Die Zeichnungen der Reihe mergence entstanden nach ausgiebigem theoretischem Diskurs als erstes kooperatives Experiment sowie als Basis geplanter Arbeiten. Wir teilten zur selben Zeit ein Zeichenblatt, zu dessen Bearbeitung wir uns klare Regeln setzten. Im weiteren Prozess trafen wir Abmachungen wortlos und spontan, um bewusste Kontrolle unserer intellektuellen Werkzeuge zugunsten intuitiver Selbstregulation aufzugeben.
Die ersten Ergebnisse basierten auf der einfachen Regel, die vom Partner gezogene Linie möglichst parallel und simultan auf dem Blatt zu reproduzieren. Unvermeidlich dabei waren Abweichungen in Linienführung und Strich und verhaltene Regelbrüche. Selbst an einem sandkorngroßen Webfehler sedimentierten ungeplante Binnenstrukturen. Der grafische Dialog endete, wenn ein Blatt gesättigt erschien.
Expressive Freiheit gaben wir uns ab dem Punkt, an dem das Muster unserer Bildkompositionen sich stabilisierte. Hier offenbarten wir unsere eigenen Sprachen und führten somit neue Materialien ein. Wir adaptiereten das Vokabular des Anderen, imitierten seinen Gebrauch und erweiterten seine Bedeutungsspektren. Punktuell formierten sich zwischen all diesen Blättern nahezu symbolische Anordnungen. In solchen diagrammatischen Bildern manifestieren sich Elemente unserer thoeretischen Weltmodelle sowie zarte Ansätze ihrer logischen Verknüpfung.
Von außen betrachtet überwachten sich in uns Zeichnenden zwei Systeme gegenseitig, animierten und hemmten, modifizieren einander auf eine Weise, die die Balance eines gemeinsamen Ganzen gewährleistete. Im Flow kann man selbsvergessen die Taten einander ergeben lassen und sich dabei auf die wohlwollende Responsivität und Unterstützung durch das Kontroll- und Planungssystem des Gegenübers verlassen. Individuelle Potentiale sind entfaltet und zugleich konstitutiver Teil einer umgebenden Sinnstruktur.
Kristaps Biters beschreibt eine weitere Sicht auf diese Verschränkung von Subjekt und Umwelt: "Ich wollte sehen, wie wir selbstorganisiert auf dem Papier unser Gleichgewicht finden. Doch über diese rein visuelle Interaktion hinaus, ließen wir auf dem Papier zwei verschiedene Geschichten kollidieren. Für mich bedeutete dieser Dialog immer aufs Neue, mich von meine Soll-Vorstellungen zu lösen und das tatsächlich Existierende konstruktiv und kreativ zu nutzen. Dabei verschmolzen zwei im Flow-Zustand operierende Systeme tänzerisch zu einem."
Ausgehend von der Reihe mergence entwickeln wir auf die Entfernung Weimar – Liepāja erste Bilder auf digitaler Leinwand, die hierfür benötigete Zeichensoftware sowie alternative Interfaces, die den Begriff von Zeichnung noch stärker in Richtung einer kooperativen Praxis weiten und uns Zugang zu biometrischen Daten schaffen sollen.