»...Die Frage, die sich jeder Mensch wahrscheinlich stellt, wenn er wissen will, ob sein Leben gut gelebt wird, lautet: Braucht mich jemand? Was HP Grossmann betrifft, der sich von jedermann HP nennen ließ, ist klar, dass der viel zu früh Verstorbene von vielen Menschen gebraucht wurde und wird. Dies gilt vor allem von seiner Familie. Unser aller Mitgefühl gehört seiner Frau und seinen Kindern. Ein kleiner Trost dabei ist, dass er nicht einsam sterben musste.
Als jemand, der mit Hans Peter Grossmann eher beruflich in seiner Rolle als Macher, Designer und Organisator zu tun hatte, will ich mich hier auf seine entsprechenden Aktivitäten beschränken und aufzeigen, wie sehr er hier gebraucht wurde und uns fehlt. HP war aber auch der Initiator und zusammen mit seiner Frau Canan – die beiden bildeten ein wirkliches Team, das jede Entscheidung gemeinsam trug – die treibende Kraft im Verein Gaswerk e.V. Ich kann hier nicht alle Aktivitäten aufzählen, die wir, die Stadt Weimar und der Stadtteil Weimar West, die Hochschule und die Kunstszene diesem Verein und dem Wirken HPs insgesamt verdanken...«
»...Gerade mit der Hochschule, an der HP und Canan ihr Diplom erworben hatten, gab es viele fruchtbare Kollaborationen, beispielsweise die Ausstellung zur Feier von 100 Jahren Bauhaus unter anderem in Ulm. Wir sind bestürzt und geschockt, weil wir nicht wissen, wie es weitergehen kann.
Die große Leistung HPs war die 1996 begonnene Erschließung des Areals Gaswerk und die Einrichtung einer Art von gemeinnützigem Kunst- und Kulturverein, der eine Szene für junge Künstler bietet. Sie können sich dort ausprobieren und erhalten vor allem genügend Feedback von ihresgleichen, um sich weiterentwickeln zu können. Ohne ein solches Milieu kann Kunst nicht gedeihen. Der Verein hat während seines Bestehens eine Fülle von Projekten, die sich meist über Jahre erstreckten, organisiert und durchgeführt, sowie in gut gestalteten Katalogen dokumentiert. Das Gebäudeensemble Gaswerk beherbergt mittlerweile allerlei Ateliers und Werkstätten für Künstler und Start-ups. Insgesamt herrscht auf dem Gelände ein lebendiger Werkstatt- bzw. Laborcharakter. Es kann experimentiert werden und es wird ohne Rücksicht auf beamtenrechtliche Regelungen experimentiert. Einige der dort aktiven Künstler haben sich inzwischen einen Namen gemacht.
Lassen sie mich stellvertretend zwei Aktivitäten herausgreifen, die zeigen, was für ein besonderer Mensch HP war und was wir mit ihm verloren haben. Ich meine die von ihm, der sich ja vorwiegend als Produktgestalter verstand, kürzlich entworfenen sogenannten Lümmelbänke und das Projekt Mosaik, das vor allem auf den Stadtteil Weimar-West gerichtet war. Bei den Lümmelbänken handelt es sich um hölzerne Liegen für den öffentlichen Raum. Sie sind dazu gedacht und geeignet, es sich auf ihnen gut gehen zu lassen. Damit stehen sie im krassen Widerspruch zu den absichtlich unbequem gehaltenen Sitzgelegenheiten anderer Städte wo man nicht lange sitzen mag. An diesen Bänken wird das ethische und menschenfreundliche Engagement des Designers HP besonders deutlich.
Beim vom Gaswerk fußläufig erreichbaren Stadtteil Weimar-West handelt es sich um einen Stadtteil, in dem ein deutlich höherer Prozentsatz an Sozialhilfeempfängern, Ausländern und anderen Menschen lebt, die Gefahr laufen ins gesellschaftliche Abseits zu geraten. Dort mit Hilfe von Kunstaktionen sozial zu wirken, stellt eine besondere Herausforderung dar. Kunst ist den Menschen häufig suspekt, weil sie in ihr eine Art Stellvertreter der Eliten sehen, durch die sie bevormundet werden sollen.
Hier setzt eine von Canan und HP initiierte Plattform wie das Studio Mosaik an, die tatsächlich die Menschen, die es angeht, ernst nimmt und einbezieht. Selbst die durch Covid erzwungenen Beschränkungen haben die Aktivitäten nicht beendet, sondern wurden kreativ bewältigt. Es geht und ging HP und seinem Team darum zu vermeiden, eine aus der eigenen privilegierten Herkunft abgeleitete privilegierte Art von Moral zu verkünden. Man muss die Menschen in ihrer Art gelten lassen und nicht versuchen, sie zu belehren.
Dazu braucht man einen Menschen wie HP, der, aus einer Familie des Metallhandwerks entstammend und selber handwerklich geschickt, realistisch, tatkräftig und konkret an die Probleme heranging – er hatte übrigens auch die Gebäude im Areal Gaswerk weitgehend selbständig ausgebaut. Nicht nur war er fürsorglich und mitfühlend, insbesondere zu Kindern, – ich erinnere an den Bauhaus-Festzug – er war stets positiv und inspirierend. Er, wie auch alle beteiligten Künstler sorgten dafür, dass die Teilnehmer das Gefühl entwickeln konnten, kleine Siege errungen zu haben, die ihnen ein gewisses Selbstvertrauen und ein Gefühl der Selbstermächtigung verschafften.
Eine solche Art von Verein und Areal wie das Gaswerk zu erschaffen und am Leben zu erhalten, bedarf es einer besonderen Art von Persönlichkeit, wie sie eigentlich nur HP besaß. Es versteht sich von selbst, dass es einer gewissen Lebensklugheit, Geschick und Ausdauer bedurfte, eine solche langjährige Aktivität erfolgreich am Laufen zu halten. HP trug nicht nur Verantwortung, handelte stets als Erwachsener der sich keinen Kontrollverlust erlaubte, er war voller Ideen, hatte das Selbstvertrauen und war wegen seiner Nähe zum Handwerk auch imstande sie oder auch die Ideen anderer tätig umzusetzen und andere dazu zu bringen, ihn dabei zu unterstützen. Ich meine aber vor allem die Sympathie und liebevolle Ausstrahlung, die er allen entgegenbrachte, die sich engagiert mit Kunst befassten und zwar gleich welcher Ausrichtung. Nicht nur hatte er keine Angst vor der Konkurrenz, er war für alle Aspekte offen und aufgeschlossen und konnte sich für die verschiedensten Lesarten begeistern. Vor allem liebte er die Menschen und wusste oder ahnte, was mit ihnen los ist, ob sie in Schwierigkeiten steckten oder man ihnen aus anderen Gründen mit Nachsicht begegnen sollte.
Es gibt ja drei verschiedene Arten von Empathie, eine erste, in der man mit jemand anderen einfach mitfühlt. Dann eine zweite, bei der man auch zu verstehen sucht, was die jeweiligen Emotionen hervorruft und schließlich eine dritte, wo man es nicht beim Nachfühlen und Erkennen belässt, sondern aktiv tätig wird, um zu helfen. Diese letztere, rare Fähigkeit zeichnete HP in besonderem Maße aus. Er handelte. Durch ihn und Canan herrschte unter allen Teilnehmern eine recht familiäre Atmosphäre. Alle mochten HP, der persönlich eher bescheiden auftrat und waren bereit ihn zu unterstützen. Seine Warmherzigkeit wirkte ansteckend.
Wenn ich an die Spaltung denke, die gegenwärtig unsere Gesellschaft bedroht, wo jeder in seiner Echokammer nur die Ansichten aufnimmt, die ihn bestärken, so sehe ich darin auch eine bedeutende sozialpolitische Leistung.
Wir brauchen mehr denn je Menschen wie ihn, die eine Verständigung und einen fruchtbaren Dialog zwischen anscheinend unvereinbaren Positionen herstellen können und die Kunst beherrschen, mit jemandem im Gespräch zu bleiben, dessen Auffassung man zwar nicht teilt, aber doch ernst nimmt und zu verstehen sucht, ohne ihn besiegen oder herabsetzen zu wollen. Er fehlt uns...«
aus der Rede zum Begräbnis am 12. August 2023, Prof. Karl Schawelka, ehemals Professur Geschichte und Theorie der Kunst an der Fakultät Kunst und Gestaltung
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