Kulminationspunkt dieser Semiotisierungen erscheint die Information als Produktionsfaktor – als letzte Stufe einer Homogenisierung im planetarischen Maßstab, die mit der Herausbildung des „kybernetischen Kapitals“ verbunden ist.
Horn oder Die Gegenseite der Medien
Henning Schmidgen
Unser täglicher Umgang mit Medien ist durch eine bemerkenswerte Konjunktur des Taktilen geprägt. Überall und immerfort berühren wir Smartphones und Tablets, halten sie fest, schnallen sie an, tippen behutsam auf ihre Oberflächen und sind aufmerksam für ihre Vibrationen. Doch nicht nur wir sind es, die die Medien in zunehmendem Maße berühren. Im Gegenzug sind es auch die Medien, die uns abtasten: von Drucksensoren in Autositzen über Bewegungsmelder vor automatischen Türen bis hin zu Körperscannern und Fitnessarmbändern. Henning Schmidgen antwortet darauf, indem er ein exemplarisches ›Dazwischen‹ genauer betrachtet: Horn ist ein natürliches Material, aber auch ein künstliches Objekt. Es steht an der Grenze zwischen Innenwelt und Außenwelt, ist Zierde und Schmuck, Werkzeug und Panzer. Im Dialog mit Künstlern, Wissenschaftlern und Philosophen, die sich mit Posthörnern und Schalltrichtern, mit Hornhäuten, Gedächtniskegeln und Rhinozerossen beschäftigt haben, entwirft Henning Schmidgen ein Panorama unserer taktilen Kultur, in dem die Gegenseite der Medien klar zum Vorschein kommt.
Machine Learning – Medien, Infrastrukturen und Technologien der Künstlichen Intelligenz
Christoph Engemann / Andreas Sudmann (Hg.)
Nicht weniger als von einer Revolution ist gegenwärtig die Rede. Neuere Verfahren der Künstlichen Intelligenz greifen in sämtliche Bereiche des sozialen und kulturellen Lebens ein: Maschinen lernen Bilder und Sprache zu erkennen, beherrschen die autonome Steuerung von Fahrzeugen ebenso wie Finanzinvestments und medizinische Diagnostik. Im digitalen Wandel ist Lernen damit kein Privileg des Menschen mehr. Vielmehr verschieben sich mit maschinellen Lernverfahren die Relationen zwischen Erkenntnismöglichkeiten, technischen Umwelten und humanen Akteuren. Dieser Band vermittelt erstmals für den deutschsprachigen Raum einen Überblick über die medialen, infrastrukturellen und historischen Voraussetzungen des maschinellen Lernens.
Forschungsmaschinen. Experimente zwischen Wissenschaft und Kunst
Henning Schmidgen
Wer über Wissenschaft und Kunst spricht, kann vom Experiment nicht schweigen. Die Rede ist heute von »Künstlerischer Forschung«, »Poetik des Experiments«, »Kunstwissenschaft als Experimentalsystem«. Die Konjunktur dieser Begriffe ist aus dem Zusammenhang einer übergreifenden Entwicklung zu verstehen, in der ›Experiment‹ zum Schlüsselbegriff einer posthumanen Kultur geworden ist, in der sich Menschen und Maschinen, Körper und Technik, Natürliches und Künstliches in immer neuen Formen verkoppeln, um Effekte des Neuen hervorzubringen. Henning Schmidgen untersucht in diesem Band die konkrete Beschaffenheit und die spezifische Wirksamkeit experimenteller Anordnungen in Kunst, Kino und Architektur. Seine Untersuchung mündet in der Vermutung, dass der Diskurs über das Experiment, will er seinen wissenschaftlichen und künstlerischen Gegenständen gerecht werden, selbst experimentelle Züge annehmen muss.