Prof. Dr. Winfried Speitkamp, Präsident der Bauhaus-Universität Weimar, spricht sich gegen ein nicht anrechenbares Sommersemester 2020 (»Nichtsemester«) aus. Er ermutigt Lehrende und Studierende stattdessen, sich aktuell aufgeworfenen gesellschaftlichen Fragen zu widmen und kreativ mit der Krise umzugehen.
In einem Offenen Brief vom 23. März 2020 hatte eine Initiative von über tausend Lehrenden an deutschen Hochschulen die Ausrufung eines »Nichtsemesters« verlangt. Ein geregelter vollständiger Lehrveranstaltungsbetrieb sei nicht mehr möglich, das Sommersemester 2020 dürfe daher formal nicht zählen; befristet Beschäftigten solle entsprechend eine Vertragsverlängerung angeboten werden.
»Im Kern und in der Konsequenz ist der Aufruf nicht glücklich«, sagt Prof. Speitkamp. »Wir bemühen uns gerade an der Bauhaus-Universität Weimar mit aller Kraft darum, einerseits die Gesundheit der Studierenden und Beschäftigten zu schützen und andererseits zugleich auf den Neustart der Universität am Ende der Krisenzeit hinzuarbeiten. Das bedarf einer gemeinsamen Anstrengung. Ein ›Nichtsemester‹, eine ›Nichtuniversität‹ kann nicht die Lösung sein.«
Prof. Speitkamp betont, dass die Universitätsleitung um die enorme Verunsicherung der Studierenden wisse und auch um die große Belastung der Lehrenden. Diese müssten nun kurzfristig digitale Lehre vorbereiten und gleichzeitig für ihre Kinder und Angehörigen sorgen. Das alles werde berücksichtigt.
»Die Lehrenden müssen gestützt werden, den Studierenden sollen keine Nachteile entstehen. Aber Studierende müssen auch wissen, dass ihre Arbeit nicht vergebens ist, dass es weitergeht, dass sie vernünftig und möglichst ohne Zeitverlust zu Ende studieren können«, so Prof. Speitkamp weiter. Dafür gelte es, kreative Lösungen zu finden. Auflagen, Fristen und Prüfungszeiten werden liberal ausgestaltet, individuelle Lösungen gesucht. »Wir werden fragen, beraten, helfen. Keiner soll vergessen werden. Aber ein ›Nichtsemester‹ ist das falsche Signal dafür. Jetzt erst recht – so sollte es heißen. Es wird neu, es wird herausfordernd, aber es kann gut werden.«
Derzeit wird in den Fakultäten wie auch in der Verwaltung intensiv über die Methoden des Lehrens und Lernens nachgedacht. Digitale Instrumente sollen neue Möglichkeiten des dezentralen und nicht synchronen Lernens eröffnen. Lernprozesse und Themen können damit individueller gestaltet werden, auch kreativer und spontaner. So hofft Prof. Speitkamp, dass ein neues Bild von Universität entstehen kann, bei der die direkte Begegnung, die Präsenz, wichtig bleibt, aber vielfältigere Formen der Interaktion das Studium bereichern würden.
Momentan arbeitet eine »Arbeitsgruppe Digitale Lehre« mit Hochdruck an Möglichkeiten für Studierende, das Sommersemester zu absolvieren. Zudem bietet die Universität Hilfestellung, wenn beispielsweise Lösungen für ein Urlaubssemester oder Teilzeitstudium gefunden werden müssen.
Prof. Speitkamp unterstreicht die Chancen, die für den Hochschulbetrieb in der Krise liegen: »Ein Semester während und nach der Krise kann nicht so tun, als sei nichts gewesen. Ein ›Nichtsemester‹ ist deshalb die falsche Botschaft. Die Krise stellt unsere Gewissheiten in Frage. Wir müssen neue Fragen stellen: Was lernen wir in der Krise über uns? Warum sind wir so verwundbar und haben uns abhängig gemacht von globalen Vernetzungen? Welche Rolle spielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als Experten in Öffentlichkeit und Politik? Wie sicher sind unsere Ideale von offenen Grenzen und Internationalität? Warum sind unsere Grundrechte plötzlich nicht mehr unantastbar? All das ist für Universität, Wissenschaft und Kunst von grundlegender Bedeutung, darüber müssen wir sprechen und forschen. In einem ›Jetzt-erst-recht-Semester‹, einem Intensivsemester.«
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