Auf einem Hügelkamm fährt ein gelber Bulldozer von links nach rechts, stoppt kurz, setzt zurück, senkt sein Planierschild und pflügt die Erde den Hügel hinunter im vorderen Bildbereich um. Es entsteht eine Erdschneise, Staub wirbelt nach links aus dem Bild und die aufgerüttelte Erde kullert den Hügel hinunter. Beschrieben ist damit die zweite Einstellung des Films ERDE (2019) von Nikolaus Geyrhalter.[1] Der Film spielt an sieben unterschiedlichen Schauplätzen und zeigt diverse unterschiedliche Extraktionsunternehmungen. Im San Fernando Valley, Karlifornien, werden zur Herstellung einer ebenen Baufläche ganze Berge abgebaggert; aus den Minas de Riotino in Spanien wird Kupfer gewonnen; im Steinbruch in Carrara, Italien, werden große Marmorblöcke aus dem Berg geschnitten; unter dem Brennerpass sprengen sich die Bauarbeiter*innen den Brennerbasistunnel für Personen- und Güterverkehr durch das Gestein; durch das ungarisches Ödland pflügen sich riesige Bagger durch den Boden, um Braunkohle abzubauen; aus der Asse (Salzbergwerk) in Deutschland wird der eingelagerte Atommüll aus Sicherheitsbedenken wieder herausgeholt und in einem Fracking-Testgebiet treffen industrieller Extraktivismus und First Nation Einwohner*innen konfrontativ aufeinander. Mit einem simplen Argument, das kompliziertere Definitionsversuche des Anthropozäns umgeht, beschreibt in der ersten Einstellung eine eingeblendete Schrift, dass der Mensch die entscheidende geologischen Kraft sei, weil er 156 Millionen Tonnen Erde täglich bewege, während Flüsse, Winde und andere ’natürliche‘ Kräfte insgesamt nur 60 Millionen Tonnen Oberflächenmaterial umwälzten. Der Film verhandelt den Begriff „Erde“ dabei vermeintlich hauptsächlich im Extraktionskontext, also der Operation des Herausnehmens von Material (Erde), um an verwertbare Ressourcen (Baugrund, Kupfer, Kohle, etc.) zu gelangen. Ständig sehen wir Maschinen, die das Bild in Bahnen durchqueren, die kein kohärentes Ganzes bilden oder die so monströs geworden sind, dass sie kaum mehr von einer Einstellung alleine eingefasst werden können. Zwischen Maschinenbewegung und regelmäßigen Sprengungen, beschreiben die Bauerbeiter*innen und Angestellten ihre Sicht auf die Arbeit am Abtragen und Aushöhlen ganzer Berge. Nicht selten kommen dabei sexualisierte Metaphern zum Einsatz, wie das Entjungfern des Berges im Marmorsteinbruch in Italien,[2] oder das Kämpfen mit aller Gewalt gegen die weiblich konnotierte Mutter-Natur.[3] Gezeichnet wird damit ein Bild der Gewalt und Extraktion auf der einen und der widerspenstigen Natur auf der anderen Seite.

Das Titelgebende Material, Erde, verhandelt der Film nicht nur als ein Material, das extrahiert werden müsste, um an wertvollere Ressourcen zu gelangen, sondern auch in ihrer basalen Funktionen als Boden oder Grund. Jede Maschine, die durch das San Fernando Valley fährt hinterlässt dabei tiefe Spuren, die aus der Vogelperspektive an ein Gemälde erinnern.[4] Sie referenzieren damit zwei Effekte, die bereits der klassische Zelluloid-Film enthielt: Bewegung und Spur. Bewegung gehört zu den Grundeigenschaften eines jeden Films, insofern es sich um bewegte Bilder handelt. Bereits die erste Schrifteinblendung im Film erweitert die Verhandlung von Bewegung als filmisches Grundelement auf das Bewegen tatsächlicher Materialien in der biophysischen Welt. Genauso wie ein herausgeschnittener Marmorblock in Carrara, wird der Zelluloidfilm im Projektor als Ressource des Leinwandbilds bewegt, um die hintereinanderliegenden Einzelbilder in Bewegung zu setzen und Film damit überhaupt erst als kohärentes Leinwandbild emergieren zu lassen. Auf dieser Ebene transformiert Geyrhalters Film die Bewegung komplexer Extraktionsunternehmungen in eine Referenz an die Bewegung des Films im Projektor. Es wäre sogar ganz richtig zu erwähnen, dass in beiden Fällen fossile Ressourcen bewegt werden: Der Filmstreifen selbst besteht zum Großteil aus einem Nebenprodukt der Förderung von Öl und ist damit eingebettet in einen ökologischen Kontext komplexer Extraktionsverfahren in der biophysischen Welt. Diese Verstrickung des Films in environmentale Ressourcenextraktionsprozesse bringt Nadia Bozak auf eine simple aber entscheidende Formel, wenn sie in ihrem Buch The Cinematic Footprint formuliert: „Embedded in every moving image is a complex set of environmental relations.“[5] Der Bulldozer, der in der zweiten Einstellung Erde einen Abhang hinunterschiebt, führt damit die doppelte Verstrickung des Films, der einmal Ressourcenextraktion und das Umgestalten der Landschaft präsentiert und dies gleichzeitig aber auch mitverursacht, auf. Der Film wurde aber nicht auf Zelluloid gedreht, sondern mit digitalen Kameras. Das macht ihn allerdings nicht immateriell. Im Gegenteil, zu glauben digitale Bilder seien immateriell ist, wie Bozak es formuliert, eine Mythologie: „like analog formats, digital is industrial and each image consumed bears a material life. Images come somewhere and are plugged into an energy economy that is becoming less of a phantasm.”[6] Erde, in ihrer Funktion als Boden, auf dem zu fahren sein wird, ist damit als ein Inskriptionsmedium formuliert, das die Bewegung, die den Film hauptsächlich ausmacht (die der Maschinen), verzeichnet und ausstellt.

Die Verzeichnung von Bewegung geht dabei aber nur mittels indexikalischer Spuren. Betrachten wir nochmal den Zelluloidstreifen, dann wird dieser durch jedes Abspielen immer schon nachhaltig in Mitleidenschaft gezogen, indem der Projektor bei jedem Durchlauf Spuren hinterlässt. Das Aufführen des Films steuert damit immer schon auf den Zerfall des Filmmaterials in Form des Filmstreifens zu. Die Bulldozer-Einstellung verhandelt nun aber, da es ja als digitales Bild nicht mehr an Zelluloid als physisches Material gebunden ist, das Spuren-Hinterlassen im Kontext des digitalen Bildes, dass immer schon als Differenzbild zu verstehen ist. Der analoge Filmstreifen enthält einzelne Bilder, die als Leinwandbild in kollektive Bewegung geraten. Das digitale Bild hingegen basiert nicht nur auf der beschleunigten Darstellung vereinzelter Bilder, sondern aus der Differenz zwischen den Bildern. Das digitale Bild weist eine interne Dynamik auf, die daraus besteht, dass ausschließlich diejenigen Pixeldaten, die sich über mehrere Frames hinweg ändern, auch auf dem Monitor angepasst werden. Dort bewegt sich das Bild; die Pixel deren Daten keine Differenz aufweisen, werden nicht verändert. Das digitale Filmbild ist als Differenzbild eine dynamische ontographische Existenzweise. Der Bulldozer vollzieht nicht nur auf profilmischer Seite eine Bewegungs- und Verschiebungshandlung, sondern auch im Bild, in den Pixeln. Er wird zu einem doppelten Bulldozer, der sich in der Darstellung und die Darstellung selbst bewegt. Er gräbt Erde und Pixel zugleich um und ist damit der filmische Bewegungsagent überhaupt. Ohne seine Bewegung und sein Umgraben wäre das Bild hier still und nicht als filmisch auszuweisen. Seine Operation ist graphisch. Sie zeichnet sich in Erde und Bild ein und solange die von ihm aufgerüttelten Erdmassen den Hang hinabkullern, solange kullern auch die Pixel von Wert zu Wert und solange existiert in dieser Einstellung das Bild als bewegtes filmisches Bild. Das Bild ist eine Ontographie als Existenzweise[7] und der Bulldozer der Agent, der das Bild zeichnet.

Literatur

Bozak, Nadia (2012): The Cinematic Footprint. Lights, Camera, Natural Resources, London: Rutgers University Press
Engell, Lorenz / Siegert, Bernhard (2019): Editorial, in: ZMK 1|2019, Ontography, S. 5-1

Film

Geyrhalter, Nikolas (Regisseur). 2019. Erde [Film]. Österreich


[1] Gesehen bei https://www.filmfriend.de/de/movies/9a4cc306-e1f6-4dce-bce6-3e621e39780c, zuletzt aufgerufen am13.08.2023

[2] Vgl. 0:56:37-1:00:35

[3] Vgl 0:14:50-0:17:30

[4] 0:03:23 Minuten

[5] Bozak, Nadia (2012), S. 5

[6] Ebd. S. 12

[7] Vgl. Engell, Lorenz / Siegert, Bernhard (2019), S. 6