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bio.match
Projektdokumentation
Projektdokumentation bio.match
Die Dokumentation beschäftigt sich mit der Entwicklung und Umsetzung des
Projekts bio.match.
bio.match entstand im Rahmen des Kurses „Into to BioArt“ am Lehrstuhl für
„Gestaltung Medialer Umgebung“ im Frühjahr 2017 und wurde von der
Medienkunststudentin Maike Effenberg entwickelt. Es beruht auf einer
intensiven Auseinandersetzung mit dem Mikrobiom und dessen Beeinflussung
des Menschen und seines Umfeldes.
Im Folgenden wird die Idee des Projektes weiter aufgeschlüsselt, ins
Verhältnis zu verschiedenen Sozialphänomenen gesetzt und darauf basierend
in ein kritisches Projekt umgesetzt.
Seit etwa 2007 findet der Begriff des Mikrobioms Verwendung und wird von
dem US-Molekularbiologen Joshua Lederberg geprägt1. Das Mikrobiom
beschreibt die Symbiose von ein- und mehrzelligen Lebewesen, von
Bakterien, Menschen und anderen Tieren. Seither wird versucht alle auf dem
menschlichen Körper siedelnden Bakterien zu dokumentieren und zu
beschreiben, sowie ihren Einfluss auf den Menschen zu erforschen. Mit einem
Verhältnis von 10:1 befinden sich deutlich mehr mikrobielle Zellen als
Vielzeller auf dem menschlichen Körper, weswegen man davon ausgehen
kann, dass mikrobielle Zellen eine entscheidende Rolle für das Leben eines
jeden Lebewesens spielen, über die wir uns erst nach und nach
bewusstwerden.
Verschiedene Forschungsprojekte lassen schon jetzt darauf schließen, dass
der Mensch gar nicht so viel Einfluss auf das Leben hat, wie er
möglicherweise vermutet, sondern dass vielmehr für das menschliche Auge
unsichtbare und nicht bewusst wahrnehmbare Prozesse sämtliche Abläufe
steuern.
So lässt sich beispielsweise feststellen, dass die Ursache für Karies mit der
Präsenz bestimmter Bakterien im Mundraum zusammenhängt.
Viel interessanter ist jedoch, dass man eine Verbindung zwischen der
Darmflora und der psychischen Verfassung eines Menschen feststellen
konnte und dass Kommunikation beziehungsweise Informationsaustausch
zwischen mehreren Lebewesen über Bakterien stattfindet und gesteuert
wird2.
(Abb. 1: Hyänen riechen aneinander)
Wie kann man sich in einer Welt, in welcher der technologisch vermittelte
Informationsaustausch immer rasanter und unübersichtlicher vonstattengeht,
diese Erkenntnis zu Nutze machen?
Betrachtet man zunächst einmal die Nutzer neuer Technologien und digitaler
Medien genauer, so kann man sich einer Heuristik bedienen und die Nutzer in
zwei Gruppen einteilen: Die sogenannten Digital Immigrants und die Digital
Natives.
Die der ersten Gruppe Zugehörigen kamen erst im Erwachsenenalter mit
neuen Medien in Kontakt, wohingegen die Digital Natives seit ihrer Kindheit
mit und durch neue Technologien sozialisiert wurden.
Ein Phänomen, das in sicherlich beiden Gruppen vorkommt – mehr noch
allerdings bei den Digital Migrants – ist das den neuen Medien
entgegengebrachte Misstrauen. Das Internet ermöglicht zwar einerseits
raschen Zugang zu einer großen Menge Informationen, gleichzeitig erschwert
jedoch genau diese Ubiquität an Informationen die Überprüfung deren
Wahrheitsgehalts. Spätestens seit Begriffe, wie „Lügenpresse“ und Fake
News (wieder) in Gebrauch sind, wird diese Problematik umfassend
thematisiert.
Es ist wissenschaftlich belegt, dass daraus ein gewisses Unbehagen im
Umgang mit neuen Medien resultiert. Sie werden trotz großer Neugier von
den Digital Immigrants weniger genutzt, weil sie befürchten, dass man sich
nicht ausreichend vor Desinformation schützen kann.
Die Digital Natives bewegen sind zwar souveräner im Umgang mit neuen
Medien, sehen sich jedoch mit einem anderen Problem ihrer Generation
konfrontiert: Ihnen stehen als sogenannte „Generation Maybe“, nicht zuletzt
auch durch das World Wide Web, alle Türen offen. Aufgrund ihres hohen
Lebensstandards empfinden sie keinen Druck, sich für irgendetwas
entscheiden oder festlegen zu müssen. Ihre Beziehungen sind kurzfristig.
Man sucht sich lieber über Speed-Dating-Apps wie beispielsweise „Tinder“
jemand neues, interessantes, von dem oder der man weiß, dass es sich auch
wieder nur um eine belanglose Affäre handelt.
(Abb. 2: Tinder Interface und Tinder-Logo)
Andere Dating-Websites berufen sich auf eigens entwickelte Algorithmen, die
die Partnerwahl vereinfachen sollen. Diese sind oft Betriebsgeheimnisse,
sodass für den Nutzer nicht nachvollziehbar ist, wie ein Treffer, ein „Match“,
zustande kommt. Das Grundprinzip von Online-Partnerbörsen beruht auf den
persönlichen Angaben, die eine Person über sich selbst mittels eines
Fragebogens macht. Hier lässt sich schnell der Wahrheitsgehalt der Angaben
anzweifeln, da diese meist von den Befragten beschönigt werden, um sich
selbst und seine Eigenschaften für andere intentional attraktiv wirken zu
lassen. Das Gleiche gilt für die auf Dating-Plattformen zur Verfügung
gestellten Fotos.
Meist wird beim sogenannten Matching der Partner viel Wert auf die
Übereinstimmung von Alter, Herkunft, Hobbies und anderen Aktivitäten gelegt.
Doch es bleibt unklar, ob und in welchem Ausmaß der Grad der Ähnlichkeit
von Personen die Paarbeziehung positiv beeinflusst. Auch hierbei werden die
Nutzer wieder mit einer Flut von potentiellen Partnerinnen und Partnern
konfrontiert und es fällt schwer, diejenigen herauszufiltern, die auch im
alltäglichen Leben der analogen Welt eine vielversprechende
Übereinstimmung darstellen.
In einer Gesellschaft, in der ein Großteil der älteren Bevölkerung von der
alltäglichen Datenflut überfordert und verunsichert ist und die digital Natives
nicht fähig sind, eine feste Entscheidung zu treffen, ist es an der Zeit, sich auf
seine natürlichen Ursprünge zu besinnen.
Wie wäre es, wenn man sich wieder auf seinen eigenen Körper verlassen
kann, die Suche ihm überlässt und am Ende das leidige Spiel der Partnerwahl
ganz einfach und unkompliziert abläuft?
Wieso nutzt man nicht sein eigenes Mikrobiom, welches bereits so viele
Prozesse in unserem Körper steuert und einen Großteil an Kommunikation für
uns übernimmt?
(Abb.3: Das Mikrobiom verschiedener Körperregionen)
Das Projekt bio.match arbeitet mit genau dieser Idee.
Das Grundkonzept sieht vor, dass Menschen, die sich auf der Partnersuche
befinden, eine Probe ihres Mikrobioms abgeben. Dieses wird dann analysiert
und mit dem Mikrobiom anderer Menschen zusammengeführt. Das Verhalten
dieser beiden Kulturen miteinander wird beobachtet und interpretiert.
Doch wie erhält man eine Probe des Mikrobioms? Eine allumfassende Probe
von sämtlichen Körperbereichen (Hände, Mund, Verdauungstrakt,
Geschlechtsorgane usw.) zu entnehmen und zu analysieren wäre sehr
umständlich, unter Umständen unangenehm für die zu testende Person und
würde einen sehr hohen Arbeitsaufwand für die anschließende Analyse im
Labor bedeuten. Um das Projekt so einfach wie möglich zu halten, wird daher
nur eine einzige Probe entnommen. Die Wahl fällt auf eine simple
Speichelprobe, die sehr unkompliziert und angenehm von den Probanden
selbst entnommen werden kann. Die Wahl des Mundraums als
Entnahmestelle liegt auch darin begründet, dass die erste Kommunikation,
aber auch die Hauptkommunikation des Menschen meist verbal abläuft und
dabei ein reger Austausch auf mikrobieller Ebene stattfindet.
(Abb. 4: Züchten der Bakterien und Zusammenführung zweier Proben - Skizze)
Diese Proben werden anschließend auf einem entsprechenden Medium
gezüchtet. Entwickeln sich nach einigen Wochen, meist nach 30 Tagen,
optisch erkennbare Kolonien, werden diese dem ursprünglichen Medium
entnommen und zusammen mit den Kolonien einer weiteren Person auf ein
neues gesetzt, um zu prüfen, ob diese als potentieller Partner oder Partnerin
in Frage kommt.
Wiederum ein paar Wochen später, wenn die Kolonien unter Einfluss der
jeweils anderen Kolonie herangewachsen sind, lassen sich Rückschlüsse auf
das Zusammenspiel der Mikrobiome schließen und somit auch auf das
Zusammenspiel der Paare.
Um eine fundierte Interpretation gewährleisten zu können, wurden zunächst
die Mikrobiome glücklicher Paare analysiert, die eigenen Angaben zufolge
bereits über einen langen Zeitraum harmonisch zusammenleben.
Dabei ließ sich bei allen Paaren erkennen, dass sich ihre Mikrobiome
aneinander angeglichen haben. Die Kolonien, die zunächst separat
voneinander wachsen, sind bereits sehr ähnlich und harmonieren sehr
ausgeglichen beim Heranzüchten auf einem gemeinsamen Medium.
(Abb. 5: Proben von Paaren, die bereits zu einander gefunden haben.)
Daraus lässt sich schließen, dass vor allem diejenigen Probanden
zusammenpassen, deren Bakterienkolonien sehr ähnlich sind und
schlussendlich harmonisch auf dem zweiten Medium koexistieren.
Sehr unterschiedliche Kolonien lassen jedoch nicht automatisch auf eine
unpassende Partnerwahl schließen. Viel wichtiger ist das Verhalten der
einzelnen Bakterienkolonien zueinander, wenn die beiden Proben
zusammengeführt werden.
Als unpassend werden diejenigen Proben erachtet, bei denen es zur
Auslöschung einer Kolonie durch die andere kommt, da diese
Auseinandersetzung auf mikrobiologischer Ebene zu einer nicht
harmonischen Koexistenz der Teilnehmenden führt.
Um das Ergebnis des mikrobiologischen Matchingprozesses mit den
Probanden zu teilen, kommt man nicht umhin, sich sozialer Medien zu
behelfen. Da die Ergebnisse eine sehr starke visuelle Prägnanz haben,
werden sie auf dem führenden sozialen Bildnetzwerk, Instagram, unter dem
Profilnamen bio.match veröffentlicht. Dabei enthält die Bildunterschrift der
Posts einen kurzen Hinweis zu dem Ergebnis der Probe und die Verlinkung
der beiden getesteten Personen. Die Probanden werden über diese
Verlinkung automatisch benachrichtigt und können das Bild, den Hinweis
sowie ihren potenziellen Partner oder Partnerin, sehen und, falls erwünscht,
kontaktieren.
(Abb. 6: Screenshot des ersten Instagram- Posts von bio.match)
Da die Glaubwürdigkeit des Projekts einen sehr hohen Stellenwert hat, ist die
Transparenz des Systems von großer Bedeutung.
Diese Transparenz spiegelt sich auch in der Veröffentlichung aller Ergebnisse
wieder. Auch Proben, die auf eine eher negative Beziehung zueinander
schließen lassen, werden gepostet und auch hier haben die Probanden die
Chance, sich kennen zu lernen, denn schließlich ist Liebe ein Kind der
Freiheit.
Nach der Testphase im Januar 2017 wurde das Projekt auf der
WinterWerkschau der Bauhaus-Universität Weimar
und auf der Ausstellung „Shared Matters“ im Schillerpalais, Berlin ausgestellt.
Die Besucher hatten die Chance, selbst Teil des Projekts zu werden und ihren
Partner oder Partnerin fürs Leben mit Hilfe von bio.match zu finden. Dazu
wurde das Projekt auf der Ausstellung vorgestellt.
Die Besucher konnten eine Speichelprobe, die mit ihrem Instagram-Namen
und Basisinformationen zur Person versehen wurden, abgeben. Alle
Probanden wurden eingeladen dem Instagram-Account zu folgen, um sich
über den aktuellen Stand der Untersuchungen zu informieren. Die
Speichelproben wurden an den darauffolgenden Tagen gezüchtet,
zusammengeführt und analysiert. In regelmäßigen Abständen werden die
Teilnehmenden über den Status online informiert und erste Ergebnisse
wurden bereits veröffentlicht.
(Abb. 7-9: Bilder der Ausstellung „Shared Matters“ in Berlin)
Als größten Erfolg kann das Projekt mittlerweile verzeichnen, dass die ersten
Teilnehmenden bereits zueinander Kontakt aufgenommen haben und ein
Treffen stattgefunden hat. Um die Privatsphäre derjenigen zu wahren, hören
die Beobachtungen an diesem Punkt allerdings auf. Sie sind auf sich alleine
gestellt und müssen Verantwortung für ihre Zukunft übernehmen.
(Abb. 10: Folge bio.match auf Instagram)
1 s. vfa.bio, Was ist eigentlich das Mikrobiom?, https://www.vfa-bio.de/vb-de/aktuelle-themen/forschung/mikrobiom.html ,(26.11.2007)
2 Die Hyäne beispielsweise signalisiert durch die Abgabe von Mikrobakterien aus dem After Paarungsbereitschaft. s. Paarungsaroma der Hyänen im Gras, http://www.spiegel.de/
wissenschaft/natur/kommunikation-per-geruch-bakterien-lassen-hyaenen-duften-a-933034.html (12.11.2013)