Lilli Hallmann

Projekttitel

Medienanthropologie im archivischen Milieu. Existenzmodi des Verschwindens im Kontext nationalsozialistischer ‚Gesundheits’-verwaltung (AT)

Projektbeschreibung

Im Zentrum des Promotionsprojektes stehen Dokumente aus dem Archivbestand der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen, die hinsichtlich ihrer Entstehungszeit mit dem Nationalsozialismus und dessen Gesundheitspolitik verbunden sind. Auf den ersten Blick mögen die vom verwaltungstechnischen Alltag der thüringischen NS-Ärzteschaft geprägten Archivalien harmlos wirken. Im Sinne einer medienanthropologischen Netzwerkanalyse jedoch wird das Archivgut als ein mobiles Ensemble erkennbar, in dem sich auch die vermeintlich unschuldigen bürokratischen Praktiken als in die NS(Medizin)-Verbrechen verstrickt erweisen.Selbst Tabellen, die niemals ausgefüllt wurden, fügen sich dabei als archivarische Spuren in mikroästhetischer Perspektive, neben Briefen oder Ansichtskarten, zu Figurationen einer systematischen Verfügungsgewalt. Kommen Spuren innerhalb einer anthropozentrischen Sicht lediglich als etwas Übriggebliebenes in den Blick, so deutet die Präsenz von Spuren (im Archiv) im Rahmen einer medienanthropologischen Denkweise auf eine Allgegenwärtigkeit vielfältiger Existenzweisen menschlicher und nicht-menschlicher Akteur:innen hin. Das Projekt stellt die Frage, in welcher Relation die hier vorgefundenen mikroästhetischen Existenzweisen zu den gewaltsamen Grundlagen des nationalsozialistischen Gesundheitssystems stehen. Das medienanthropologische Interesse an dem Zusammenspiel von Menschen und dem, was als Nicht-Menschlich aufgefasst wird, sieht sich hier mit der menschenverachtenden NS-Ideologie konfrontiert, die Körper in lebenswert und ‚lebensunwert‘ einteilt. Inwiefern kann ein theoretischer Ansatz, der das Menschliche und Nichtmenschliche als immer schon verschränkt betrachtet, über mediale Ensembles sprechen, die an der perfiden nationalsozialistischen Körperpolitik mitarbeiteten, einer Politik, die den Regimeverfolgten das Menschsein absprach? Vermag womöglich gerade eine medienanthropologische Perspektive – indem sie dezidiert die (bürokratischen) Praktiken und Techniken des Vernichtens analysiert – das zum Verschwinden Gezwungene wieder sichtbar zu machen?

Vita

Lilli Hallmann absolvierte 2014–2017 das Bachelor-Studium der Dramaturgie an der Hochschule für Musik und Theater Felix Mendelssohn Bartholdy Leipzig. Ab 2015 war sie Studienstipendiatin der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Von 2017–2020 studierte sie im Master Medienwissenschaft an der Bauhaus-Universität Weimar. In dieser Zeit war sie studentische Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Archiv- und Literaturforschung bei Prof. Dr. Jörg Paulus. Nach dem Studium arbeitete sie zunächst als Regieassistentin für Schauspiel am Deutschen Nationaltheater und der Staatskapelle Weimar. Im Rahmen des Forschungsprojektes Die Geschichte der Bauhausstraße 11 (finanziert von der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen, zunächst angesiedelt an der Professur Bildtheorie bei Jun.-Prof. Dr. Julia Bee, seit Mai 2022  angegliedert an der Professur Archiv- und Literaturforschung bei Prof. Dr. Jörg Paulus) kehrte sie im Sommer 2021 als wissenschaftliche Mitarbeiterin an die BUW zurück. Seit April 2023 ist Lilli Hallmann Promovendin am Graduiertenkolleg Medienanthropologie und forscht hierbei weiterhin zu den das ehemalige Thüringer Ärztehaus betreffenden Archivalien. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf (Mikro-) Ästhetiken des Archivs.

 

Publikationen

Herausgaben

zusammen mit Julia Bee, Franziska Klemstein, Jannik Noeske (Hg.): Auf dem Weg zum Erinnerungsort – das Gebäude der NS-Medizinbürokratie in Weimar, Weimar 2024.

 

Aufsätze und Beiträge

zusammen mit Julia Bee, Franziska Klemstein und Jannik Noeske: Die Bauhausstraße 11 auf dem Weg zum Erinnerungsort – Einführung in die Geschichte der heutigen Bauhausstraße 11, in: Julia Bee et al. (Hg.): Auf dem Weg zum Erinnerungsort – das Gebäude der NS-Medizinbürokratie in Weimar, Weimar 2024.

zusammen mit Jannik Noeske: Die Bleiglasfenster der Bauhausstraße 11 – eine kommentierte Bildstrecke, in: Julia Bee et al. (Hg.): Auf dem Weg zum Erinnerungsort – das Gebäude der NS-Medizinbürokratie in Weimar, Weimar 2024.

zusammen mit Jörg Paulus und Kristin Victor: Verordnete Mikropolitiken der ‚Volksgesundheit‘. Sammeln und Vermitteln im Umfeld des ehemaligen „Thüringer Ärztehauses“, in: Julia Bee et al. (Hg.): Auf dem Weg zum Erinnerungsort – das Gebäude der NS-Medizinbürokratie in Weimar, Weimar 2024.

Zwischen Bürokratie und Ästhetisierung. Das sogenannte Thüringer Ärztehaus als szenischer Raum der NS-Ärzteschaft, in: Julia Bee et al. (Hg.): Auf dem Weg zum Erinnerungsort – das Gebäude der NS-Medizinbürokratie in Weimar, Weimar 2024.

Das ehemalige „Thüringer Ärztehaus“ in Weimar. Bleiglasfenster als Medien einer nationalsozialistischen Inszenierung, in: Karl Banghard, Michael Kamp (Hg.): Kontinuitäten? Museumspflege im Nationalsozialismus, im Erscheinen.

Die Treppe ins Archiv? Zum Umgang mit NS-Kunst in öffentlichen Gebäuden am Beispiel des Treppenhauses der Bauhausstraße 11 in Weimar, in: Maja Brodrecht, Simona Noreik, Jörg Paulus (Hg.): Ästhetiken und Materialitäten des Übergangs und des Übertragens, Basel: Berlin 2023.

 

nicht-wissenschaftliche Beiträge

Familie. Einleitung in 100 Worten, in: Katrin Richter (Hg.): ELSE`S STORY. Aus dem Leben der ersten Börsenmaklerin der Welt, Weimar: Lucia 2023.

Heimat. Einleitung in 100 Worten, in: Katrin Richter (Hg.): ELSE`S STORY. Aus dem Leben der ersten Börsenmaklerin der Welt, Weimar: Lucia 2023.

Ein Künstlerinbuch für Else Goldschmidt. Oder: von Geschichten, die noch zu erzählen sind, in: DAS ROTE ginkgoblatt, das Magazin der LINKEN in Weimar und dem Weimarer Land 01/2023, S. 18–19.

Psyche und Krise(n). Rück- und Ausblick eines Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, in: DAS ROTE ginkgoblatt, das Magazin der LINKEN in Weimar und dem Weimarer Land 09/2022, S. 18.

Vom „Working Girl“ zur „Neuen Frau“, in: DAS ROTE ginkgoblatt, das Magazin der LINKEN in Weimar und dem Weimarer Land 05/2022, S. 24-25.

Die Bauhausstraße 11. Ein bürokratischer Täterort im Nationalsozialismus, in: Stadtführerbrief 58 – 04/22, Informationsblatt des Vereins der Stadtführer Weimars e.V., S. 7-13.

Heute vor 83 Jahren: jüdischen Ärztinnen*Ärzten wird Approbation entzogen, in: Blog eject – Zeitschrift für Medienkultur 2021, www.uni-weimar.de/projekte/eject/wordpress/.

 

Vorträge

Zusammen mit Jörg Paulus und Kristin Victor: Sammeln im Kontext der NS-Gesundheitspolitik, Werkstattgespräch mit der Forschungsgruppe Kulturtechniken des Sammelns / Universität Erfurt, 12.01.2023, online.

Mikropolitiken der NS-Volksgesundheit. Sammeln und Vermitteln im Kontext des ehemaligen „Thüringer Ärztehauses“, Vortrag im Rahmen der Tagung Erinnern gestalten. Orte der NS-Medizinverbrechen, zusammen mit Jörg Paulus und Kristin Victor, 30.09.2022, Weimar.

Die NS-ideologischen Bild- und Symbolwelten im ehemaligen „Thüringer Ärztehaus“. Eine Einführung, Vortrag im Rahmen der Veranstaltung Die NS-ideologischen Bild- und Symbolwelten im ehemaligen „Thüringer Ärztehaus“ und ihr Fortleben in der extremen Rechten, 15.07.2022, Weimar.

Das ehemalige „Thüringer Ärztehaus“ in Weimar. Bleiglasfenster als Medien einer nationalsozialistischen Inszenierung, Vortrag im Rahmen der Tagung Kontinuitäten? ‚Museumspflege‘ im Nationalsozialismus, 19.05.2022, Lindlar.

Health Policy during the german Nazi-Regime. The History of the Bauhausstraße 11 – former „Medicine Center of Thuringia“, Vortrag im Rahmen des Bauhaus-Moduls Imagine. Zukunftslabor Vielfalt, 12.05.2022, Weimar.

Die Treppe ins Archiv? Überlegungen zum Umgang mit NS-Kunst in öffentlichen Gebäuden am Beispiel des Treppenhauses der Bauhausstraße 11 in Weimar, Vortrag im Rahmen der Online-Tagung Ästhetiken und Materialitäten des Übergangs und des Übertragens, organisiert vom DFG-Projekt Die Existenzweisen von Abschriften und Kopien in Briefkopierbüchern, 02.12.2021.

Das ehemalige „Thüringer Ärztehaus“. Oder: Die Geschichte der Bauhausstraße 11, Vortrag im Rahmen des Seminars Counter memory – Erinnerungspraktiken im Weimarer Stadtraum, 23.11.2021, Weimar.

 

Interviews und Gespräche

B11. Wie ein Verwaltungsgebäude zum Täterort wurde und wie wir ihn zur Erinnerungsstätte machen könnten, in: eject - Zeitschrift für Medienkultur, 12/2022, Weimar, im Erscheinen.

Zusammen mit Frank Simon-Ritz, Jannik Noeske, Studierenden der Initiative »Queer-Lit« und dem Studierendenkonvent: Ordnungen des Wissens. Ein Gespräch im Rahmen der Langen Nacht des wissenschaftlichen Schreibens 2022, 23.06.2022, Weimar.

 

Lehre

Textanalyse/Propädeutikum, Seminar im Rahmen des Einführungsmoduls Einführung in die Medien- und Kulturtheorie, WS 2022/23, zusammen mit Jörg Paulus, Fabian Winter und Charlotte Bolwin, Bauhaus-Universität Weimar.

 

Gremientätigkeit

Mitglied im Beirat für Gleichstellungsfragen der Fakultät Medien

 

Organisation akademischer Veranstaltungen

zusammen mit Julia Bee, Franziska Klemstein, Jannik Noeske und Jörg Paulus: internationale, interdisziplinäre Tagung Erinnern gestalten. Orte der NS-Medizinverbrechen, in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, 29.-30.09.2022, Weimar.

Die NS-ideologischen Bild- und Symbolwelten im ehemaligen „Thüringer Ärztehaus“ und ihr Fortleben in der extremen Rechten, Referenten: Erik Beck (Erinnerungs- und Gedenkstätte Wewelsburg 1933-45), Karl Banghard (Archäologisches Freilichtmuseum Oehrlinghausen), in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen, 15.07.2022, Weimar.