Ein Geselle erlernt auf der Wanderschaft nicht nur neue handwerkliche Techniken. Mindestens ebenso wichtig ist das Sammeln von Lebenserfahrungen und die Formung des eigenen Charakters. Meine Arbeit zeigt, dass diese beiden Prozesse des In-formierens in ihren Voraussetzungen, Abläufen und Wirkungen eigentlich sehr ähnlich und eng zusammenhängend sind. Sie sind Teil eines tiefgreifenden Subjektivierungsprozesses. Damit dieser stattfinden kann, bedarf es einer Reihe ‚Hilfsmittel‘: Die Gesellen haben unterschiedliche Regeln zu befolgen, praktizieren eigene Rituale, verwenden bestimmte Sprachformeln und sind einer spezifischen Ordnung folgend gekleidet. Außerdem findet der Prozess mit und mittels der (fußläufigen) Mobilität der Gesellen statt. All diese Kulturtechniken haben an der Formung des Individuums teil, indem sie Potentiale zur Entwicklung herstellen, den Gesellen während unterschiedlicher Zustandsänderungen stabilisieren und die Formung neuer Subjektivitäten katalysieren.
Ich habe mich mit Konzepten des Raums, der Raumwahrnehmung und Bewegung beschäftigt und für meine Thesis zum Thema ‚Trampen‘ recherchiert. Dabei bin ich auf ein Interview mit einem Wandergesellen gestoßen – denn Gesellen trampen ja auch viel. Was der da erzählte klang dann so spannend, dass ich mich entschied, weiter in diese Richtung zu forschen.
Über meinen eigentlichen Untersuchungsgegenstand hinaus, regt die Arbeit dazu an, auch andere Bildungsprozesse neu zu denken, gerade auch weil es hier um ein oft unterschätztes direktes, sozial verankertes, habitualisiertes und oft intuitives Lernen und Wissen geht. Die Gesellenwanderschaft selbst ist von der geisteswissenschaftlichen Forschung bisher nahezu unentdeckt geblieben. Ich glaube, dass die Walz – auch in Anbetracht ihrer sehr weit zurückreichenden Historie – viel Potential für weitere Untersuchungen birgt. Meine Arbeit öffnet die Walz als Gegenstand für einen geisteswissenschaftlichen Diskurs und bietet reichlich Anschlussstellen auch an aktuelle epistemologische Fragen.
Ich habe in Weimar die gute und enge Betreuung und die Vielfalt des Lehrangebots sehr genossen. Die ständig wechselnden Themen und die Freiheit in der Auswahl fördern die Motivation bei den Lehrenden und Studierenden gleichermaßen.
Wie bei den allermeisten meiner Kommilitonen entspricht das Studium ganz und gar nicht dem, was ich erwartet hatte – wenn es überhaupt konkrete Erwartungen gab. Tatsächlich ist es viel tiefgreifender, als eine Erforschung von ‚Medien‘ zunächst scheinen mag. Ich bin mir sicher, dass die Dinge die ich im Rahmen meines Studiums gelernt habe, für mein weiteres Leben einen sehr großen und grundlegenden Wert haben – völlig unabhängig vom späteren Berufsweg.
Technikgeschichte wird oft als eine Geschichte von aufmerksamen Entdeckern, genialen Erfindern oder nationalen Erfolgsprojekten erzählt. Diese Leute produzieren dann eine evolutive Reihe von Verbesserungen, an deren Ende der fertige Apparat steht. Solche Geschichten wurden und werden tausendfach geschrieben und gelesen – jedes Kind kann wohl mindestens eine wiedergeben. Die Mediengeschichte unternimmt den Versuch, eine andere Geschichte zu schreiben, und zwar indem sie die Mittel, Mitten und Vermittlungen, eben die Medien, fokussiert. In meinem Fall ist das Mittel der Wahl das Material. Ich zeige, wie neue Vermittlungen, Verbindungen und Verwandtschaften sichtbar werden, wenn man dem Material folgt.
In meiner Arbeit geht es um das Element Selen. Selen hat die Eigenschaft, lichtempfindlich zu sein, das heißt man kann damit Licht in Strom umsetzen. Die Entdeckung dieser Eigenschaft ist vor allem für die frühe Fernsehtechnik sehr wichtig, denn dort können mit lichtempfindlichen Zellen aus Selen erstmals Bilder aus Licht in telegrafisch übertragbaren Strom umgewandelt werden.
Aber auch jenseits der Geschichte des Fernsehens lohnt sich ein Blick auf das Selen: Wenn man nämlich, wie ich das in meiner Arbeit getan habe, eine eigenständige Geschichte des Selens schreibt, sieht man, wie dieses Material sich in einer relativ kurzen Hochphase von etwa 1870 bis 1930 seinen Weg bahnt. Dieser Weg führt unter anderem durch Chemiefabriken und elektrophysikalische Labore, aber auch zu Tiefseekabeln am Boden des Atlantischen Ozeans und durch die Werkstätten von Erfindern wie Alexander Graham Bell. Auch am Bauhaus kommen in technisch-künstlerischen Experimenten am Anfang des 20. Jahrhunderts Selenzellen zum Einsatz. Indem ich den Weg des Selens nachverfolge, kann ich damit zwischen den vermeintlich getrennten Bereichen von Wissenschaft, Industrie, Kunst und Medien Verbindungen aufzeigen.
Bei Recherchen im Bereich früher Scan- und Fernsehtechnik ist mir das Selen aufgefallen, weil es so oft die Quelle von Enttäuschungen und Fehlschlägen war. Obwohl es aufgrund seiner Lichtempfindlichkeit so großes Potential zu haben schien, scheiterten die praktischen Anwendungen nämlich fast durchweg an den hohen Erwartungen der Forscher oder an ungeahnten Effekten des Materials. So auch im Fernsehen, wo die Selenzelle ab ca. 1930 zunehmend durch Alkali-Fotozellen ersetzt wird, weil das Selen einfach nicht empfindlich genug ist. In der Technikgeschichte wird Scheitern eher selten thematisiert, obwohl es zweifellos eine große Rolle spielt. Gerade deshalb hat mich das Selen besonders interessiert, als tragischer Held gewissermaßen, weil man damit veranschaulichen kann, dass in Technik und Wissenschaft wenig so glatt läuft wie es scheint.
Nach meinem Studium der Chemie habe ich mich relativ willkürlich auf Studiengänge mit den Worten Medien und Kultur im Namen beworben. Geleitet hat mich dabei das Gefühl, dass die beiden irgendwie zusammenhängen. Wie ein Studium der Medienkultur genau aussehen sollte, wusste ich aber nicht. Weimar hat meine Erwartungen fast durchweg enttäuscht, aber auf die beste mögliche Art. Jetzt weiß ich, dass zur Medienwissenschaft auch die Erforschung von Praktiken, Techniken, Instrumenten, Werkzeugen, Maschinen, Architekturen, Infrastrukturen, Materialien usw. gehören kann.
Für mich ist ein zentraler Aspekt des Weimarer Medienkultur-Studiums aber die starke Verknüpfung von Lehre und Forschung. Fast immer sind Projekte und Seminare um aktuelle Forschungsfragen herum organisiert, an denen die Lehrenden gerade auch selber arbeiten. Zusammen mit dem guten Betreuungsverhältnis ergibt sich damit eine interessante und intensive Lehre.
Es gibt zwei wichtige Punkte, auf die ich innerhalb meiner Arbeit aufmerksam machen wollte. Zum einen war es mir als Songwriter ein persönliches Bedürfnis, die Chancen, welche in der Verwendung von Songs im Film liegen, aufzudecken, da in vielen filmanalytischen Werken zur Musik Songs nur in Nebensätzen, in Verbindung mit Werbung oder als billige Alternative zu einem für den Film komponierten Soundtrack angesprochen werden. Dass dies nicht immer der Fall sein muss, zeigte ich anhand ausgewählter Filmszenen, die durch die Verwendung von spezifischen Songs erst ihr volles Wirkungspotential entfalten.
Zum anderen konnte ich innerhalb meiner Arbeit herausstellen, dass es sinnvoll ist, stimmungsorientierte Analysen durchzuführen, wenn Geisteswissenschaftler zu erfassen versuchen, auf welche Weise und aus welchen Gründen Menschen von einem musikalischen, literarischen, filmischen oder in jeglicher Art künstlerischen Werk fasziniert oder bewegt werden. So ist die Stimmung, die ein Werk inne hat bzw. ausstrahlt und im Rezipienten auslöst, oft ein Grund dafür, dass der jeweilige Rezipient (je nach individuellen Vorzügen) Gefallen an einem Werk findet oder dieses überhaupt erst zum Schauen oder Hören auswählt (beispielsweise bei einem Kinobesuch). Deswegen vertrete ich die Meinung, dass eine Stimmungsanalyse großen Aufschluss über künstlerische Werke und ihre Wirkung auf einen Konsumenten geben kann, der keinesfalls von der Geisteswissenschaft ignoriert werden sollte.
Meine Bachelorarbeit beschäftigt sich mit der Frage, auf welche Art und Weise Songs im Film Stimmungen hervorrufen können. Dabei habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, zu zeigen, dass Filmszenen und Songs für sich allein stehend Stimmungen erschaffen und sich im Zusammenspiel gegenseitig affizieren. Im Vordergrund stand, statt der Intention des Filmmachers, die Wirkung eines Werkes auf den Rezipienten.
Um mein Ziel zu erreichen, habe ich zu Beginn den phänomenologischen Begriff der Stimmung als solchen vorgestellt, bin im weiteren Verlauf filmtheoretisch darauf eingegangen, wie Songs im Film Verwendung finden, und habe darauf aufbauend verschiedene Filmszenen und ihre Songs analysiert, um auf die vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten von Songs im Film bezüglich der Stimmung aufmerksam zu machen.
Ich habe mich während meines Studiums von Anfang an für Massenphänomene interessiert. Ich beschäftigte mich immer wieder damit, was Menschen fasziniert und bewegt – und weshalb. Ungefähr ein Jahr bevor es dann überhaupt darum ging, ein Thema für meine Bachelorarbeit zu finden, habe ich einen Studenten der Visuellen Kommunikation an der Bauhaus-Universität bei seinem Bachelorprojekt unterstützt. Dabei handelte es sich um einen Animationsfilm, der in einer postapokalyptischen Welt angesiedelt ist und von einer Gruppe von Abenteurern handelt, die sich gegen das herrschende System zur Wehr setzt. Zur musikalischen Untermalung, zur Vorstellung der verschiedenen Charaktere und zum Vorantreiben der Handlung habe ich für diesen Film vier Songs geschrieben.
Nach dieser praktischen Anwendung von Songs im Film, habe ich beschlossen, mich medienwissenschaftlich mit dem Thema auseinanderzusetzen und meine Bachelorarbeit dieser Problematik zu widmen. Auf den Begriff der Stimmung wurde ich schließlich im Gespräch mit meinem Professor aufmerksam und war mir nach den ersten Recherchen recht schnell sicher, dass dieser bei der Beantwortung der Frage, was Menschen fasziniert und bewegt, eine essentielle Rolle spielen könnte.
Nach der Schule überkam mich das Gefühl, tiefgründiger denken zu wollen, weshalb mir bei der Studienwahl schnell klar war, dass ich in die Geisteswissenschaft wollte. Da ich mich jedoch nicht für ein spezifisches Fach entscheiden konnte, zog es mich aufgrund der Bandbreite, welche das Studium der Medienwissenschaft an der Bauhaus-Universität bietet, nach Weimar.
Ich gehörte also zu den Studenten, die „etwas mit Medien“ studieren wollten. Ich merkte jedoch schnell, dass ich damit nicht unbedingt weiterkommen würde, da die vielen verschiedenen und teils auch langen und unbequem zu lesenden Texte und Theorien anfangs schwer zugänglich waren.
Nachdem jedoch die ersten Grundlagen gewonnen waren und ich in der Lage war, Theorien zu vergleichen oder auf eigens gewählte Problematiken anzuwenden, fand ich immer mehr Freude an der gesamten Materie – und auch an Themen, von denen ich vorher nicht einmal gedacht hätte, dass man darüber nachdenken könnte oder sollte.
Ich denke, dass mir das Studium in Weimar eine Art des tiefgründigen Denkens ermöglicht hat, die ich nicht erwartet hatte, als ich mich dafür entschied; die ich aber auch nicht mehr missen möchte. Durch das große Lesepensum und die Vielfalt der Themen, habe ich eine extrem schnelle Auffassungsfähigkeit, eine ausgeprägte analytische Denkfähigkeit und ein umfassendes Allgemeinwissen entwickelt, die sich nicht nur im Studium, sondern auch im späteren Berufsleben sicherlich auszahlen werden.
Die Welt ist im Begriff sich zu ‚kosmopolitisieren‘. Menschen und Kulturen werden immer mobiler und sind nicht mehr auf ein Territorium beschränkt. Auf die Verflechtung der verschiedenen Lokalkulturen kann Europa auf zwei Weisen reagieren: Entweder können sich die einzelnen Länder renationalisieren und voneinander abgrenzen, oder wir erkennen, dass wir sowohl kulturelle Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede haben können und das genau das ‚das Europäische‘ ist. Deswegen hat Maybritt Hennig ihre Abschlussarbeit im Studienprogramm Europäische Medienkultur über den österreichischen Radiosender FM4 geschrieben ...
Die Arbeit handelt davon, welche Rolle Lokal- und Subkulturen für die europäische Medienkultur spielen. Der Radiosender FM4 hat es sich zur Aufgabe gemacht, Lokal- und Subkulturen eine kritische Größe zu verleihen. Für meine Arbeit habe ich einzelne Sendebeiträge untersucht, um festzustellen, dass die europäische Kultur in den Lokalkulturen selbst verinnerlicht ist.
Ich konnte mich nicht zwischen zwei Themen entscheiden, also musste ein drittes her. Ich habe alle möglichen kreativen Techniken ausprobiert, damit ich eine gute Idee bekäme. Als ich eines Morgens wie üblich Radio FM4 hörte, da fiel es mir dann wie Schuppen von den Augen …
Ich hatte Lust, mich mit Medien kritisch auseinanderzusetzen, an zwei Universitäten in zwei Ländern zu studieren, mein Französisch zu vertiefen und den Fokus auf Europa zu legen. Ich habe gelernt, eine ‚kulturelle Nomadin‘ zu sein, mich in andere Kulturen einzufühlen und meine eigene kulturelle Identität zu reflektieren. Meine Begeisterung für Europa wird mir bleiben …
Das Thema Flucht ist momentan allgegenwärtig: mit weltweit 65,3 Millionen Menschen auf der Flucht gab es noch nie so viele Vertriebene wie im Jahr 2016, weshalb wir uns zwangsläufig auch in Zukunft noch viel mit der Thematik beschäftigen werden müssen. Die Massenmedien prägen unser Bild der Welt maßgeblich mit, und so haben diejenigen, die Inhalte produzieren, mehr Verantwortung denn je. Es ist daher umso wichtiger, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, was bestimmte Formen der Darstellung auslösen können. Die Art und Weise, wie der gesellschaftliche Diskurs über Geflüchtete heute geführt wird, wird sich maßgeblich darauf auswirken, ob es in Zukunft eine Kultur des respektvollen Umgangs auf Augenhöhe mit ihnen geben kann. Deswegen hat Daphna Dreifuss ihre Abschlussarbeit im Master-Studiengang Medienwissenschaft über die mediale Darstellung von Flüchtlingen geschrieben.
Ziel meiner Abschlussarbeit war es, Ansätze für progressive mediale Darstellungen von Geflüchteten zu finden; abseits von stereotypen Repräsentationen, in denen die Vertriebenen nur als Opfer oder Bedrohung gezeigt werden. Der erste Teil der Arbeit betrachtet daher mediale Darstellungen von Geflüchteten und zeigt auf, dass es bei deren Repräsentation in den Informationsmedien vielerlei problematische Aspekte gibt; angefangen bei kolonialen Strukturen im Mediendiskurs über das Othering und stereotype Darstellungen bis hin zu ethischen Fragen bezüglich der medialen Darstellung von Leid. Dabei kritisiert die Arbeit insbesondere die Verortung von Geflüchteten im Zentrum eines „Opfernarrativs“, welches die Flucht zum definierenden Element ihrer Existenz erklärt, ihre Individualität negiert und „den Flüchtling“ zur sozialen Kategorie macht. Die Argumentation stützt sich insbesondere auf die Thesen Hannah Arendts zur Selbstbezogenheit des ihr zufolge anti-politischen Mitleids, sowie auf Vilém Flussers Werke zur Kreativität von Vertriebenen im Exil. Sie spricht sich somit gegen Mitleid als Basis für die Repräsentation von und Interaktion mit Geflüchteten aus und plädiert stattdessen für einen Fokus auf das schöpferische Potenzial, welches die Vertriebenen konstruktiv in die Gesellschaft mit einbringen können.
Der theoretische Teil kommt zu dem Schluss, dass Informationsmedien aufgrund ihrer strukturellen Gegebenheiten kaum dazu in der Lage sind, nicht-stereotype Repräsentationen von Geflüchteten zu produzieren, weshalb dem Film hierbei eine essentielle Rolle zukommt. Entsprechend beschäftigt sich der zweite Teil der Arbeit mit dem Thema Flucht im Kino. Hier werden einige Filmbeispiele betrachtet und analysiert, bei denen es den Filmemachern gelungen ist, auf narrativer und/oder visueller Ebene progressive Methoden zu finden, um differenzierte und vielschichtige Darstellungen von Geflüchteten zu schaffen.
Als im Sommer 2015 zahlreiche Geflüchtete nach Deutschland kamen und die Medien sehr intensiv darüber berichteten, fiel mir auf, dass ich mich häufig an der Berichterstattung störte, ohne genau sagen zu können, warum. Irgendwann erinnerte ich mich dann an einen Text von Lilie Chouliaraki, den ich für eine frühere Hausarbeit gelesen hatte, in dem es um Werbefilme von Hilfsorganisationen ging und in dem die Autorin kritisierte, dass die Menschen, die in diesen Filmen gezeigt werden, oftmals auf ihr Leid reduziert und somit entmenschlicht würden. Das erschien mir zunächst als eine sehr extreme These, je länger ich mich jedoch mit der Thematik beschäftigte, desto zutreffender empfand ich die Kritik auch im Hinblick auf die Darstellungen Geflüchteter. Aus Individuen werden „die Flüchtlinge“, die wir primär über ihre Leidenswege und Verluste definieren, und ihnen entsprechend mit Mitleid begegnen. Dies birgt in meinen Augen jedoch eine starke Ambivalenz: Einerseits halte ich es für positiv, Empathie und Mitgefühl mit den Geflüchteten zu zeigen. Andererseits ist es offensichtlich, dass solch kurzlebige Emotionen keine Grundlage für ein erfolgreiches Miteinander in einer Gesellschaft sein können. Diese Widersprüchlichkeit fand ich sehr spannend und entschied mich aus diesem Grund dafür, das Thema im Rahmen meiner Abschlussarbeit zu erforschen.
Am Anfang war ich einfach einer von jenen Studierenden, die „was mit Medien machen“ wollten, und die Aussicht, im Studium Filme zu schauen und besprechen zu können, fand ich sehr verlockend. Dass der Studiengang Medienkultur/Medienwissenschaft in Weimar auch einen nicht unerheblichen Teil an philosophischen und soziologischen Inhalten umfasste, darauf war ich weniger vorbereitet. Während mich die abstrakten und teils schwer greifbaren Themen zu Beginn meines Bachelor-Studiums manchmal verunsicherten oder frustrierten, machte die Auseinandersetzung damit in den höheren Semestern und schließlich im Master wirklich Spaß, und aus heutiger Sicht kann ich eindeutig sagen, dass ich sehr davon profitiert habe. Im Studium habe ich gelernt zu diskutieren, sich auszutauschen, andere Ansichten zu akzeptieren. Und vor allem: andere und auch die eigene Meinung immer wieder zu hinterfragen. Das mag banal klingen, aber in Zeiten, in denen immer mehr Menschen versuchen, sehr undifferenzierten Ansichten und „Wahrheiten“ zu verbreiten, halte ich dies für eine sehr nützliche Fähigkeit.
Das Schreiben zählt nicht nur zu unseren basalen Kulturtechniken und ist schon allein deshalb immer eine Forschungsfrage wert, sondern über das Schreiben vollzieht sich das Verstehen, Wahrnehmen und Gestalten des eigenen Selbst. Es ist, wie Vilém Flusser sagt, die ultimative Geste von Subjektivität, denn in ihm realisiert sich das Denken.
Nun hat Foucault 1984 gesagt: »Die Leute schreiben seit zweitausend Jahren über sich selbst, aber offenkundig nicht in derselben Weise.« (Foucault, Michel, 1984) Tatsächlich schreiben wir heute – insbesondere im Internet – nicht nur in klassischen Texten, sondern auch in Bildern, Videos, Klängen oder sogar in Links, Hashtags und den maschinellen Affekt-Messungen des Like-Buttons. Und immer geht es dabei mehr oder weniger offensichtlich um uns.
Vor diesem Hintergrund ist es einfach nur konsequent, dass wir diese multimediale Schreib-Manie – die sich noch dazu in aller Öffentlichkeit abspielt – einer fundierten Reflexion unterziehen. Denn damit analysieren wir eben nicht nur Bits und Bytes, sondern vielmehr, wie wir uns als singuläre oder multiple, authentische oder anonyme, kohärente oder zersplitterte, isolierte oder kollektive Identitäten konstruieren. Deswegen hat Franziska Reichenbecher ihre Abschlussarbeit im Master-Studiengang Medienwissenschaft über Posting im Internet geschrieben.
Die Arbeit untersucht, wie wir uns zu uns selbst verhalten, wenn wir über unseren Urlaub bloggen, Fotos unseres neuen Outfits über Instagram sharen, die Statusmeldung eines Freundes auf Facebook liken oder unsere als Spektakel inszenierte Kündigung filmen und bei YouTube hochladen.
Ich gehe davon aus, dass postmoderne Schreibpraktiken wie diese die sogenannten „Technologien des Selbst“ beerben, über die sich Individuen als Subjekte konstituieren und ihr Leben als Kunstwerk gestalten können.
Aufbauend auf Michel Foucaults Arbeiten zu den Technologien des Selbst der Antike und des frühen Christentums und anhand konkreter Analysen aus dem gegenwärtigen Mediengebrauch in sozialen Netzwerken, im Blogging und auf Content-Plattformen habe ich schließlich ein zugleich selbst- und fremdbestimmtes Subjekt des Postings zur Diskussion gestellt, in dem sich der Wille nach Kontinuität, Vollendung und Stabilität mit dem Begehren nach Fragmentierung, Entwurfsoffenheit und Transformativität überkreuzen.
Das Thema der Arbeit ist als Konsequenz aus meinem persönlichen Interesse an subjektphilosophischen Fragen und digitaler Kultur aus vorherigen Arbeiten zu politischen Projekten der Menschenformung und zum Like-Button auf Facebook entstanden. Argumentation und Methode haben sich dann entlang der Recherchen und im Austausch mit meiner Professorin entwickelt.
Ich glaube, die Weimarer Medienwissenschaft zeichnet sich vor allem durch einen ausgesprochen breiten Zugang zu ihrem Gegenstand aus:
Im Bachelor können die Studierenden aus einem vielfältigen Miteinander von geistes- und sozialwissenschaftlichen, ökonomischen und künstlerisch-gestalterischen Angeboten wählen und dadurch schon auf eine fundierte Spezialisierung hinarbeiten.
Im Master konzentriert sich das Studium dann auf eine originär geisteswissenschaftliche Ausrichtung mit ausgeprägter Forschungskultur. Die Strukturierung des Studiums und die Begleitung durch die Lehrenden ermöglicht dabei eine intensive und gleichzeitig freie Arbeit an eigenen Projekten.
Eigentlich wollte ich früher lieber ins Kulturmanagement. Aber während ich meine BA-Arbeit geschrieben habe, hat mich das Wissenschaftsfieber gepackt. Dafür braucht man natürlich ein einigermaßen großes Vertrauen in den eigenen Kopf. Aber genau das lernt man hier. Die Wahl für den Master in KWMF war dann eine der besten Entscheidungen, die ich je getroffen habe.
Was mich letztendlich am meisten fasziniert hat, war die Leidenschaft, mit der hier gelehrt und geforscht wird. Die Weimarer Dozenten sind wirklich mit dem Herzen dabei und können daher ihre Begeisterung auch auf die Studierenden übertragen. Hier wird zwar jede Theorie, jeder Autor, jedes Buch erstmal gern kritisiert, was das Zeug hält – aber eben mit freundlichem Wohlwollen!
Manchmal dauert es ein Stück, bis man sich an das hohe Lektürepensum und die hohen Anforderungen an das eigene freie Denken gewöhnt, aber sobald man selbst zu brennen anfängt, macht es einfach nur noch Spaß. Und zum Feierabend bei Wein und Bier führt man dann auch noch mit den Kommilitonen angeregte Fachdebatten – freiwillig!
Waum braucht die Welt dieses Forschungsthema? Weil es zu wenig gute Übersetzung und viel zu wenig Vermittlung gibt. Es muss ein besseres Verständnis von denjenigen Bedingungen und Anforderungen geben, unter und mit denen verschiedene Instanzen miteinander kommunizieren. Das sind Fragen von Empathie und Sensibilität, aber auch von Institutionen-, Kanal- und Kopplungsarchitektur. Deswegen hat Felix Clasbrummel seine Masterarbeit über Transformationen und die Bauchrednerpuppe geschrieben.
»Man wird den Magier nur finden, weil man bereits an ihn glaubt.«
Marcel Mauss: Soziologie und Anthropologie, S. 125.
»Meins, Deins, das sind doch bürgerliche Kategorien.«
Mark Uwe Kling, die Känguru-Chroniken
Einfache Fragen: Wenn Einer mit seiner Stimme für den Anderen spricht, und dann aber nicht mehr für den Einen, sondern für den Anderen gehalten wird, sich also eine (scheinbare?) Verwechslung ergibt: Welchen Bedingungen unterliegt eine solche sprechende Stimme, die möglicherweise sogar mit Absicht für die Stimme einer/s anderen gehalten werden soll? Wie wird ihre Modulation bestimmt, wie ihr Ort geändert und mit welcher Technik werden die Gesten übertragen? Oder alltäglicher gefragt: Wie muss mein Text verfasst sein, damit man ihn nicht als Plagiat erkennt? Welche Worte, Bilder, Bewegungen, Musikstücke kann ich bloß wählen, um dieses Gefühl gut und genau auszudrücken? Wie bestehe ich den Touring-Test? Wenn ich, um als Lehrer besseren Kontakt zu ihnen zu haben, mit meinen Schülern rappen will, wie sollte ich mich anziehen, was rappen, wie verhalten – geben meine Fähigkeiten zur Modulation das Gelingen dieser Situation überhaupt her?
Bauchreden ist ein Phänomen eines alltäglichen Betrugs, einer Täuschung, dessen Erkennbarkeit als Betrug und Täuschung durch seine Alltäglichkeit und alltägliche Wiederholung verschwimmt. Diejenige Täuschung, dass das Ich nur Ich, das die Wahrheit nur dieses und dieses Wort genau jenes sei, ist die verdrängte Differenz, aus der Geister wie Bauchredner dringen. Bauchreden ist eine Figur, die ein Übertragungs-, Durchdringungs- und Übersetzungsphänomen vorstellt. Historisch und diskursanalytisch betrachtet macht es z.B. deutlich, dass das Label Fake News oftmals nicht etwa eine Diagnose, sondern die Ausrede einer Diagnose ist. Es wird in einem Wettstreit um die Herrschaft im Diskurs verwendet, der nicht mehr mit einem argumentativen Aushandlungsprozess, sondern nur noch mit der Ausschließung des Anderen gewonnen werden soll. Es soll den Anderen zerstören, noch bevor dessen Stimme ertönen kann. Dafür produziert und radikalisiert es eine Differenz, indem es sich in die Wahrheit nistet und dort in das Eigene und das Nicht-Eigene bzw. das Andere scheidet – eine Differenzierung, die, wie der qua Bezeichnung zum Anderen gemachten Betrüger namens Bauchredner, weiß, schwach auf der Brust ist und ständig in Gefahr bleibt, zusammenzuklappen (~Derrida) – und dabei nichts mit einer aufgeklärten Wahrheitsfindung zu tun hat. Auf der anderen Seite der Fake News ist der Bauchredner nämlich Prophet, ist Schauspieler, ist Politiker, ist Mensch.
Gleichzeitig ist das Bauchreden eine Technik der Einfühlung, der Empathie. Kommunikation ist sowieso unwahrscheinlich (Luhmann), doch Bauchreden muss höchsten Anforderungen genügen. Der Redner muss nicht weniger als eine zweite Person mit Charakter, eigener Stimme und Gestik hervorbringen, und dabei aufpassen, dass sich der Schrecken Frankensteins nicht wiederholt. Er muss dafür den Körper und die Umwelt der Puppe wie seine/n eigene/n genau kennen, muss sich dann gleichzeitig selbst verlassen und von sich selbst aus steuern, um in einiger Zwei- oder Vielsamkeit mit seinem/n „Partner/n“ auftreten zu können. Kurz (und kryptisch): Er muss die alltägliche Un-/Möglichkeit der Identität vom „ich bin“ in ein „ich habe“ verwandelt haben, und mit dieser Freiheit eine Übertragung mit sehr unwahrscheinlichem Erfolg beginnen zu können.
Ich interessiere mich u.A. für die Transformationen, die ein Text bei der Übersetzung von einem Medium ins andere durchmachen muss. Ich sah einmal, wie miserabel Kants Konzept des Erhabenen im ansonsten schönen Film Stromboli verarbeitet wurde, aber ich wusste nicht, warum ich es so miserabel fand. Erst als ich irgendwann Kants Konzept des Erhabenen gelesen hatte, verstand ich die Szene. Nach dieser Arbeit weiß ich, dass – metaphorisch gesprochen – die Bauchrednerpuppe gleichzeitig auf das Publikum und seine Sprache sowie auf die Puppe und ihre Sprache sowie auf den Redner und seine Sprache ausgerichtet sein muss, damit die Wahrscheinlichkeit eines Auftrittserfolges steigt. Stromboli ist, in diesem Sinne, ein Film für Kant-Leser, und nicht fürs Kino.
Ich entschied mich aus dem Bauch heraus und weil ich den Eindruck hatte, in Weimar wären die cooleren Leute. Ich wollte ebenfalls aus der Langeweile der Schule heraus (check). Außerdem wollte ich nicht nur Text produzieren, sondern auch genau die Produktionsbedingungen anderer Medien kennenlernen. Und jetzt kann ich – wie jedes 14-jährige Kind – Filme schneiden, animieren, zudem besser fotografieren (und Fotos bearbeiten) und filmen. Gleichzeitig hat das Studium der Medienkultur in Weimar mein Denken in einer Art entwickelt, die ich nicht antizipiert hatte, von der ich unheimlich profitiere, die ich unglaublich genieße und die mir hoffentlich für immer erhalten bleibt.
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